Gebete für Israeliten | Page 8

A.A. Wolff

wenn ich erwache, spreche ich von dir, denn du bist mir eine Hilfe, und
im Schatten deiner Flügel fühle ich mich so sicher«,[14] früh suche ich
darum dich, und meine Seele dürstet nach dir, mein Gott. Ach, möchte
doch meine Seele dir anhängen, und möchte deine Rechte mich
unterstützen den ganzen Tag und mich leiten und aufrecht halten, wo
ich auch wandre, und mit wem ich auch verkehre. Ich möchte so gern
mit Milde und Sanftmut unter meinen Brüdern wandern, aber feindlich
Gesinnte, Haßerfüllte, Lieblose, denen ich begegne, könnten so leicht
meinen Zorn aufflammen lassen; ich möchte so gerne einen innigen,
festen Glauben an den Tag legen, aber Leichtsinnige und Gleichgültige
könnten meinen Eifer kühlen, und Scheinheilige all meinem frommen
Streben in den Weg treten; es wird so schwer, die heilige Flamme auf
dem Altar des Herzens vom Morgen bis zum Abend rein und jedes
fremde Feuer fern zu halten; es wird so schwer, einen schuldfreien und
heitern Sinn zu bewahren; die Freuden, die deine Güte uns bereitet, so
zu genießen, daß keine sündhafte Neigung oder Lust in die Seele dringe,
und daß diejenigen, welche auf uns sehen, nicht in ihrem Urteile über
uns irre geleitet werden; es ist so schwer, Freundlichkeit und Ernst,
Nachsicht und Duldung mit unerschütterlicher Festigkeit im Glauben
zu vereinen. Wie leicht artet nicht ein freundlicher, nachgiebiger Sinn
zu einer eitlen Lust aus, den Menschen zu gefallen! Wenn ich den
Beifall der Welt ernte, so macht es mich so hochmütig und stolz, und

weniger vermag ich ihre Kälte, ihren Spott oder ihre Geringschätzung
zu ertragen, sie erbittert meinen Geist und lähmt meine Kraft, und doch
soll ich im Kampfe nicht schwanken und nicht verzagen. Sieh! darum
bitte ich: Herr, lehre mich deine Wege erkennen und leite mich auf die
rechten Pfade, nicht nur meiner selbst wegen, sondern auch
derentwegen, die auf mich schauen, und mit denen ich heute verkehre,
ja meiner Freunde und Verwandten und meiner Hausgenossen wegen.
Möchte ich in der Freude sowohl als im Schmerze, den du in deiner
Weisheit mir zusendest, mich als echter Israelit bewähren, der dein
göttliches Gebot in seinem Herzen trägt, daß all mein Wirken auf Erden
ein himmlisches Gepräge an sich trage und Zeugnis gebe von meinem
Streben, an deinem Reiche zu bauen. Laß einen freundlichen
himmlischen Strahl sowohl meine Lust als meine Arbeit beleuchten,
laß den Tau des Himmels auch bei der Mühe und Hitze des Tages mich
erquicken, in dem Kampfe des Lebens mich stärken und zu jeglicher
Zeit mein Herz erfreuen! O, so verlaß mich nicht, mein Gott, sondern
segne mich und die Meinen heute, laß mich nicht verzagen, wenn du
mich väterlich züchtigest; sondern lege in meine Seele das rechte
kindliche Vertrauen zu dir, und gib, daß mein Wandel der Lobgesang
wird, womit ich unablässig dich preise.
Amen!
[Fußnote 14: Ps. 63, 7. 8.]

Betrachtung über 1. Buch Mosis 1, 14-19.
16. Herr, allweiser, allgütiger Schöpfer! Ich danke dir, daß du mich
diesen vierten Tag der Woche hast erleben lassen, den Tag, der aus der
Schöpfungszeit Zeugnis gibt von deiner unendlichen Weisheit und
Macht, mit welcher du die Gestirne auf ihren Bahnen leitest, die Sonne,
den Mond und die zahllosen leuchtenden Welten, daß sie mit
himmlischem Glanze für uns leuchten, die Erde erwärmen und
befruchten und in den dunklen Nächten Wege auf dem öden Meere
zeigen, ja daß sie uns dienen, um unsere Wanderungstage zu zählen
und unsere festlichen Zeiten zu bestimmen. Sieh, du hast ihnen Ziel

und Grenze gesetzt, daß sie nicht von ihren Bahnen weichen, sondern
jeder Himmelskörper seinem vorgeschriebenen Gesetz folgt und nicht
hinein schreitet in den Kreis eines andern; wenn er verschwunden zu
sein scheint, so leuchtet er in einer anderen Welt oder beginnt aufs neue
seinen Lauf, um deine Herrlichkeit an dem unermeßlichen
Himmelsgewölbe zu verkünden. O, mein Gott!»wenn ich anschaue den
Himmel, deiner Hände Werk, den Mond und die Sterne, die du
geschaffen,--was ist ein Sterblicher, daß du sein gedenkst und der
Menschensohn, daß du auf ihn achtest?«[15] Und doch bin ja auch ich
von dir bestimmt, ein Glied in der Kette des All zu sein, und auch
meiner Bahn hast du Gesetz angeordnet, dem ich folgen soll, und das
ich nicht überschreiten darf. Ach, wie oft habe ich gerade den Weg
verlassen, der mir vorgezeichnet ward, wie oft unternahm ich nicht
gerade das, wozu ich nicht berufen war, und durchkreuzte da die Bahn
eines andern und richtete da Verwirrung an, wo ich über Gottes
Ordnung und Gesetz wachen sollte! O! ich will darum zum Himmel
empor schauen und zu seinem strahlenden Heere, daß ich von ihnen
lerne, für meine Brüder zu leuchten, und sie mit der vollen Liebe
meines Herzens zu erwärmen; daß ich vom Monde lerne, Erquickung,
Trost und Friede in trübe und angstvolle Seelen zu bringen, von der
Sonne, die für alle, auch für die Ungerechten aufgeht,
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