Faust | Page 8

Johann Wolfgang von Goethe

mit frischem Trunk gefüllt,
Ich bring' ihn zu und wünsche laut,
Daß
er nicht nur den Durst euch stillt;
Die Zahl der Tropfen, die er hegt,

Sey euren Tagen zugelegt.
_Faust._
Ich nehme den Erquickungs-Trank,
Erwiedr' euch allen Heil und
Dank.
_Das Volk_ sammelt sich im Kreis umher.
_Alter Bauer._
Fürwahr es ist sehr wohl gethan,
Daß ihr am frohen Tag erscheint;

Habt ihr es vormals doch mit uns
An bösen Tagen gut gemeynt!

Gar mancher steht lebendig hier,
Den euer Vater noch zuletzt
Der
heißen Fieberwuth entriß,
Als er der Seuche Ziel gesetzt.
Auch
damals ihr, ein junger Mann,
Ihr gingt in jedes Krankenhaus,
Gar
manche Leiche trug man fort,
Ihr aber kamt gesund heraus,

Bestandet manche harte Proben;
Dem Helfer half der Helfer droben.
_Alle._
Gesundheit dem bewährten Mann,
Daß er noch lange helfen kann!
_Faust._
Vor jenem droben steht gebückt,
Der helfen lehrt und Hülfe schickt.
(Er geht mit Wagnern weiter.)
_Wagner._
Welch ein Gefühl mußt du, o großer Mann!
Bey der Verehrung dieser
Menge haben!
O! glücklich! wer von seinen Gaben
Solch einen
Vortheil ziehen kann.
Der Vater zeigt dich seinem Knaben,
Ein

jeder fragt und drängt und eilt,
Die Fiedel stockt, der Tänzer weilt.

Du gehst, in Reihen stehen sie,
Die Mützen fliegen in die Höh';
Und
wenig fehlt, so beugten sich die Knie,
Als käm' das Venerabile.
_Faust._
Nur wenig Schritte noch hinauf zu jenem Stein,
Hier wollen wir von
unsrer Wandrung rasten.
Hier saß ich oft gedankenvoll allein
Und
quälte mich mit Beten und mit Fasten.
An Hoffnung reich, im
Glauben fest,
Mit Thränen, Seufzen, Händeringen
Dacht' ich das
Ende jener Pest
Vom Herrn des Himmels zu erzwingen.
Der Menge
Beyfall tönt mir nun wie Hohn.
O könntest du in meinem Innern
lesen,
Wie wenig Vater und Sohn
Solch eines Ruhmes werth
gewesen!
Mein Vater war ein dunkler Ehrenmann,
Der über die
Natur und ihre heilgen Kreise,
In Redlichkeit, jedoch auf seine Weise,

Mit grillenhafter Mühe sann.
Der, in Gesellschaft von Adepten,

Sich in die schwarze Küche schloß,
Und, nach unendlichen Recepten,

Das Widrige zusammengoß.
Da ward ein rother Leu, ein kühner
Freyer,
Im lauen Bad, der Lilie vermählt
Und beyde dann, mit
offnem Flammenfeuer,
Aus einem Brautgemach ins andere gequält.

Erschien darauf, mit bunten Farben,
Die junge Königin im Glas,

Hier war die Arzeney, die Patienten starben,
Und niemand fragte: wer
genas?
So haben wir, mit höllischen Latwergen,
In diesen Thälern,
diesen Bergen,
Weit schlimmer als die Pest getobt.
Ich habe selbst
den Gift an Tausende gegeben,
Sie welkten hin, ich muß erleben

Daß man die frechen Mörder lobt.
_Wagner._
Wie könnt ihr euch darum betrüben!
Thut nicht ein braver Mann
genug;
Die Kunst, die man ihm übertrug,

Gewissenhaft und
pünctlich auszuüben.
Wenn du, als Jüngling, deinen Vater ehrst,
So
wirst du gern von ihm empfangen;
Wenn du, als Mann, die
Wissenschaft vermehrst,
So kann dein Sohn zu höhrem Ziel

gelangen.
_Faust._
O! glücklich! wer noch hoffen kann
Aus diesem Meer des Irrthums
aufzutauchen.
Was man nicht weiß das eben brauchte man,
Und
was man weiß kann man nicht brauchen.
Doch laß uns dieser Stunde
schönes Gut,
Durch solchen Trübsinn, nicht verkümmern!

