Fräulein Julie | Page 8

August Strindberg
Dank für das Essen. Es war sehr gut. (Er schlägt den
Pfropfen in die Flasche hinein.)
Das Fräulein (in der Glasthür, spricht nach außen). Ich bin sogleich
wieder da! Geht nur solange voran!
Jean (verbirgt die Weinflasche in der Tischschublade und steht dann
ehrerbietig auf).
Fräulein Julie (tritt ein und geht zu Christine an den Herd). Na! Ist es
fertig?
Christine (giebt ihr durch Zeichen zu verstehen, daß Jean zugegen ist).
Jean (galant). Haben die Damen Geheimnisse vor?
Julie (schlägt ihm mit dem Taschentuch ins Gesicht). Ist Er neugierig?
Jean. Ach, wie schön das nach Veilchen duftete!
Julie (kokett). Unverschämter! Versteht Er sich auch auf Parfüms?
Tanzen kann Er -- Nicht hersehen! Geh Er fort! (Sie tritt hinter den
Tisch.)
Jean (naseweis, aber artig). Ist es ein Zaubertrank, was die Damen da in
der Johannisnacht brauen? Etwas, um dann in den Sternen des Glückes
zu lesen, sodaß man seine Zukünftige zu sehen bekommt!
Julie (scharf). Ja, wenn Er die zu sehen bekommt, dann muß Er gute
Augen haben! (Zu Christine.) Gieße es in eine halbe Flasche hinein und
korke es fest zu. Komm Er nun und tanze einen Schottisch mit mir,
Jean -- (Sie läßt ihr Taschentuch auf dem Tisch liegen.)
Jean (zögernd). Ich will gegen niemand unartig sein, aber diesen Tanz

hatte ich Christinen versprochen --
Julie. Na, sie kann ja einen andern bekommen. (Sie tritt zu Christine.)
Oder wie, Christine? willst du mir den Jean nicht leihen?
Christine. Das hängt nicht von mir ab. Wenn das gnädige Fräulein so
herablassend ist, so paßt es sich nicht, daß er nein sagt. Geh nur! und
bedanke dich für die Ehre.
Jean. Aufrichtig gesprochen, aber ohne Sie verletzen zu wollen, ist es
klug von Ihnen, Fräulein Julie, zweimal hintereinander mit demselben
Herrn zu tanzen, besonders da die Leute hier sehr geneigt sind,
allerhand Schlüsse zu ziehen --
Julie (braust auf). Was soll das heißen? Was für Schlüsse? Was meint
Er damit?
Jean (ausweichend). Da das Fräulein mich nicht verstehen wollen, muß
ich deutlicher reden. Es sieht nicht gut aus, wenn Sie einen Ihrer
Untergebenen den andern, die dieselbe ungewöhnliche Ehre erwarten,
vorziehen --
Julie. Vorziehen! Was bildet Er sich ein! Ich bin ganz erstaunt! Ich, die
Herrin des Hauses, beehre den Tanz der Leute mit meiner Gegenwart,
und wenn ich nun wirklich tanzen will, so will ich es mit einem, der
führen kann, sodaß ich dem entgehe, ausgelacht zu werden.
Jean. Wie das Fräulein befehlen! Ich stehe zu Diensten!
Julie (sanft). Sprechen Sie jetzt nicht von befehlen. Heute Abend sind
wir ja als frohe Menschen auf dem Fest und legen allen Rang ab! So,
geben Sie mir denn Ihren Arm! Sei ganz ruhig, Christine! Ich werde dir
deinen Schatz nicht entführen!
Jean (bietet ihr seinen Arm und führt sie durch die Glasthür hinaus).
Christine allein.[D]
Schwache Violinenmusik in einiger Entfernung im Takt eines

Schottisch.
Christine (summt die Musik mit, räumt den Tisch ab, wo Jean gegessen
hat, wäscht den Teller am Aufwaschtisch ab, trocknet ihn ab und setzt
ihn in einen Schrank. Dann legt sie die Küchenschürze ab, nimmt einen
kleinen Spiegel aus der Tischschublade, stellt ihn gegen die Krucke mit
Flieder auf dem Tisch, zündet ein Talglicht an und macht eine
Haarnadel heiß, mit der sie ihre Stirnhaare kräuselt. Darauf geht sie an
die Glasthüre und lauscht, kommt wieder an den Tisch zurück, findet
das Taschentuch des Fräuleins, das dieselbe vergessen, nimmt es und
riecht daran; dann breitet sie es in Gedanken aus, reckt es, streicht es
glatt und legt es viermal zusammen).
[Anmerkung D: Diese stumme Scene muß gespielt werden, als wenn
die Schauspielerin wirklich allein wäre: also sie muß nach Bedürfnis
dem Publikum den Rücken zuwenden und nicht in den Zuschauerraum
hineinsehen; auch sich nicht übereilen, als wenn sie fürchtete, das
Publikum könnte ungeduldig werden. Der Verfasser.]
Jean (kommt allein durch die Glasthür zurück). Ja, sie ist verrückt. So
zu tanzen! Und die Leute stehen an den Thüren und grinsen über sie.
Was sagst du dazu, Christine?
Christine. Ach, es ist ja jetzt ihre Zeit, und da ist sie immer so
sonderbar. Aber willst du jetzt kommen und mit mir tanzen?
Jean. Du bist doch wohl nicht böse, daß ich dir echappierte?
Christine. Nein! Nicht im geringsten, das weißt du ja; und ich kenne
auch meine Stellung --
Jean (legt die Hand um ihre Taille). Du bist ein verständiges Mädchen,
Christine, und würdest eine tüchtige Hausfrau werden --
Julie (kommt durch die Glasthüre herein; sie ist unangenehm
überrascht; mit erzwungener Munterkeit). Sie sind ja ein scharmanter
Kavalier -- der seiner Dame davonspringt.

Jean. Im Gegenteil, Fräulein Julie, wie Sie sehen, habe ich mich beeilt,
die Verlassene aufzusuchen!
Julie (in anderm Ton). Wissen Sie, daß Sie wie kein anderer tanzen!
Aber warum gehen Sie am Festabend in Livree? Legen Sie sie gleich
ab!
Jean. Dann muß ich das Fräulein bitten, sich einen
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