Gespenster | Page 5

Henrik Ibsen
die Thür links ein. Ihr folgt =Regine=,
welche sofort wieder durch die vordere Thür rechts abgeht.)
=Frau Alving= (streckt ihm die Hand entgegen). Willkommen, Herr
Pastor.
=Pastor Manders.= Guten Tag, Frau Alving. Hier bin ich, wie ich es
versprochen habe.
=Frau Alving.= Stets mit dem Glockenschlag!
=Pastor Manders.= Aber Sie können mir glauben, daß es mir schwer
geworden ist, fort zu kommen. All diese gesegneten Commissionen
und Aemter, in denen ich sitze -- --
=Frau Alving.= Desto liebenswürdiger ist es von Ihnen, daß Sie so früh
gekommen sind. Jetzt können wir unsere Geschäfte noch vor dem
Mittagessen erledigen. Aber wo ist Ihr Koffer?
=Pastor Manders= (schnell). Mein Gepäck ist unten beim Landkrämer.
Ich werde bei ihm übernachten.
=Frau Alving= (unterdrückt ein Lächeln). Sind Sie wirklich auch dieses
Mal nicht zu bewegen, in meinem Hause zu übernachten?
=Pastor Manders.= Nein, nein, Frau Alving; ich danke Ihnen bestens;
ich bleibe wie gewöhnlich da unten. Es ist so bequem für mich, wenn
ich wieder an Bord gehe.
=Frau Alving.= Nun, Sie sollen Ihren Willen haben. Aber mich sollte
doch dünken, daß wir beiden alten Leute -- --
=Pastor Manders.= Gott bewahre mich, wie Sie nur scherzen! Ja, Sie

sind heute natürlich so unendlich froh. Einerseits der morgende Festtag
-- und dann ist ja auch Oswald heimgekehrt.
=Frau Alving.= Ja, denken Sie nur, wie glücklich ich bin! Vor zwei
Jahren war er zum letzten Mal zu Hause. Und jetzt hat er versprochen,
den ganzen Winter bei mir zu bleiben.
=Pastor Manders.= In der That? Das ist schön und kindlich von ihm.
Denn das Leben in Rom und Paris muß doch eigentlich mehr
Anziehungskraft für ihn haben, als dies ruhige Dasein hier zu Hause.
=Frau Alving.= Ja, aber sehen Sie, hier zu Hause hat er seine M u t t e r!
O mein lieber, gesegneter Junge, -- er hat noch ein Herz für seine
Mutter!
=Pastor Manders.= Nun, es wäre aber auch zu traurig, wenn die
Trennung und die Beschäftigung mit der Kunst im Stande wären, die
natürlichsten Gefühle zu ertödten.
=Frau Alving.= Ja, da haben Sie Recht. Aber Gott sei Dank, mit ihm
hat es keine Noth. Jetzt bin ich aber begierig, ob Sie ihn wieder
erkennen werden. Er muß gleich kommen; er liegt nur noch ein wenig
auf dem Sopha, um auszuruhen. -- Aber setzen Sie sich, mein lieber
Herr Pastor.
=Pastor Manders.= Danke. Es kommt Ihnen also gelegen -- --?
=Frau Alving.= Ja, gewiß! (Setzt sich an den Tisch.)
=Pastor Manders.= Gut; jetzt sollen Sie also sehen -- (Geht an den
Stuhl, auf welchem die Reisetasche liegt, nimmt ein Paquet Papiere aus
derselben, setzt sich an das entgegengesetzte Ende des Tisches und
sucht einen leeren Platz für seine Papiere.) Hier haben wir also erstens
-- -- (Unterbricht sich.) Sagen Sie mir, Frau Alving, wie kommen
d i e s e Bücher h i e r her?
=Frau Alving.= Diese Bücher? Das sind Bücher, welche ich lese.

=Pastor Manders.= Lesen Sie s o l c h e Schriften?
=Frau Alving.= Ja, gewiß thue ich das.
=Pastor Manders.= Und fühlen Sie, daß Sie durch diese Lectüre besser
oder glücklicher werden?
=Frau Alving.= Mir ist, als würde ich ruhiger.
=Pastor Manders.= Das ist merkwürdig. Wie das?
=Frau Alving.= Ja, denn ich erhalte dort gleichsam Erklärung und
Bekräftigung dessen, was ich oft selbst gedacht habe. Denn das ist das
seltsame, Pastor Manders, -- es steht eigentlich durchaus nichts neues
in diesen Büchern; es steht nichts anderes darin als das, was die
meisten Menschen selbst gedacht und geglaubt haben. Es ist nur, daß
die meisten Menschen sich nicht klar darüber werden oder nichts davon
wissen wollen.
=Pastor Manders.= O du mein Gott! Glauben Sie in allem Ernst, daß
die meisten Menschen -- --?
=Frau Alving.= Ja, gewiß glaube ich das.
=Pastor Manders.= Aber doch nicht hier bei uns zu Lande? Nicht hier
bei uns?
=Frau Alving.= O gewiß, auch hier bei uns!
=Pastor Manders.= Nun, da muß ich aber sagen --!
=Frau Alving.= Aber was haben Sie denn eigentlich gegen diese
Bücher einzuwenden?
=Pastor Manders.= Einzuwenden? Sie glauben doch wohl nicht, daß
ich mich damit beschäftige, solche Erzeugnisse durch zu studiren.
=Frau Alving.= Das heißt also, Sie k e n n e n nicht einmal, was Sie
verdammen?

=Pastor Manders.= Ich habe hinlänglich ü b e r diese Schriften gelesen,
um sie zu mißbilligen.
=Frau Alving.= Ja, aber Ihre eigene Meinung -- --
=Pastor Manders.= Beste Frau, es giebt gar manche Fälle im Leben, wo
man sich auf Andere verlassen muß. Es ist nun einmal so auf dieser
Welt; und es ist gut, daß es so ist. Wie sollte es sonst mit der
menschlichen Gesellschaft werden?
=Frau Alving.= Ja, ja, darin mögen Sie Recht haben.
=Pastor Manders.= Uebrigens läugne ich gar nicht, daß dergleichen
Schriften manches Anziehende enthalten können. Und ich verdenke es
Ihnen auch gar nicht, wenn Sie
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