Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl | Page 6

Clemens Brentano
runder. Oben stund er, Nun bergunter, 's ist kein Wunder!
"Schau Er, lieber Mensch, ist es nicht gut, da? ich hier sitzen geblieben? Es ist alles einerlei, glaub Er mir; heut sind es siebenzig Jahre, da sa? ich hier vor der Türe, ich war eine flinke Magd und sang gern alle Lieder. Da sang ich auch das Lied vom Jüngsten Gericht wie heute, da die Runde vorbeiging, und da warf mir ein Grenadier im Vorübergehn eine Rose in den Scho?--die Bl?tter hab ich noch in meiner Bibel liegen--, das war meine erste Bekanntschaft mit meinem seligen Mann. Am andern Morgen hatte ich die Rose vorgesteckt in der Kirche, und da fand er mich, und es ward bald richtig. Drum hat es mich gar sehr gefreut, da? mir heut wieder eine Rose ward. Es ist ein Zeichen, da? ich zu ihm kommen soll, und darauf freu ich mich herzlich. Vier S?hne und eine Tochter sind mir gestorben, vorgestern hat mein Enkel seinen Abschied genommen--Gott helfe ihm und erbarme sich seiner!--und morgen verl??t mich eine andre gute Seele, aber was sag ich morgen, ist es nicht schon Mitternacht vorbei?"
"Es ist zw?lfe vorüber", erwiderte ich, verwundert über ihre Rede.
"Gott gebe ihr Trost und Ruhe die vier Stündlein, die sie noch hat!" sagte die Alte und ward still, indem sie die H?nde faltete. Ich konnte nicht sprechen, so erschütterten mich ihre Worte und ihr ganzes Wesen. Da sie aber ganz stille blieb und der Taler des Offiziers noch in ihrer Schürze lag, sagte ich zu ihr: "Mutter, steckt den Taler zu Euch, Ihr k?nntet ihn verlieren."
"Den wollen wir nicht weglegen, den wollen wir meiner Befreundeten schenken in ihrer letzten Not!" erwiderte sie. "Den ersten Taler nehm ich morgen wieder mit nach Haus, der geh?rt meinem Enkel, der soll ihn genie?en. Ja seht, es ist immer ein herrlicher Junge gewesen und hielt etwas auf seinen Leib und auf seine Seele--ach Gott, auf seine Seele!--Ich habe gebetet den ganzen Weg, es ist nicht m?glich, der liebe Herr l??t ihn gewi? nicht verderben. Unter allen Burschen war er immer der reinlichste und flei?igste in der Schule, aber auf die Ehre war er vor allem ganz erstaunlich. Sein Leutnant hat auch immer gesprochen: "Wenn meine Schwadron Ehre im Leibe hat, so sitzt sie bei dem Finkel im Quartier." Er war unter den Ulanen. Als er zum erstenmal aus Frankreich zurückkam, erz?hlte er allerlei sch?ne Geschichten, aber immer war von der Ehre dabei die Rede. Sein Vater und sein Stiefbruder waren bei dem Landsturm und kamen oft mit ihm wegen der Ehre in Streit; denn was er zuviel hatte, hatten sie nicht genug. Gott verzeih mir meine schwere Sünde, ich will nicht schlecht von ihnen reden, jeder hat sein Bündel zu tragen: aber meine selige Tochter, seine Mutter, hat sich zu Tode gearbeitet bei dem Faulpelz, sie konnte nicht erschwingen, seine Schulden zu tilgen. Der Ulan erz?hlte von den Franzosen, und als der Vater und Stiefbruder sie ganz schlecht machen wollten, sagte der Ulan: "Vater, das versteht Ihr nicht, sie haben doch viel Ehre im Leibe!" Da ward der Stiefbruder tückisch und sagte: "Wie kannst du deinem Vater so viel von der Ehre vorschwatzen? War er doch Unteroffizier im N... schen Regiment und mu? es besser als du verstehn, der nur Gemeiner ist!"--"Ja", sagte da der alte Finkel, der nun auch rebellisch ward, "das war ich und habe manchen vorlauten Burschen fünfundzwanzig aufgez?hlt; h?tte ich nur Franzosen in der Kompanie gehabt, die sollten sie noch besser gefühlt haben, mit ihrer Ehre!" Die Rede tat dem Ulanen gar weh, und er sagte: "Ich will ein Stückchen von einem franz?sischen Unteroffizier erz?hlen, das gef?llt mir besser. Unterm vorigen K?nig sollten auf einmal die Prügel bei der franz?sischen Armee eingeführt werden. Der Befehl des Kriegsministers wurde zu Stra?burg bei einer gro?en Parade bekanntgemacht, und die Truppen h?rten in Reih und Glied die Bekanntmachung mit stillem Grimm an. Da aber noch am Schlu? der Parade ein Gemeiner einen Exze? machte, wurde sein Unteroffizier vorkommandiert, ihm zw?lf Hiebe zu geben. Es wurde ihm mit Strenge befohlen, und er mu?te es tun. Als er aber fertig war, nahm er das Gewehr des Mannes, den er geschlagen hatte, stellte es vor sich an die Erde und drückte mit dem Fu?e los, da? ihm die Kugel durch den Kopf fuhr und er tot niedersank. Das wurde an den K?nig berichtet, und der Befehl, Prügel zu geben, ward gleich zurückgenommen. Seht, Vater, das war ein Kerl, der Ehre im Leib hatte!"--"Ein Narr war es", sprach der Bruder. "Fre? deine Ehre, wenn du Hunger hast!" brummte der Vater. Da nahm mein Enkel seinen S?bel und ging aus dem Haus und kam zu mir in mein H?uschen und erz?hlte mir alles und weinte die bittern Tr?nen. Ich konnte ihm nicht helfen; die Geschichte, die er mir auch erz?hlte, konnte ich zwar
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