Gladius Dei; Schwere Stunde | Page 5

Thomas Mann
Schmerz bereitet. Aber erstens bin ich arm, und zweitens
liebe ich die Dinge nicht, die Sie feilhalten. Nein, kaufen kann ich
nichts.«
»Nicht ... also nicht«, sagte Herr Blüthenzweig und schnüffelte stark.
»Nun, darf ich fragen...«
»Wie ich Sie zu kennen glaube«, fuhr Hieronymus fort, »so verachten
Sie mich darum, daß ich nicht imstande bin, Ihnen etwas
abzukaufen...«
»Hm ...« sagte Herr Blüthenzweig. »Nicht doch! Nur ...«
»Dennoch bitte ich Sie, mir Gehör zu schenken und meinen Worten
Gewicht beizulegen.«
»Gewicht beizulegen. Hm. Darf ich fragen ...«
»Sie dürfen fragen«, sagte Hieronymus, »und ich werde Ihnen
antworten. Ich bin gekommen, Sie zu bitten, daß Sie jenes Bild, die
große Photographie, die Madonna, sogleich aus Ihrem Fenster
entfernen und sie niemals wieder zur Schau stellen.«

Herr Blüthenzweig blickte eine Weile stumm in Hieronymus' Gesicht,
mit einem Ausdruck, als forderte er ihn auf, über seine abenteuerlichen
Worte in Verlegenheit zu geraten. Da dies aber keineswegs geschah, so
schnüffelte er heftig und brachte hervor:
»Wollen Sie die Güte haben, mir mitzuteilen, ob Sie hier in irgendeiner
amtlichen Eigenschaft stehen, die Sie befugt, mir Vorschriften zu
machen, oder was Sie eigentlich herführt...«
»O nein«, antwortete Hieronymus; »ich habe weder Amt noch Würde
von Staates wegen. Die Macht ist nicht auf meiner Seite, Herr. Was
mich herführt, ist allein mein Gewissen.«
Herr Blüthenzweig bewegte nach Worten suchend den Kopf hin und
her, blies heftig mit der Nase in seinen Schnurrbart und rang mit der
Sprache. Endlich sagte er:
»Ihr Gewissen ... Nun, so wollen Sie gefälligst ... Notiz davon
nehmen ... daß Ihr Gewissen für uns eine ... eine gänzlich belanglose
Einrichtung ist!«--
Damit drehte er sich um, ging schnell zu seinem Pult im Hintergrunde
des Ladens und begann zu schreiben. Die beiden Ladendiener lachten
von Herzen. Auch das hübsche Fräulein kicherte über ihrem
Kontobuche. Was den gelben Herrn mit dem schwarzen Ziegenbart
betraf, so zeigte es sich, daß er ein Fremder war, denn er verstand
augenscheinlich nichts von dem Gespräch, sondern fuhr fort, sich mit
den französischen Zeichnungen zu beschäftigen, wobei er von Zeit zu
Zeit sein meckerndes Lachen vernehmen ließ.--
»Wollen Sie den Herrn abfertigen«, sagte Herr Blüthenzweig über die
Schulter hinweg zu seinem Gehilfen. Dann schrieb er weiter. Der junge
Mensch mit dem Aspekt von Schlechtbezahltheit und Pflanzenkost trat
auf Hieronymus zu, indem er sich des Lachens zu enthalten trachtete,
und auch der andere Verkäufer näherte sich.
»Können wir Ihnen sonst irgendwie dienlich sein?« fragte der
Schlechtbezahlte sanft. Hieronymus hielt unverwandt seinen leidenden,
stumpfen und dennoch durchdringenden Blick auf ihn gerichtet.
»Nein«, sagte er, »sonst können Sie es nicht. Ich bitte Sie, das
Madonnenbild unverzüglich aus dem Fenster zu entfernen, und zwar
für immer.«
»Oh ... Warum?«
»Es ist die heilige Mutter Gottes...« sagte Hieronymus gedämpft.

»Allerdings ... Sie hören ja aber, daß Herr Blüthenzweig nicht geneigt
ist, Ihren Wunsch zu erfüllen.«
»Man muß bedenken, daß es die heilige Mutter Gottes ist«, sagte
Hieronymus, und sein Kopf zitterte.
»Das ist richtig.--Und weiter? Darf man keine Madonnen ausstellen?
Darf man keine malen?«
»Nicht so! Nicht so!« sagte Hieronymus beinahe flüsternd, indem er
sich hoch emporrichtete und mehrmals heftig den Kopf schüttelte.
Seine kantige Stirn unter der Kapuze war ganz von langen und tiefen
Querfalten durchfurcht. »Sie wissen sehr wohl, daß es das Laster selbst
ist, das ein Mensch dort gemalt hat ... die entblößte Wollust! Von zwei
schlichten und unbewußten Leuten, die dieses Madonnenbild
betrachteten, habe ich mit meinen Ohren gehört, daß es sie an dem
Dogma der unbefleckten Empfängnis irremache...«
»Oh, erlauben Sie, nicht darum handelt es sich«, sagte der junge
Verkäufer überlegen lächelnd. Er schrieb in seinen Mußestunden eine
Broschüre über die moderne Kunstbewegung und war sehr wohl
imstande, ein gebildetes Gespräch zu führen.
»Das Bild ist ein Kunstwerk«, fuhr er fort, »und man muß den Maßstab
daranlegen, der ihm gebührt. Es hat allerseits den größten Beifall
gehabt. Der Staat hat es angekauft...«
»Ich weiß, daß der Staat es angekauft hat«, sagte Hieronymus. »Ich
weiß auch, daß der Maler zweimal beim Regenten gespeist hat. Das
Volk spricht davon, und Gott weiß, wie es sich die Tatsache deutet, daß
jemand für ein solches Werk zum hochgeehrten Manne wird. Wovon
legt diese Tatsache Zeugnis ab? Von der Blindheit der Welt, einer
Blindheit, die unfaßlich ist, wenn sie nicht auf schamloser Heuchelei
beruht. Dieses Gebilde ist aus Sinnenlust entstanden und wird in
Sinnenlust genossen ... ist dies wahr oder nicht? Antworten Sie;
antworten auch Sie, Herr Blüthenzweig!«
Eine Pause trat ein. Hieronymus schien allen Ernstes eine Antwort zu
verlangen und blickte mit seinen leidenden und durchdringenden
Augen abwechselnd auf die beiden Verkäufer, die ihn neugierig und
verdutzt anstarrten, und auf Herrn Blüthenzweigs runden Rücken. Es
herrschte Stille. Nur der gelbe Herr mit dem schwarzen Ziegenbart ließ,
über die französischen Zeichnungen gebeugt, sein meckerndes Lachen
vernehmen.

»Es ist wahr!« fuhr Hieronymus fort, und in seiner belegten Stimme
bebte
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