Gladius Dei; Schwere Stunde | Page 2

Thomas Mann

ausgestatteten Empfehlungen von Toilettenmitteln, archaisierende und
wirksame Plakate einladen.
Blick um dich, sich in die Fenster der Buchläden. Deinen Augen
begegnen Titel wie 'Die Wohnungskunst seit der Renaissance', 'Die
Erziehung des Farbensinnes', 'Die Renaissance im modernen
Kunstgewerbe', 'Das Buch als Kunstwerk', 'Die dekorative Kunst', 'Der
Hunger nach Kunst'--und du mußt wissen, daß diese Weckschriften
tausendfach gekauft und gelesen werden, und daß abends über
ebendieselben Gegenstände vor vollen Sälen geredet wird...
Hast du Glück, so begegnet dir eine der berühmten Frauen in Person,
die man durch das Medium der Kunst zu schauen gewohnt ist, eine
jener reichen und schönen Damen von künstlich hergestelltem
tizianischen Blond und im Brillantenschmuck, deren betörenden Zügen
durch die Hand eines genialen Porträtisten die Ewigkeit zuteil
geworden ist, und von deren Liebesleben die Stadt spricht--Königinnen
der Künstlerfeste im Karneval, ein wenig geschminkt, ein wenig gemalt,
voll einer edlen Pikanterie, gefallsüchtig und anbetungswürdig. Und
sieh, dort fährt ein großer Maler mit seiner Geliebten in einem Wagen
die Ludwigstraße hinauf. Man zeigt sich das Gefährt, man bleibt stehen
und blickt den beiden nach. Viele Leute grüßen. Und es fehlt nicht viel,
daß die Schutzleute Front machen.
Die Kunst blüht, die Kunst ist an der Herrschaft, die Kunst streckt ihr
rosenumwundenes Zepter über die Stadt hin und lächelt. Eine allseitige
respektvolle Anteilnahme an ihrem Gedeihen, eine allseitige, fleißige
und hingebungsvolle Übung und Propaganda in ihrem Dienste, ein
treuherziger Kultus der Linie, des Schmuckes, der Form, der Sinne, der
Schönheit obwaltet... München leuchtete.

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Es schritt ein Jüngling die Schellingstraße hinan; er schritt, umklingelt

von den Radfahrern, in der Mitte des Holzpflasters der breiten Fassade
der Ludwigskirche entgegen. Sah man ihn an, so war es, als ob ein
Schatten über die Sonne ginge oder über das Gemüt eine Erinnerung an
schwere Stunden. Liebte er die Sonne nicht, die die schöne Stadt in
Festglanz tauchte? Warum hielt er in sich gekehrt und abgewandt die
Augen zu Boden gerichtet, indes er wandelte?
Er trug keinen Hut, woran bei der Kostümfreiheit der leichtgemuten
Stadt keine Seele Anstoß nahm, sondern hatte statt dessen die Kapuze
seines weiten, schwarzen Mantels über den Kopf gezogen, die seine
niedrige, eckig vorspringende Stirn beschattete, seine Ohren bedeckte
und seine hageren Wangen umrahmte. Welcher Gewissensgram,
welche Skrupeln und welche Mißhandlungen seiner selbst hatten diese
Wangen so auszuhöhlen vermocht? Ist es nicht schauerlich, an solchem
Sonnentage den Kummer in den Wangenhöhlen eines Menschen
wohnen zu sehen? Seine dunklen Brauen verdickten sich stark an der
schmalen Wurzel seiner Nase, die groß und gehöckert aus dem
Gesichte hervorsprang, und seine Lippen waren stark und wulstig.
Wenn er seine ziemlich nahe beieinanderliegenden braunen Augen
erhob, bildeten sich Querfalten auf seiner kantigen Stirn. Er blickte mit
einem Ausdruck von Wissen, Begrenztheit und Leiden. Im Profil
gesehen, glich dieses Gesicht genau einem alten Bildnis von
Möncheshand, aufbewahrt zu Florenz in einer engen und harten
Klosterzelle, aus welcher einstmals ein furchtbarer und
niederschmetternder Protest gegen das Leben und seinen Triumph
erging...
Hieronymus schritt die Schellingstraße hinan, schritt langsam und fest,
indes er seinen weiten Mantel von innen mit beiden Händen
zusammenhielt. Zwei kleine Mädchen, zwei dieser hübschen,
untersetzten Wesen mit den Haarbandeaux, den zu großen Füßen und
den unbedenklichen Sitten, die Arm in Arm und abenteuerlustig an ihm
vorüberschlenderten, stießen sich an und lachten, legten sich vornüber
und gerieten ins Laufen vor Lachen über seine Kapuze und sein Gesicht.
Aber er achtete dessen nicht. Gesenkten Hauptes und ohne nach rechts
oder links zu blicken, überschritt er die Ludwigstraße und stieg die
Stufen der Kirche hinan.
Die großen Flügel der Mitteltür standen weit geöffnet. In der geweihten
Dämmerung, kühl, dumpfig und mit Opferrauch geschwängert, war

irgendwo fern ein schwaches, rötliches Glühen bemerkbar. Ein altes
Weib mit blutigen Augen erhob sich von einer Betbank und schleppte
sich an Krücken zwischen den Säulen hindurch. Sonst war die Kirche
leer.
Hieronymus benetzte sich Stirn und Brust am Becken, beugte das Knie
vor dem Hochaltar und blieb dann im Mittelschiffe stehen. War es nicht,
als sei seine Gestalt gewachsen, hier drinnen? Aufrecht und
unbeweglich, mit frei erhobenem Haupte stand er da, seine große,
gehöckerte Nase schien mit einem herrischen Ausdruck über den
starken Lippen hervorzuspringen, und seine Augen waren nicht mehr
zu Boden gerichtet, sondern blickten kühn und geradeswegs ins Weite,
zu dem Kruzifix auf dem Hochaltar hinüber. So verharrte er reglos eine
Weile; dann beugte er zurücktretend aufs neue das Knie und verließ die
Kirche.
Er schritt die Ludwigstraße hinauf, langsam und fest, gesenkten
Hauptes, inmitten des breiten, ungepflasterten Fahrdammes, entgegen
der gewaltigen Loggia mit ihren Statuen. Aber auf dem Odeonsplatze
angelangt, blickte er auf, so daß sich Querfalten auf seiner kantigen
Stirne bildeten, und hemmte seine Schritte: aufmerksam gemacht durch
die Menschenansammlung vor den Auslagen der großen
Kunsthandlung, des weitläufigen Schönheitsgeschäftes von M.
Blüthenzweig.
Die Leute gingen von Fenster zu Fenster, zeigten sich die ausgestellten
Schätze und tauschten ihre Meinungen aus,
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