Gladius Dei; Schwere Stunde | Page 8

Thomas Mann
von dem er geflohen war, dieser Last, diesem Druck, dieser Gewissensqual, diesem Meer, das auszutrinken, dieser furchtbaren Aufgabe, die sein Stolz und sein Elend, sein Himmel und seine Verdammnis war. Es schleppte sich, es stockte, es stand--schon wieder, schon wieder! Das Wetter war schuld und sein Katarrh und seine Müdigkeit. Oder das Werk? Die Arbeit selbst? Die eine unglückselige und der Verzweiflung geweihte Empf?ngnis war?
Er war aufgestanden, um sich ein wenig Distanz davon zu verschaffen, denn so oft bewirkte die r?umliche Entfernung vom Manuskript, da? man übersicht gewann, einen weiteren Blick über den Stoff, und Verfügungen zu treffen vermochte. Ja, es gab F?lle, wo das Erleichterungsgefühl, wenn man sich abwendete von der St?tte des Ringens, begeisternd wirkte. Und das war eine unschuldigere Begeisterung, als wenn man Lik?r nahm oder schwarzen, starken Kaffee... Die kleine Tasse stand auf dem Tischchen. Wenn sie ihm über das Hemmnis hülfe? Nein, nein, nicht mehr! Nicht der Arzt nur, auch ein zweiter noch, ein Ansehnlicherer, hatte ihm dergleichen behutsam widerraten: der andere, der dort, in Weimar, den er mit einer sehnsüchtigen Feindschaft liebte. Der war weise. Der wu?te zu leben, zu schaffen; mi?handelte sich nicht; war voller Rücksicht gegen sich selbst...
Stille herrschte im Hause. Nur der Wind war h?rbar, der die Schlo?gasse hinuntersauste, und der Regen, wenn er prickelnd gegen die Fenster getrieben ward. Alles schlief, der Hauswirt und die Seinen, Lotte und die Kinder. Und er stand einsam wach am erkalteten Ofen und blinzelte gequ?lt zu dem Werk hinüber, an das seine kranke Ungenügsamkeit ihn glauben lie?... Sein wei?er Hals ragte lang aus der Binde hervor, und zwischen den Sch??en des Schlafrocks sah man seine nach innen gekrümmten Beine. Sein rotes Haar war aus der hohen und zarten Stirn zurückgestrichen, lie? bla? ge?derte Buchten über den Schl?fen frei und bedeckte die Ohren in dünnen Locken. An der Wurzel der gro?en, gebogenen Nase, die unvermittelt in eine wei?liche Spitze endete, traten die starken Brauen, dunkler als das Haupthaar, nahe zusammen, was dem Blick der tiefliegenden, wunden Augen etwas tragisch Schauendes gab. Gezwungen, durch den Mund zu atmen, ?ffnete er die dünnen Lippen, und seine Wangen, sommersprossig und von Stubenluft fahl, erschlafften und fielen ein...
Nein, es mi?lang, und alles war vergebens! Die Armee! Die Armee h?tte gezeigt werden müssen! Die Armee war die Basis von allem! Da sie nicht vors Auge gebracht werden konnte--war die ungeheure Kunst denkbar, sie der Einbildung aufzuzwingen? Und der Held war kein Held; er war unedel und kalt! Die Anlage war falsch, und die Sprache war falsch, und es war ein trockenes und schwungloses Kolleg in Historie, breit, nüchtern und für die Schaubühne verloren!
Gut, es war also aus. Eine Niederlage. Ein verfehltes Unternehmen. Bankerott. Er wollte es K?rnern schreiben, dem guten K?rner, der an ihn glaubte, der in kindischem Vertrauen seinem Genius anhing. Er würde h?hnen, flehen, poltern--der Freund; würde ihn an den Carlos gemahnen, der auch aus Zweifeln und Mühen und Wandlungen hervorgegangen und sich am Ende, nach aller Qual, als ein weithin Vortreffliches, eine ruhmvolle Tat erwiesen hat. Doch das war anders gewesen. Damals war er der Mann noch, eine Sache mit glücklicher Hand zu packen und sich den Sieg daraus zu gestalten. Skrupel und K?mpfe? O ja. Und krank war er gewesen, wohl kr?nker als jetzt, ein Darbender, Flüchtiger, mit der Welt Zerfallener, gedrückt und im Menschlichen bettelarm. Aber jung, ganz jung noch! Jedesmal, wie tief auch gebeugt, war sein Geist geschmeidig emporgeschnellt, und nach den Stunden des Harms waren die anderen des Glaubens und des inneren Triumphes gekommen. Die kamen nicht mehr, kamen kaum noch. Eine Nacht der flammenden Stimmung, da man auf einmal in einem genialisch leidenschaftlichen Lichte sah, was werden k?nnte, wenn man immer solcher Gnade genie?en dürfte, mu?te bezahlt werden mit einer Woche der Finsternis und der L?hmung. Müde war er, siebenunddrei?ig erst alt und schon am Ende. Der Glaube lebte nicht mehr, der an die Zukunft, der im Elend sein Stern gewesen. Und so war es, dies war die verzweifelte Wahrheit: Die Jahre der Not und der Nichtigkeit, die er für Leidens- und Prüfungsjahre gehalten, sie eigentlich waren reiche und fruchtbare Jahre gewesen; und nun, da ein wenig Glück sich herniedergelassen, da er aus dem Freibeutertum des Geistes in einige Rechtlichkeit und bürgerliche Verbindung eingetreten war, Amt und Ehren trug, Weib und Kinder besa?, nun war er ersch?pft und fertig. Versagen und verzagen--das war's, was übrigblieb.
Er st?hnte, pre?te die H?nde vor die Augen und ging wie gehetzt durch das Zimmer. Was er da eben gedacht, war so furchtbar, da? er nicht an der Stelle zu bleiben vermochte, wo ihm der Gedanke gekommen war. Er setzte sich auf einen Stuhl an der Wand, lie? die gefalteten H?nde zwischen den Knien h?ngen und starrte trüb auf die Diele nieder.
Das Gewissen... wie laut sein Gewissen schrie! Er hatte gesündigt, sich versündigt gegen sich selbst in all
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