Geschichte der Englischen Sprache und Literatur | Page 8

Ottomar Behnsch
zu Deva (Chester)
gestanden hatte, gänzlich aus Britannien herausgezogen war, dass aber
zwei legionen mit zahlreichen hilfstruppen immer noch zum schutze
Britannien's dienten und zwar dieselben, welche immer in diesem lande
gestanden hatten: die VI. legion in ihrem alten hauptquartier zu
Eburacum (York), und die II. legion, welche aber von Isca nach
Rutupiae an die südöstliche küste verlegt worden war, entweder um die
einfälle der Sachsen abzuwehren, oder um die Verbindung mit Gallien
zu unterhalten. Dabei waren die südöstlichen und östlichen küsten
stark befestigt und mehrere neue forts errichtet worden.
Im anfange des fünften Jahrhunderts empörten sich die soldaten in
Britannien und machten einen gewissen Marcus und bald darauf den
Gratian, einen britannischen stadtbürger,[20] zum kaiser, welcher
jedoch nach vier monaten von ihnen wieder erschlagen wurde. Hierauf
folgte ein gemeiner soldat, der wegen seines namens Constantinus zum
kaiser gewählt wurde. Dieser hielt sich einige zeit, wurde auch in
Gallien, wo er die hereinbrechenden Deutschen schlug, als kaiser des
abendreiches begrüsst und bekam auch Spanien in seine gewalt. Einige
jahre später, als der kaiser Honorius durch den tod Alarich's im jahre
411 von diesem furchtbaren feinde befreit war, sandte er Constantius
mit einer grossen armee gegen Constantinus, welcher in Arles
eingeschlossen, zur übergabe gezwungen und später in Ravenna
getödtet wurde. Der sieg des Constantius war weder im stande, das in
seinen grundfesten erschütterte reich zu halten, noch Spanien, Gallien
und Britannien zu beruhigen. Diese provinzen unterwarfen sich der
römischen herrschaft nicht mehr, sondern erwehrten sich ihrer feinde,
so gut sie konnten.
[Footnote 20: Apud Britannias Gratianus, municeps eiusdem insulæ
tyrannus creatur et occiditur. Orosius histor. VII, 40.]

Während Constantinus in Gallien kriegte, hatten die brittischen städte
im jahre 409 die unmächtigen kaiserlichen regierungsbeamten[21]
abgesetzt, die plündernden Sachsen mit den waffen in der hand
vertrieben, und waren von Honorius, welcher in Italien von den Gothen
geängstigt wurde, im jahre 410 sogar aufgefordert worden, sich selbst
zu beschützen,[22] denn die römischen legionen, welche
ununterbrochen fast fünfhundert jahre lang in Britannien geherrscht
hatten, waren von Constantinus nach Gallien geführt worden und
kehrten nicht mehr zurück, da der abendländische kaiser zu grosse
mühe hatte, Italien vor den anstürmenden barbaren zu beschützen, um
eine entfernte und an den grenzen durch fortwährende einfälle
unermüdlicher feinde bedrohte provinz zu vertheidigen: Britannien
ward sich selbst überlassen.
[Footnote 21: Sharon Turner's History of the Anglo-Saxons vol. I.,
Book II., chapt. VIII. handelt von der eintheilung Britannien's als
provinz und ihren kaiserlichen regierungsbeamten.]
[Footnote 22: Dieser merkwürdige moment der brittischen geschichte
ist aufbewahrt und überliefert von Zosimus VI, 6. 10.]
Durch die römerherrschaft war Britannien der civilisation gewonnen
worden. Das land befand sich während derselben in einem blühenden
zustande, war in allen theilen mit schön gebauten Städten bedeckt und
mit einem netz gut angelegter strassen überzogen, wovon das grosse
Itinerarium[23] des römischen reiches, welches unter dem namen des
Antoninus Augustus bekannt ist und wahrscheinlich aus dem jahre 320
herrührt, so wie ein anderes Itinerarium zeugniss ablegt, welches
Richard von Cirencester, ein mönch des vierzehnten jahrhunderts, aus
einem alten wegebuche oder einer alten karte entnommen haben
soll.[24] Die vielen römischen alterthümer, strassen, brücken,
wasserleitungen, tempel, villen, thürme, wohngebäude, altäre,
votivtafeln, gräber, waffen, schmucksachen und andere gegenstände
des täglichen lebens wie der kunst, welche in späterer zeit über ganz
England zerstreut gefunden worden sind, liefern den unumstösslichen
culturhistorischen beweis von Britannien's blüthe unter den
Römern.[25]

[Footnote 23: Abgedruckt mit bezug auf Britannien aus der ausgabe
von Wesseling in Thomas Wright's The Celt, the Roman etc. (S. 455.)]
[Footnote 24: Diese compilation Richard's von Cirencester wurde
zuerst im jahre 1757 nach einer handschrift des vierzehnten
Jahrhunderts zu Copenhagen in 8. von Bertram herausgegeben. Sie
enthält achtzehn itinera, welche, wie Richard sagt, aus den
zusammenstellungen geschöpft sind, die ein römischer heerführer habe
veranstalten lassen. Thomas Wright's buch enthält (S. 459) diese
achtzehn itinera Richard's von Cirencester, so wie den auf Britannien
bezüglichen theil (S. 463) des im siebenten jahrhunderte zu Ravenna
entstandenen geographischen werkes, welches in zwei handschriften
(im Vatican und in der pariser bibliothek) auf uns gekommen ist.]
[Footnote 25: Gildas spricht von Britanniens romanisirung »ita, ut non
Britannia. sed Romana insula censeretur.«]
Wenn man aber von Römern in den provinzen des grossen weltreichs
spricht, so darf man während der kaiserzeit bei diesem worte nur noch
selten an die bewohner Rom's denken. Die ältesten römischen
colonisten in den eroberten ländern bestanden freilich meist aus
römischen bürgern und soldaten, welche ihre zeit ausgedient hatten,
oder nicht länger zu dienen im stande waren, und für geleistete
kriegsdienste durch landschenkungen belohnt werden sollten. Sie
überkamen mit dem lande, das ihnen gegeben ward, zugleich die pflicht,
die neue stadt und ihr gebiet zu schützen. In dieser weise ward
Camulodunum (Colchester) gegründet, wie wir aus Tacitus erfahren.
Als sich die herrschaft der römer ausdehnte, wurden den römischen
legionen zahlreiche hilfstruppen beigegeben, welche aus der jungen
mannschaft der unterjochten provinzen ausgehoben waren.
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