Gladius Dei; Schwere Stunde | Page 4

Thomas Mann
Opfergang unter die lachenden Feinde.
Da machte er sich auf am Vormittage und ging, weil Gott es wollte,
den Weg zur Kunsthandlung, zum großen Schönheitsgeschäft von M.
Blüthenzweig. Er trug die Kapuze über dem Kopf und hielt seinen
Mantel von innen mit beiden Händen zusammen, indes er wandelte.

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Es war schwül geworden; der Himmel war fahl, und ein Gewitter
drohte. Wiederum belagerte viel Volks die Fenster der Kunsthandlung,
besonders aber dasjenige, in dem das Madonnenbild sich befand.
Hieronymus warf nur einen kurzen Blick dorthin; dann drückte er die
Klinke der mit Plakaten und Kunstzeitschriften verhangenen Glastür.
»Gott will es!« sagte er und trat in den Laden.
Ein junges Mädchen, das irgendwo an einem Pult in einem großen
Buche geschrieben hatte, ein hübsches, brünettes Wesen mit
Haarbandeaux und zu großen Füßen, trat auf ihn zu und fragte
freundlich, was ihm zu Diensten stehe.
»Ich danke Ihnen«, sagte Hieronymus leise und blickte ihr, Querfalten
in seiner kantigen Stirn, ernst in die Augen. »Nicht Sie will ich
sprechen, sondern den Inhaber des Geschäftes, Herrn Blüthenzweig.«
Ein wenig zögernd zog sie sich von ihm zurück und nahm ihre
Beschäftigung wieder auf. Er stand inmitten des Ladens.
Alles, was draußen in einzelnen Beispielen zur Schau gestellt war, es
war hier drinnen zwanzigfach zu Häuf getürmt und üppig ausgebreitet:
eine Fülle von Farbe, Linie und Form, von Stil, Witz, Wohlgeschmack
und Schönheit. Hieronymus blickte langsam nach beiden Seiten, und
dann zog er die Falten seines schwarzen Mantels fester um sich
zusammen.
Es waren mehrere Leute im Laden anwesend. An einem der breiten
Tische, die sich quer durch den Raum zogen, saß ein Herr in gelbem
Anzug und mit schwarzem Ziegenbart und betrachtete eine Mappe mit

französischen Zeichnungen, über die er manchmal ein meckerndes
Lachen vernehmen ließ. Ein junger Mensch mit einem Aspekt von
Schlechtbezahltheit und Pflanzenkost bediente ihn, indem er neue
Mappen zur Ansicht herbeischleppte. Dem meckernden Herrn schräg
gegenüber prüfte eine vornehme alte Dame moderne Kunststickereien,
große Fabelblumen in blassen Tönen, die auf langen, steifen Stielen
senkrecht nebeneinander standen. Auch um sie bemühte sich ein
Angestellter des Geschäfts. An einem zweiten Tische saß, die
Reisemütze auf dem Kopfe und die Holzpfeife im Munde, nachlässig
ein Engländer. Durabel gekleidet, glatt rasiert, kalt und unbestimmten
Alters, wählte er unter Bronzen, die Herr Blüthenzweig ihm persönlich
herzutrug. Die ziere Gestalt eines nackten kleinen Mädchens, welche,
unreif und zart gegliedert, ihre Händchen in koketter Keuschheit auf
der Brust kreuzte, hielt er am Kopfe erfaßt und musterte sie eingehend,
indem er sie langsam um sich selbst drehte.
Herr Blüthenzweig, ein Mann mit kurzem braunen Vollbart und
blanken Augen von ebenderselben Farbe, bewegte sich händereibend
um ihn herum, indem er das kleine Mädchen mit allen Vokabeln pries,
deren er habhaft werden konnte.
»Hundertfünfzig Mark, Sir«, sagte er auf englisch; »Münchener Kunst,
Sir. Sehr lieblich in der Tat. Voller Reiz, wissen Sie. Es ist die Grazie
selbst, Sir. Wirklich äußerst hübsch, niedlich und
bewunderungswürdig.« Hierauf fiel ihm noch etwas ein und er sagte:
»Höchst anziehend und verlockend.« Dann fing er wieder von vorne
an.
Seine Nase lag ein wenig platt auf der Oberlippe, so daß er beständig in
einem leicht fauchenden Geräusch in seinen Schnurrbart schnüffelte.
Manchmal näherte er sich dabei dem Käufer in gebückter Haltung, als
beröche er ihn. Als Hieronymus eintrat, untersuchte Herr Blüthenzweig
ihn flüchtig in eben dieser Weise, widmete sich aber alsbald wieder
dem Engländer.
Die vornehme Dame hatte ihre Wahl getroffen und verließ den Laden.
Ein neuer Herr trat ein. Herr Blüthenzweig beroch ihn kurz, als wollte
er so den Grad seiner Kauffähigkeit erkunden, und überließ es der
jungen Buchhalterin, ihn zu bedienen. Der Herr erstand nur eine
Fayencebüste Piero's, Sohn des prächtigen Medici, und entfernte sich
wieder. Auch der Engländer begann nun aufzubrechen. Er hatte sich

das kleine Mädchen zu eigen gemacht und ging unter den
Verbeugungen Herrn Blüthenzweigs. Dann wandte sich der
Kunsthändler zu Hieronymus und stellte sich vor ihn hin.
»Sie wünschen...« fragte er ohne viel Demut.
Hieronymus hielt seinen Mantel von innen mit beiden Händen
zusammen und blickte Herrn Blüthenzweig fast ohne mit der Wimper
zu zucken ins Gesicht. Er trennte langsam seine dicken Lippen und
sagte:
»Ich komme zu Ihnen wegen des Bildes in jenem Fenster dort, der
großen Photographie, der Madonna.«--Seine Stimme war belegt und
modulationslos.
»Jawohl, ganz recht«, sagte Herr Blüthenzweig lebhaft und begann,
sich die Hände zu reiben: »Siebenzig Mark im Rahmen, mein Herr. Es
ist unveränderlich ... eine erstklassige Reproduktion. Höchst anziehend
und reizvoll.«
Hieronymus schwieg. Er neigte seinen Kopf in der Kapuze und sank
ein wenig in sich zusammen, während der Kunsthändler sprach; dann
richtete er sich wieder auf und sagte:
»Ich bemerke Ihnen im voraus, daß ich nicht in der Lage, noch
überhaupt willens bin, irgend etwas zu kaufen. Es tut mir leid, Ihre
Erwartungen enttäuschen zu müssen. Ich habe Mitleid mit Ihnen, wenn
Ihnen das
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