Betrachte wie, in Abendsonne-Glut,
Die grünumgebnen Hütten
schimmern.
Sie rückt und weicht, der Tag ist überlebt,
Dort eilt sie
hin und fördert neues Leben.
O! daß kein Flügel mich vom Boden
hebt,
Ihr nach und immer nach zu streben.
Ich säh' im ewigen
Abendstrahl
Die stille Welt zu meinen Füßen,
Entzündet alle Höhn,
beruhigt jedes Thal,
Den Silberbach in goldne Ströme fließen.

Nicht hemmte dann den göttergleichen Lauf
Der wilde Berg mit allen
seinen Schluchten;
Schon thut das Meer sich mit erwärmten Buchten

Vor den erstaunten Augen auf.
Doch scheint die Göttin endlich
wegzusinken;
Allein der neue Trieb erwacht,
Ich eile fort ihr ew'ges
Licht zu trinken,
Vor mir den Tag, und hinter mir die Nacht,
Den
Himmel über mir und unter mir die Wellen.
Ein schöner Traum,
indessen sie entweicht.
Ach! zu des Geistes Flügeln wird so leicht

Kein körperlicher Flügel sich gesellen.
Doch ist es jedem eingeboren,

Daß sein Gefühl hinauf und vorwärts dringt,
Wenn über uns, im
blauen Raum verloren,
Ihr schmetternd Lied die Lerche singt;

Wenn über schroffen Fichtenhöhen
Der Adler ausgebreitet schwebt,

Und über Flächen, über Seen,
Der Kranich nach der Heimat strebt.
_Wagner._
Ich hatte selbst oft grillenhafte Stunden,
Doch solchen Trieb hab' ich
noch nie empfunden.
Man sieht sich leicht an Wald und Feldern satt,

Des Vogels Fittig werd' ich nie beneiden.
Wie anders tragen uns
die Geistesfreuden,
Von Buch zu Buch, von Blatt zu Blatt!

Da
werden Winternächte hold und schön,
Ein selig Leben wärmet alle

Glieder,
Und ach! entrollst du gar ein würdig Pergamen;
So steigt
der ganze Himmel zu dir nieder.
_Faust._
Du bist dir nur des einen Triebs bewußt,
O lerne nie den andern
kennen!
Zwey Seelen wohnen, ach! in meiner Brust,
Die eine will
sich von der andern trennen;
Die eine hält, in derber Liebeslust,

Sich an die Welt, mit klammernden Organen;
Die andre hebt
gewaltsam sich vom Dust,
Zu den Gefilden hoher Ahnen.
O giebt
es Geister in der Luft,
Die zwischen Erd' und Himmel herrschend
weben,
So steiget nieder aus dem goldnen Duft
Und führt mich weg,
zu neuem buntem Leben!
Ja, wäre nur ein Zaubermantel mein!
Und
trüg' er mich in fremde Länder,
Mir sollt' er, um die köstlichsten
Gewänder,
Nicht feil um einen Königsmantel seyn.
_Wagner._
Berufe nicht die wohlbekannte Schaar,
Die, strömend, sich im
Dunstkreis überbreitet,
Dem Menschen tausendfältige Gefahr,
Von
allen Enden her, bereitet.
Von Norden dringt der scharfe Geisterzahn

Auf dich herbey, mit pfeilgespitzten Zungen;
Von Morgen ziehn,
vertrocknend, sie heran,
Und nähren sich von deinen Lungen;
Wenn
sie der Mittag
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