Gladius Dei; Schwere Stunde | Page 3

Thomas Mann
indes einer über des
anderen Schulter blickte. Hieronymus mischte sich unter sie und
begann auch seinerseits alle diese Dinge zu betrachten, alles in
Augenschein zu nehmen, Stück für Stück.
Er sah die Nachbildungen von Meisterwerken aus allen Galerieen der
Erde, die kostbaren Rahmen in ihrer simplen Bizarrerie, die
Renaissanceplastik, die Bronzeleiber und Ziergläser, die schillernden
Vasen, den Buchschmuck und die Porträts der Künstler, Musiker,
Philosophen, Schauspieler, Dichter, sah alles an und wandte an jeden
Gegenstand einen Augenblick. Indem er seinen Mantel von innen mit
beiden Händen fest zusammenhielt, drehte er seinen von der Kapuze
bedeckten Kopf in kleinen, kurzen Wendungen von einer Sache zur
nächsten, und unter seinen dunklen, an der Nasenwurzel stark sich
verdichtenden Brauen, die er emporzog, blickten seine Augen mit

einem befremdeten, stumpfen und kühl erstaunten Ausdruck auf jedes
Ding eine Weile. So erreichte er das erste Fenster, dasjenige, unter dem
das aufsehenerregende Bild sich befand, blickte eine Zeitlang den vor
ihm sich drängenden Leuten über die Schultern und gelangte endlich
nach vorn, dicht an die Auslage heran.
Die große, rötlichbraune Photographie stand, mit äußerstem
Geschmack in Altgold gerahmt, auf einer Staffelei inmitten des
Fensterraumes. Es war eine Madonna, eine durchaus modern
empfundene, von jeder Konvention freie Arbeit. Die Gestalt der
heiligen Gebärerin war von berückender Weiblichkeit, entblößt und
schön. Ihre großen, schwülen Augen waren dunkel umrändert, und ihre
delikat und seltsam lächelnden Lippen standen halb geöffnet. Ihre
schmalen, ein wenig nervös und krampfhaft gruppierten Finger
umfaßten die Hüfte des Kindes, eines nackten Knaben von
distinguierter und fast primitiver Schlankheit, der mit ihrer Brust spielte
und dabei seine Augen mit einem klugen Seitenblick auf den Beschauer
gerichtet hielt.
Zwei andere Jünglinge standen neben Hieronymus und unterhielten
sich über das Bild, zwei junge Männer mit Büchern unter dem Arm, die
sie aus der Staatsbibliothek geholt hatten oder dorthin brachten,
humanistisch gebildete Leute, beschlagen in Kunst und Wissenschaft.
»Der Kleine hat es gut, hol' mich der Teufel!« sagte der eine.
»Und augenscheinlich hat er die Absicht, einen neidisch zu machen«,
versetzte der andere... »Ein bedenkliches Weib!«
»Ein Weib zum Rasendwerden! Man wird ein wenig irre am Dogma
von der unbefleckten Empfängnis...«
»Ja, ja, sie macht einen ziemlich berührten Eindruck... Hast du das
Original gesehen?«
»Selbstverständlich. Ich war ganz angegriffen. Sie wirkt in der Farbe
noch weit aphrodisischer... besonders die Augen.«
»Die Ähnlichkeit ist eigentlich doch ausgesprochen.«
»Wieso?«
»Kennst du nicht das Modell? Er hat doch seine kleine Putzmacherin
dazu benützt. Es ist beinahe Porträt, nur stark ins Gebiet des Korrupten
hinaufstilisiert... Die Kleine ist harmloser.«
»Das hoffe ich. Das Leben wäre allzu anstrengend, wenn es viele gäbe,
wie diese mater amata...«

»Die Pinakothek hat es angekauft.«
»Wahrhaftig? Sieh da! Sie wußte wohl übrigens, was sie tat. Die
Behandlung des Fleisches und der Linienfluß des Gewandes ist
wirklich eminent.«
»Ja, ein unglaublich begabter Kerl.«
»Kennst du ihn?«
»Ein wenig. Er wird Karriere machen, das ist sicher. Er war schon
zweimal beim Regenten zur Tafel...«
Das letzte sprachen sie, während sie anfingen, voneinander Abschied
zu nehmen.
»Sieht man dich heute abend im Theater?« fragte der eine. »Der
dramatische Verein gibt Macchiavelli's 'Mandragola' zum besten.«
»Oh, bravo. Davon kann man sich Spaß versprechen. Ich hatte vor, ins
Künstlervarieté zu gehen, aber es ist wahrscheinlich, daß ich den
wackeren Nicolò schließlich vorziehe. Auf Wiedersehen...«
Sie trennten sich, traten zurück und gingen nach rechts und links
auseinander. Neue Leute rückten an ihre Stelle und betrachteten das
erfolgreiche Bild. Aber Hieronymus stand unbeweglich an seinem
Platze; er stand mit vorgestrecktem Kopfe, und man sah, wie seine
Hände, mit denen er auf der Brust seinen Mantel von innen
zusammenhielt, sich krampfhaft ballten. Seine Brauen waren nicht
mehr mit jenem kühl und ein wenig gehässig erstaunten Ausdruck
emporgezogen, sie hatten sich gesenkt und verfinstert, seine Wangen,
von der schwarzen Kapuze halb bedeckt, schienen tiefer ausgehöhlt als
vordem, und seine dicken Lippen waren ganz bleich. Langsam neigte
sein Kopf sich tiefer und tiefer, so daß er schließlich seine Augen ganz
von unten herauf starr auf das Kunstwerk gerichtet hielt. Die Flügel
seiner großen Nase bebten.
In dieser Haltung verblieb er wohl eine Viertelstunde. Die Leute um
ihn her lösten sich ab, er aber wich nicht vom Platze. Endlich drehte er
sich langsam, langsam auf den Fußballen herum und ging fort.

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Aber das Bild der Madonna ging mit ihm. Immerdar, mochte er nun in
seinem engen und harten Kämmerlein weilen oder in den kühlen
Kirchen knieen, stand es vor seiner empörten Seele, mit schwülen,
umränderten Augen, mit rätselhaft lächelnden Lippen, entblößt und

schön. Und kein Gebet vermochte es zu verscheuchen.
In der dritten Nacht aber geschah es, daß ein Befehl und Ruf aus der
Höhe an Hieronymus erging, einzuschreiten und seine Stimme zu
erheben gegen leichtherzige Ruchlosigkeit und frechen
Schönheitsdünkel. Vergebens wendete er, Mosen gleich, seine blöde
Zunge vor; Gottes Wille blieb unerschütterlich und verlangte laut von
seiner Zaghaftigkeit diesen
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