Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl | Page 8

Clemens Brentano
mit Rosen und Talern wie mir und auch einen Freund, der ihm eine Bittschrift macht, wenn es Ihm not tut. Aber jetzt gehe Er nach Haus, lieber Freund, und kaufe Er sich einen Bogen Papier und schreibe Er die Bittschrift; ich will hier auf Ihn warten, noch eine Stunde, dann gehe ich zu meiner Pate, Er kann mitgehen; sie wird sich auch freuen an der Bittschrift. Sie hat gewi? ein gut Herz, aber Gottes Gerichte sind wunderbar."
Nach diesen Worten ward die Alte wieder still, senkte den Kopf und schien zu beten. Der Taler lag noch auf ihrem Scho?. Sie weinte. "Liebe Mutter, was fehlt Euch, was tut Euch so weh, Ihr weinet?" sprach ich.
"Nun, warum soll ich denn nicht weinen? Ich weine auf den Taler, ich weine auf die Bittschrift, auf alles weine ich. Aber es hilft nichts, es ist doch alles viel, viel besser auf Erden, als wir Menschen es verdienen, und gallenbittre Tr?nen sind noch viel zu sü?e. Sehe Er nur einmal das goldne Kamel da drüben, an der Apotheke, wie doch Gott alles so herrlich und wunderbar geschaffen hat! Aber der Mensch erkennt es nicht, und ein solch Kamel geht eher durch ein Nadel?hr als ein Reicher in das Himmelreich.--Aber was sitzt Er denn immer da? Gehe Er, den Bogen Papier zu kaufen, und bringe Er mir die Bittschrift."
"Liebe Mutter", sagte ich, "wie kann ich Euch die Bittschrift machen, wenn Ihr mir nicht sagt, was ich hineinschreiben soll?"
"Das mu? ich Ihm sagen?" erwiderte sie; "dann ist es freilich keine Kunst, und wundre ich mich nicht mehr, da? Er sich einen Schreiber zu nennen sch?mte. wenn man Ihm alles sagen soll. Nun, ich will mein M?gliches tun. Setz Er in die Bittschrift, da? zwei Liebende beieinander ruhen sollen, und da? sie einen nicht auf die Anatomie bringen sollen, damit man seine Glieder beisammen hat, wenn es hei?t: "Ihr Toten, ihr Toten sollt auf erstehn, ihr sollt vor das Jüngste Gerichte gehn!"" Da fing sie wieder bitterlich an zu weinen.
Ich ahnete, ein schweres Leid müsse auf ihr lasten, aber sie fühle bei der Bürde ihrer Jahre nur in einzelnen Momenten sich schmerzlich gerührt. Sie weinte, ohne zu klagen, ihre Worte waren immer gleich ruhig und kalt. Ich bat sie nochmals, mir die ganze Veranlassung zu ihrer Reise in die Stadt zu erz?hlen, und sie sprach: "Mein Enkel, der Ulan, von dem ich Ihm erz?hlte, hatte doch mein Patchen sehr lieb, wie ich Ihm vorher sagte, und sprach der sch?nen Annerl, wie die Leute sie ihres glatten Spiegels wegen nannten, immer von der Ehre vor und sagte ihr immer, sie solle auf ihre Ehre halten und auch auf seine Ehre. Da kriegte dann das M?dchen etwas ganz Apartes in ihr Gesicht und ihre Kleidung von der Ehre; sie war feiner und manierlicher als alle andere Dirnen. Alles sa? ihr knapper am Leibe, und wenn sie ein Bursche einmal ein wenig derb beim Tanze anfa?te oder sie etwa h?her als den Steg der Ba?geige schwang, so konnte sie bitterlich darüber bei mir weinen und sprach dabei immer, es sei wider ihre Ehre. Ach, das Annerl ist ein eignes M?dchen immer gewesen. Manchmal, wenn kein Mensch es sich versah, fuhr sie mit beiden H?nden nach ihrer Schürze und ri? sie sich vom Leibe, als ob Feuer drin sei, und dann fing sie gleich entsetzlich an zu weinen; aber das hat seine Ursache, es hat sie mit Z?hnen hingerissen, der Feind ruht nicht. W?re das Kind nur nicht stets so hinter der Ehre her gewesen und h?tte sich lieber an unsren lieben Gott gehalten, h?tte ihn nie von sich gelassen, in aller Not, und h?tte seinetwillen Schande und Verachtung ertragen statt ihrer Menschenehre. Der Herr h?tte sich gewi? erbarmt und wird es auch noch; ach, sie kommen gewi? zusammen, Gottes Wille geschehe!
Der Ulan stand wieder in Frankreich, er hatte lange nicht geschrieben, und wir glaubten ihn fast tot und weinten oft um ihn. Er war aber im Hospital an einer schweren Blessur krank gelegen, und als er wieder zu seinen Kameraden kam und zum Unteroffizier ernannt wurde, fiel ihm ein, da? ihm vor zwei Jahren sein Stiefbruder so übers Maul gefahren: er sei nur Gemeiner und der Vater Korporal, und dann die Geschichte von dem franz?sischen Unteroffizier, und wie er seinem Annerl von der Ehre so viel geredet, als er Abschied genommen. Da verlor er seine Ruhe und kriegte das Heimweh und sagte zu seinem Rittmeister, der ihn um sein Leid fragte: "Ach, Herr Rittmeister, es ist, als ob es mich mit den Z?hnen nach Hause z?ge." Da lie?en sie ihn heimreisen mit seinem Pferd, denn alle seine Offiziere trauten ihm. Er kriegte auf drei Monate Urlaub und sollte mit der Remonte wieder zurückkommen. Er eilte, so sehr er konnte, ohne seinem Pferde wehe zu tun, welches er besser pflegte als jemals, weil
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