Gockel, Hinkel und Gackeleia | Page 6

Clemens Brentano
und nur unter den heftigsten Thränen mit
Gackeleia vor ihm auf den Knieen liegend, konnte sie erflehen, daß er
mit ihr Morgens vor Tag zur Gartenthüre hinaus, hinten um die
Stadtmauer herum, seine Abreise anzutreten versprach.

Gockel hängte seine Hühnerminister-Kleidung an das königliche
Hühnerministerial-Zapfenbrett, legte alle die ihm aufgedrungenen
Eierorden ab, den Orden der Schmeichelei und Heuchelei und
befestigte seinen eigenen, Raugräflich Gockel Hanauischen
Haus-Orden der Kinderei wieder in das Knopfloch der Jacke seines
Großvaters, die er morgen früh anziehen wollte; dann setzte er sich an
seinen Schreibtisch, um alle die Rechnungen über seine Verwaltung
heute Nacht noch auszubrüten, und als er es so weit gebracht, daß
Einnahme und Ausgabe sich wie ein Ei dem andern glichen, sank er
ermüdet mit der Nase auf das Papier und schnarchte, daß der Streusand
von zerstossenen Eierschalen umherflog, und mehrere Muster von
Hühnerfedern, die vor ihm lagen, durch einander wehten. Aber der
Schaden war nicht groß.
Kaum graute der Tag, als Alektryo, der edle Stammhahn sich selbst
ermunternd mit den Flügeln in die Seite schlug, den Hals emporreckte
und mit aufgerissenem Schnabel lautkrähend wie mit einem
Trompetenstoß alle zur Abreise erweckte; das Stammhuhn Gallina
begleitete sein Morgenlied mit einigen wehmüthigen Accorden. Gockel
sprang auf und weckte Weib und Kind, die sich bald einstellten. Frau
Hinkel war sehr traurig, auch sie mußte ihre
Hühnerministerial-Kontusche ans Zapfenbrett hängen und die Kleider
von Gockels Großmutter anziehen; händeringend stand sie in diesem
Putz vor dem Spiegel. Gockel hatte viel zu ermahnen und zu trösten; er
hatte seine Raugräfliche Gockelskappe aufgesetzt, auf der ein
Hahnenkamm war, er hängte seine Perücke von Eierschalen an den
Ministerialperücken-Hahn und fuhr in die großväterlichen Stiefel und
Grafenhosen, welche ihm Gackeleia hinbrachte, die ziemlich lustig in
ihrem seltsamen Röckchen war und das alte Erbhühnernest wie einen
Fallhut auf dem Kopf trug.
Alektryo, der Stammhahn, saß neben dem Schreibtische auf der
Raugräflich Gockelschen Erbhühnertrage, welche der berühmte Erwin
von Steinbach zugleich mit dem Straßburger Münster erfunden hatte,
und wiederholte, da er die ganze Familie wieder in ihren altgräflichen
Kleidern sah, sein Krähen mit stolzer Freude. Er hatte einen
reichsfreiritterlichen Unmittelbarkeitssinn und war nie gern in

Gelnhausen gewesen, wo er nur zu Haus der Hahn im Korb war, am
Hof aber nie auf dem Mist krähen durfte, weil dieses ein Regale, ein
königliches Recht der Hofhähne war. Er war hier nur Kammerhahn à la
suite, hatte allerlei Kränkungen seiner Verhältnisse von den Hofhahnen
zu erleiden, und durfte sie nicht einmal deswegen herausfordern. Gleich
Graf Gockel war er sehr mit dem König Eifrasius unzufrieden, denn
dieser hatte einmal die Eier seiner lieben Gemahlin Gallina durch die
Polizei wegnehmen und sich in die Pfanne schlagen lassen.--Seine
häusliche Glückseligkeit war dadurch gestört. Er war heftig und
ungeduldig, Gallina aber gacksig, glucksig und piepsig geworden. Sie
saßen immer auf dem Hühnerministerium und kamen nicht ins Freie;
statt auf dem Miste, scharrte Alektryo in Papierspänen, und die
leidende Gallina wälzte sich im Streusand oder brütete hoffnungslos
auf den ausgeblasenen Eierschaalen des Eierordens, welche dort
aufbewahrt wurden. Nun aber, da alle zur Abreise gekleidet waren,
trieb Alektryo die Gallina an, von seiner Seite auf dem Gockelschen
Hühnersteg hinab zu dem Hennegauschen Erbhühnerkorb der Frau
Hinkel zu schreiten, und sagte ihr dabei ganz freundlich ins Ohr, was
ihr tröstend zu Herzen ging: "heute Abend sind wir frei und glücklich
in Gockelsruh, dem Pallaste unsrer Vorfahren, da giebt es Würmchen
und Maikäfer und allerlei Sämerei die Menge; da wollen wir ein neues
Leben beginnen, da gehören wir uns allein an, da wirst du eine Brut
ausbrüten, die unser würdig ist." Gallina trippelte mit einem lieblichen
Lächeln gacksend den Steg hinab und setzte sich oben auf den
Hühnerkorb.
Frau Hinkel nahm den Korb, worauf Gallina saß, auf ihren Kopf. In
diesem Korbe hatte sie ein paar Hemden, etwas Flachs-, Hanf--und
andere Sämereien, Nadel, Zwirn und Fingerhut und ein
Wachsstümpfchen, ein Gebetbuch und einige schöne neue Lieder,
gedruckt in diesem Jahr, und den Gräflich Hennegauschen Stammbaum
und ihren Taufschein und Copulationsschein und so weiter Schein
bewahrt. Dann ergriff sie ihren Rocken und sprach: "ich bin fertig."
Gockel schlüpfte mit den Armen in die Tragriemen seiner
Erbhühnertrage und trug sie wie eine gothische Kirche auf dem Rücken,
oben drauf saß Alektryo, neben dran war sein Grafenschwert befestigt,
und im Innern befanden sich sein Stammbaum, Grafenbrief, Taufschein,

Ehekontrakt, ein Buch von Geheimnissen der Hahnen und Hühner und
auch ein altes Geschlechts-Register, nach welchem Alektryo vom Hahn
des Hiob und Gallina vom Hahn Petri abstammen sollte; es war aber
theils sehr unleserlich mit Hühnerpfoten geschrieben, theils hatten es
die Mäuse so durchstudiert, daß viele Löcher darin waren. Solche große
Raritäten waren in der Hühnertrage. Gockel nahm nun seine
Raugräfliche Standarte, die zugleich ein Hühnersteg war, als Stab in die
Hand und sagte: "wohlan ich bin fertig."
Gackeleia hatte das Erbhühnernest auf dem Kopf, und weil sie auf alle
Weise noch sonst
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