uns solch
ein Kinderbrief erhalten, den sie anläßlich der Verlobung ihres Bruders
Kraz mit Luise Elsäßer an diese schrieb. Sie redet die neue Schwägerin
gleich als Schwester an.
Liebe Schwester!
Es freut mich, daß Du einen Bräutigam hast und daß es mein Bruder ist.
Heiratet Euch nur bald, ich freue mich recht bis die Hochzeit ist, denn
ich komme auch dazu. Weil Du gesagt hast, ich soll Dir schreiben, so
will ich es tun. Ich kenne Dich zwar noch nicht, aber ich kann mir
schon denken, wie Du bist, wenn Du für den Heinrich recht bist.
Schreibe mir in dem Brief, wo Du mir antwortest, wie Du bist, denn
viel weiß ich noch nicht. Komme auch bald zu uns, es gefällt Dir gewiß,
denn dem Herrn Vischer hat es auch gefallen, der doch schon weit in
der Welt herum gekommen ist. Wir haben uns sehr geehrt gefühlt, daß
Du uns geschrieben hast. Hast Du denn auch noch Geschwister? die
dann meine Schwestern und Brüder sind. Ich kann nichts weiter
schreiben, denn ich weiß nichts mehr. Wir grüßen Dich alle, besonders
ich. Lebe wohl und habe lieb Deine
Antworte mir. Pauline Pfaff.
Wenn auch Pauline im Lesen und Schreiben mit mancher fleißigeren
Schülerin Schritt hielt, so hatte sie doch keinen rechten Ernst in den
Schulstunden und wenig Eifer zum Lernen ihrer Aufgaben, aber
unbewußt lernte sie mit den geistig regsamen Brüdern, die des Vaters
naturwissenschaftliche Interessen und auch einige Kenntnisse in diesem
Fach überkommen hatten; sie wußten mit den vorhandenen Mitteln,
Elektrisiermaschine, Teleskop, Sternkarten u. dergl. umzugehen und
Pauline nahm an diesem Treiben teil mit angeborenem Interesse und
Verständnis. Jeder Lehrer hätte an dieser aufgeweckten Schülerin seine
Freude haben können, wenn diese sich nur dazu verstanden hätte, den
Unterricht, der ihr mit einer Anzahl anderer Mädchen privatim erteilt
wurde, regelmäßig zu besuchen. Das hielt sie aber nicht für nötig und
das Schwänzen der Schulstunden beschwerte durchaus nicht ihr
Gewissen, das zurzeit auf solche kleine Vergehen noch nicht reagierte.
Die Schulaufgaben wurden möglichst rasch erledigt, denn am Abend
tummelte sie sich lieber auf dem nahen Kirchenplatz und trieb dort
allerlei Schabernack. So flößte sie gern den Menschen Schrecken ein,
indem sie in der Dunkelheit ein weiß behangenes Bügelbrett feierlich
um die Kirche trug, was bei dem Gespensterglauben jener Zeit seine
Wirkung nicht verfehlte.
Doch nun trat in ihren Lebensweg eine Freundin, die großen Einfluß
auf sie gewinnen sollte, ein gesittetes, gewissenhaftes und
wohlerzogenes Mädchen. Es war die Tochter einer als Witwe nach
Erlangen gezogenen Oberappellationsgerichtsrätin, die in der Nähe
Wohnung nahm. Dem Namen dieser Familie werden wir in diesem
Buche noch oft begegnen -- er heißt Brater.
Ob wohl eine Ahnung der guten Frau Pfaff sagte, von welcher
Bedeutung es einst für sie sein würde, daß vor dem Haus ihr gegenüber
ein bepackter Wagen aus München ankam, der den Hausrat der
verwitweten Frau Brater brachte, und als diese selbst, eine feine, ernste
Frau in Trauerkleidern, mit ihren drei Töchtern Einzug hielt in der
bescheidenen Wohnung? Ihr einziger Sohn, Karl, studierte in München,
von ihm war zunächst nichts zu sehen, aber die Töchter, Julie, Luise
und Emilie, wurden freundlich in Erlangen empfangen durch ihre
Verwandten, denn Frau Brater war ihrer ebenfalls verwitweten
Schwester, Frau Schunck, nachgezogen und durch diese Pfaffs
wohlbekannte Familie entstanden bald Beziehungen zu den
Neuangekommenen.
Luise und Pauline wurden Schulkamerädinnen und ihre ungleichartigen
Naturen zogen sich an. Die kleine Fremde war bald ganz eingenommen
für die fröhliche Kamerädin, die vielerlei anzustellen wußte, allezeit
lustig und guter Dinge war. Aber sie merkte auch, daß Pauline manches
tat, was ihr unerlaubt schien, und während die Frische und
Ungebundenheit der neuen Freundin sie anzog, machte das
wohlerzogene Kind sich doch über dieses und jenes Gedanken, erzählte
wohl auch der Mutter davon und diese richtete nun ihr Streben darauf,
die wilde kleine Hummel, die auch ihr trotz mancher Unart gar wohl
gefiel, in ihr Haus herein zu locken, damit die beiden Freundinnen
unter ihrer Aufsicht miteinander verkehrten. Pauline hat nie die
Eindrücke vergessen, die sie hier empfing. Es gingen ihr die Augen
darüber auf, wie es in einem wohlgeordneten Haushalt eigentlich
aussehen sollte. Mit Staunen bemerkte sie, daß hier jedes Ding seinen
festen Platz hatte, daß täglich aufgeräumt und abgestaubt wurde und
daß die bescheidenen Räume dadurch ein feines, wohnliches Aussehen
erhielten. Der kleinen energischen Person war nicht sobald das Licht
für Ordnung und Schönheit aufgegangen, als sie auch schon strebte,
solche daheim einzuführen. Es wollte ihr nimmer gefallen, wenn das
Frühstücksgeschirr bis zum Mittagessen auf dem Tische stand und
jeder der vielen Hausgenossen allerlei dazwischen schob, sie wollte
nun auch aufräumen und abstauben. Anfangs waren ihre
Ordnungsversuche etwas roher Art: sie hob die Schürze auf, schob alles
was da umherlag hinein und trug es in das nebenan liegende
Schlafzimmer, denn ihr neuerwachter Ordnungssinn beschränkte sich
zunächst auf das große Wohnzimmer. Aber je mehr sie heranwuchs,
um
Continue reading on your phone by scaning this QR Code
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the
Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.