Frau Bovary | Page 3

Gustave Flaubert
mu?te es einer Amme gegeben werden; und als es wieder zu Hause war, wurde das schw?chliche Gesch?pf grenzenlos verw?hnt. Die Mutter n?hrte es mit Zuckerzeug. Der Vater lie? es barfu? herumlaufen und meinte h?chst weise obendrein, der Kleine k?nne eigentlich ganz nackt gehen wie die Jungen der Tiere. Im Gegensatz zu den Bestrebungen der Mutter hatte er sich ein bestimmtes m?nnliches Erziehungsideal in den Kopf gesetzt, nach welchem er seinen Sohn zu modeln sich M��he gab. Er sollte rauh angefa?t werden wie ein junger Spartaner, damit er sich t��chtig abh?rte. Er mu?te in einem ungeheizten Zimmer schlafen, einen ordentlichen Schluck Rum vertragen und auf den ?kirchlichen Klimbim? schimpfen. Aber der Kleine war von friedfertiger Natur und widerstrebte allen diesen Bem��hungen. Die Mutter schleppte ihn immer mit sich herum. Sie schnitt ihm Pappfiguren aus und erz?hlte ihm M?rchen; sie unterhielt sich mit ihm in endlosen Selbstgespr?chen, die von schwerm��tiger Fr?hlichkeit und wortreicher Z?rtlichkeit ��berquollen. In ihrer Verlassenheit pflanzte sie in das Herz ihres Jungen alle ihre eigenen unerf��llten und verlorenen Sehns��chte. Im Traume sah sie ihn erwachsen, hochangesehen, sch?n, klug, als Beamten beim Stra?en- und Br��ckenbau oder in einer Ratsstellung. Sie lehrte ihn Lesen und brachte ihm sogar an dem alten Klavier, das sie besa?, das Singen von ein paar Liedchen bei. Ihr Mann, der von gelehrten Dingen nicht viel hielt, bemerkte zu alledem, es sei blo? schade um die M��he; sie h?tten doch niemals die Mittel, den Jungen auf eine h?here Schule zu schicken oder ihm ein Amt oder ein Gesch?ft zu kaufen. Zu was auch? Dem Kecken geh?re die Welt! Frau Bovary schwieg still, und der Kleine trieb sich im Dorfe herum. Er lief mit den Feldarbeitern hinaus, scheuchte die Kr?hen auf, schmauste Beeren an den Rainen, h��tete mit einer Gerte die Truth?hne und durchstreifte Wald und Flur. Wenn es regnete, spielte er unter dem Kirchenportal mit kleinen Steinchen, und an den Feiertagen best��rmte er den Kirchendiener, die Glocken l?uten zu d��rfen. Dann h?ngte er sich mit seinem ganzen Gewicht an den Strang der gro?en Glocke und lie? sich mit emporziehen. So wuchs er auf wie eine Lilie auf dem Felde, bekam kr?ftige Glieder und frische Farben.
Als er zw?lf Jahre alt geworden war, setzte es seine Mutter durch, da? er endlich etwas Gescheites lerne. Er bekam Unterricht beim Pfarrer, aber die Stunden waren so kurz und so unregelm??ig, da? sie nicht viel Erfolg hatten. Sie fanden statt, wenn der Geistliche einmal gar nichts anders zu tun hatte, in der Sakristei, im Stehen, in aller Hast in den Pausen zwischen den Taufen und Begr?bnissen. Mitunter, wenn er keine Lust hatte auszugehen, lie? der Pfarrer seinen Sch��ler nach dem Ave-Maria zu sich holen. Die beiden sa?en dann oben im St��bchen. M��cken und Nachtfalter tanzten um die Kerze; aber es war so warm drin, da? der Junge schl?frig wurde, und es dauerte nicht lange, da schnarchte der biedere Pfarrer, die H?nde ��ber dem Schmerbauche gefaltet. Es kam auch vor, da? der Seelensorger auf dem Heimwege von irgendeinem Kranken in der Umgegend, dem er das Abendmahl gereicht hatte, den kleinen Vagabunden im Freien erwischte; dann rief er ihn heran, hielt ihm eine viertelst��ndige Strafpredigt und benutzte die Gelegenheit, ihn im Schatten eines Baumes seine Lektion hersagen zu lassen. Entweder war es der Regen, der den Unterricht st?rte, oder irgendein Bekannter, der vor��berging. ��brigens war der Lehrer durchweg mit seinem Sch��ler zufrieden, ja er meinte sogar, der ?junge Mann? habe ein gar treffliches Ged?chtnis.
So konnte es nicht weitergehen. Frau Bovary ward energisch, und ihr Mann gab widerstandslos nach, vielleicht weil er sich selber sch?mte, wahrscheinlicher aber aus Ohnmacht. Man wollte nur noch ein Jahr warten; der Junge sollte erst gefirmelt werden.
Dar��ber hinaus verstrich abermals ein halbes Jahr, dann aber wurde Karl wirklich auf das Gymnasium nach Rouen geschickt. Sein Vater brachte ihn selber hin. Das war Ende Oktober.
Die meisten seiner damaligen Kameraden werden sich kaum noch deutlich an ihn erinnern. Er war ein ziemlich phlegmatischer Junge, der in der Freizeit wie ein Kind spielte, in den Arbeitsstunden eifrig lernte, w?hrend des Unterrichts aufmerksam dasa?, im Schlafsaal vorschriftsm??ig schlief und bei den Mahlzeiten ordentlich zulangte. Sein Verkehr au?erhalb der Schule war ein Eisengro?h?ndler in der Handschuhmachergasse, der aller vier Wochen einmal mit ihm ausging, an Sonntagen nach Ladenschlu?. Er lief mit ihm am Hafen spazieren, zeigte ihm die Schiffe und brachte ihn abends um sieben Uhr vor dem Abendessen wieder in das Gymnasium. Jeden Donnerstag abend schrieb Karl mit roter Tinte an seine Mutter einen langen Brief, den er immer mit drei Oblaten zuklebte. Hernach vertiefte er sich wieder in seine Geschichtshefte, oder er las in einem alten Exemplar von Barthelemys ?Reise des jungen Anacharsis?, das im Arbeitssaal herumlag. Bei Ausfl��gen plauderte er mit dem Pedell, der ebenfalls vom Lande war.
Durch seinen Flei? gelang es ihm, sich immer in der Mitte der Klasse zu halten;
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