Gladius Dei; Schwere Stunde | Page 9

Thomas Mann
den Jahren, gegen das zarte Instrument seines K?rpers. Die Ausschweifungen seines Jugendmutes, die durchwachten N?chte, die Tage in tabakrauchiger Stubenluft, übergeistig und des Leibes uneingedenk, die Rauschmittel, mit denen er sich zur Arbeit gestachelt--das r?chte, r?chte sich jetzt!
Und r?chte es sich, so wollte er den G?ttern trotzen, die Schuld schickten und dann Strafe verh?ngten. Er hatte gelebt, wie er leben mu?te, er hatte nicht Zeit gehabt, weise, nicht Zeit, bed?chtig zu sein. Hier, an dieser Stelle der Brust, wenn er atmete, hustete, g?hnte, immer am selben Punkt dieser Schmerz, diese kleine, teuflische, stechende, bohrende Mahnung, die nicht schwieg, seitdem vor fünf Jahren in Erfurt das Katarrhfieber, jene hitzige Brustkrankheit, ihn angefallen--was wollte sie sagen? In Wahrheit, er wu?te es nur zu gut, was sie meinte--mochte der Arzt sich stellen wie er konnte und wollte. Er hatte nicht Zeit, sich mit kluger Schonung zu begegnen, mit milder Sittlichkeit hauszuhalten. Was er tun wollte, mu?te er bald tun, heute noch, schnell... Sittlichkeit? Aber wie kam es zuletzt, da? die Sünde gerade, die Hingabe an das Sch?dliche und Verzehrende ihn moralischer dünkte als alle Weisheit und kühle Zucht? Nicht sie, nicht die ver?chtliche Kunst des guten Gewissens waren das Sittliche, sondern der Kampf und die Not, die Leidenschaft und der Schmerz!
Der Schmerz... Wie das Wort ihm die Brust weitete! Er reckte sich auf, verschr?nkte die Arme; und sein Blick, unter den r?tlichen, zusammenstehenden Brauen, beseelte sich mit sch?ner Klage. Man war noch nicht elend, ganz elend noch nicht, solange es m?glich war, seinem Elend eine stolze und edle Benennung zu schenken. Eins war not: Der gute Mut, seinem Leben gro?e und sch?ne Namen zu geben! Das Leid nicht auf Stubenluft und Konstipation zurückzuführen! Gesund genug sein, um pathetisch sein--um über das K?rperliche hinwegsehen, hinwegfühlen zu k?nnen! Nur hierin naiv sein, wenn auch sonst wissend in allem! Glauben, an den Schmerz glauben k?nnen... Aber er glaubte ja an den Schmerz, so tief, so innig, da? etwas, was unter Schmerzen geschah, diesem Glauben zufolge weder nutzlos noch schlecht sein konnte. Sein Blick schwang sich zum Manuskript hinüber, und seine Arme verschr?nkten sich fester über der Brust... Das Talent selbst--war es nicht Schmerz? Und wenn das dort, das unselige Werk, ihn leiden machte, war es nicht in der Ordnung so und fast schon ein gutes Zeichen? Es hatte noch niemals gesprudelt, und sein Mi?trauen würde erst eigentlich beginnen, wenn es das t?te. Nur bei Stümpern und Dilettanten sprudelte es, bei den Schnellzufriedenen und Unwissenden, die nicht unter dem Druck und der Zucht des Talentes lebten. Denn das Talent, meine Herren und Damen dort unten, weithin im Parterre, das Talent ist nichts Leichtes, nichts T?ndelndes, es ist nicht ohne weiteres ein K?nnen. In der Wurzel ist es Bedürfnis, ein kritisches Wissen um das Ideal, eine Ungenügsamkeit, die sich ihr K?nnen nicht ohne Qual erst schafft und steigert. Und den Gr??ten, den Ungenügsamsten ist ihr Talent die sch?rfste Gei?el... Nicht klagen! Nicht prahlen! Bescheiden, geduldig denken von dem, was man trug! Und wenn nicht ein Tag in der Woche, nicht eine Stunde von Leiden frei war--was weiter? Die Lasten und Leistungen, die Anforderungen, Beschwerden, Strapazen gering achten, klein sehen,--das war's, was gro? machte!
Er stand auf, zog die Dose und schnupfte gierig, warf dann die H?nde auf den Rücken und schritt so heftig durch das Zimmer, da? die Flammen der Kerzen im Luftzuge flatterten... Gr??e! Au?erordentlichkeit! Welteroberung und Unsterblichkeit des Namens! Was galt alles Glück der ewig Unbekannten gegen dies Ziel? Gekannt sein,--gekannt und geliebt von den V?lkern der Erde! Schwatzet von Ichsucht, die ihr nichts wi?t von der Sü?igkeit dieses Traumes und Dranges! Ichsüchtig ist alles Au?erordentliche, sofern es leidet. M?gt ihr selbst zusehen, spricht es, ihr Sendungslosen, die ihr's auf Erden so viel leichter habt! Und der Ehrgeiz spricht: Soll das Leiden umsonst gewesen sein? Gro? mu? es mich machen!...
Die Flügel seiner gro?en Nase waren gespannt, sein Blick drohte und schweifte. Seine Rechte war heftig und tief in den Aufschlag seines Schlafrockes geschoben, w?hrend die Linke geballt herniederhing. Eine fliegende R?te war in seine hageren Wangen getreten, eine Lohe, emporgeschlagen aus der Glut seines Künstleregoismus, jener Leidenschaft für sein Ich, die unausl?schlich in seiner Tiefe brannte. Er kannte ihn wohl, den heimlichen Rausch dieser Liebe. Zuweilen brauchte er nur seine Hand zu betrachten, um von einer begeisterten Z?rtlichkeit für sich selbst erfüllt zu werden, in deren Dienst er alles, was ihm an Waffen des Talentes und der Kunst gegeben war, zu stellen beschlo?. Er durfte es, nichts war unedel daran. Denn tiefer noch als diese Ichsucht lebte das Bewu?tsein, sich dennoch bei alldem im Dienste vor irgend etwas Hohem, ohne Verdienst freilich, sondern unter einer Notwendigkeit, uneigennützig zu verzehren und aufzuopfern. Und dies war seine Eifersucht: da? niemand gr??er werde als er, der nicht auch tiefer als er um dieses Hohe gelitten.
Niemand!... Er blieb stehen, die Hand
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