Frau Bovary | Page 6

Gustave Flaubert
wiederkam. Er geriet in einen traumartigen Zustand, in dem sich frische Empfindungen mit alten Erinnerungen paarten, so da? er ein Doppelleben f��hrte. Er war noch Student und gleichzeitig schon Arzt und Ehemann. Im n?mlichen Moment glaubte er in seinem Ehebette zu liegen und wie einst durch den Operationssaal zu schreiten. Der Geruch von hei?en Umschl?gen mischte sich in seiner Phantasie mit dem frischen Dufte des Morgentaus. Dazu h?rte er, wie die Messingringe an den Stangen der Bettvorh?nge klirrten und wie seine Frau im Schlafe atmete ...
Als er durch das Dorf Vassonville ritt, bemerkte er einen Jungen, der am Rande des Stra?engrabens im Grase sa?.
?Sind Sie der Herr Doktor??
Als Karl diese Frage bejahte, nahm der Kleine seine Holzpantoffeln in die H?nde und begann vor dem Pferde herzurennen. Unterwegs h?rte Bovary aus den Reden seines F��hrers heraus, da? Herr Rouault, der Patient, der ihn erwartete, einer der wohlhabendsten Landwirte sei. Er hatte sich am vergangenen Abend auf dem Heimwege von einem Nachbar, wo man das Dreik?nigsfest gefeiert hatte, ein Bein gebrochen. Seine Frau war schon zwei Jahre tot. Er lebte ganz allein mit ?dem gn?digen Fr?ulein?, das ihm den Haushalt f��hrte.
Die Radfurchen wurden tiefer. Man n?herte sich dem Gute. Pl?tzlich verschwand der Junge in der L��cke einer Gartenhecke, um hinter der Mauer eines Vorhofes wieder aufzutauchen, wo er ein gro?es Tor ?ffnete. Das Pferd trat in nasses rutschiges Gras, und Karl mu?te sich ducken, um nicht vom Baumgezweig aus dem Sattel gerissen zu werden. Hofhunde fuhren aus ihren H��tten, schlugen an und rasselten an den Ketten. Als der Arzt in den eigentlichen Gutshof einritt, scheute der Gaul und machte einen gro?en Satz zur Seite.
Das Pachtgut Bertaux war ein ansehnliches Besitztum. Durch die offenstehenden T��ren konnte man in die St?lle blicken, wo kr?ftige Ackerg?ule gem?chlich aus blanken Raufen ihr Heu kauten. L?ngs der Wirtschaftsgeb?ude zog sich ein dampfender Misthaufen hin. Unter den H��hnern und Truth?hnen machten sich f��nf bis sechs Pfauen mausig, der Stolz der G��ter jener Gegend. Der Schafstall war lang, die Scheune hoch und ihre Mauern spiegelglatt. Im Schuppen standen zwei gro?e Leiterwagen und vier Pfl��ge, dazu die n?tigen Pferdegeschirre, Kumte und Peitschen; auf den blauen Woilachs aus Schafwolle hatte sich feiner Staub gelagert, der von den Kornb?den heruntersickerte. Der Hof, der nach dem Wohnhause zu etwas anstieg, war auf beiden Seiten mit einer Reihe B?ume bepflanzt. Vom T��mpel her erscholl das fr?hliche Geschnatter der G?nse.
An der Schwelle des Hauses erschien ein junges Frauenzimmer in einem mit drei Volants besetzten blauen Merinokleide und begr��?te den Arzt. Er wurde nach der K��che gef��hrt, wo ein t��chtiges Feuer brannte. Auf dem Herde kochte in kleinen T?pfen von verschiedener Form das Fr��hst��ck des Gesindes. Oben im Rauchfang hingen na?gewordene Kleidungsst��cke zum Trocknen. Kohlenschaufel, Feuerzange und Blasebalg, alle miteinander von riesiger Gr??e, funkelten wie von blankem Stahl, w?hrend l?ngs der W?nde eine Unmenge K��chenger?t hing, ��ber dem die helle Herdflamme um die Wette mit den ersten Strahlen der durch die Fenster huschenden Morgensonne spielte und glitzerte.
Karl stieg in den ersten Stock hinauf, um den Kranken aufzusuchen. Er fand ihn in seinem Bett, schwitzend unter seinen Decken. Seine Nachtm��tze hatte er in die Stube geschleudert. Es war ein st?mmiger kleiner Mann, ein F��nfziger, mit wei?em Haar, blauen Augen und kahler Stirn. Er trug Ohrringe. Neben ihm auf einem Stuhle stand eine gro?e Karaffe voll Branntwein, aus der er sich von Zeit zu Zeit ein Gl?schen einschenkte, um ?Mumm in die Knochen zu kriegen?. Angesichts des Arztes legte sich seine Erregung. Statt zu fluchen und zu wettern -- was er seit zw?lf Stunden getan hatte -- fing er nunmehr an zu ?chzen und zu st?hnen.
Der Bruch war einfach, ohne jedwede Komplikation. Karl h?tte sich einen leichteren Fall nicht zu w��nschen gewagt. Alsbald erinnerte er sich der All��ren, die seine Lehrmeister an den Krankenlagern zur Schau getragen harten, und spendete dem Patienten ein reichliches Ma? der ��blichen guten Worte, jenes Chirurgenbalsams, der an das ?l gemahnt, mit dem die Seziermesser eingefettet werden. Er lie? sich aus dem Holzschuppen ein paar Latten holen, um Holz zu Schienen zu bekommen. Von den gebrachten St��cken w?hlte er eins aus, schnitt die Schienen daraus zurecht und gl?ttete sie mit einer Glasscherbe. W?hrenddem stellte die Magd Leinwandbinden her, und Fr?ulein Emma, die Tochter des Hauses, versuchte Polster anzufertigen. Als sie ihren N?hkasten nicht gleich fand, polterte der Vater los. Sie sagte kein Wort. Aber beim N?hen stach sie sich in den Finger, nahm ihn in den Mund und sog das Blut aus.
Karl war erstaunt, was f��r blendendwei?e N?gel sie hatte. Sie waren mandelf?rmig geschnitten und sorglich gepflegt, und so schimmerten sie wie das feinste Elfenbein. Ihre H?nde freilich waren nicht gerade sch?n, vielleicht nicht wei? genug und ein wenig zu mager in den Fingern; dabei waren sie allzu schlank, nicht besonders weich und in ihren Linien ungrazi?s. Was jedoch sch?n an ihr war,
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