Faust | Page 6

Johann Wolfgang von Goethe
solltet Schlüssel seyn;
Zwar euer Bart
ist kraus, doch hebt ihr nicht die Riegel.
Geheimnißvoll am lichten
Tag
Läßt sich Natur des Schleyers nicht berauben,
Und was sie
deinem Geist nicht offenbaren mag,
Das zwingst du ihr nicht ab mit
Hebeln und mit Schrauben.
Du alt Geräthe das ich nicht gebraucht,

Du stehst nur hier, weil dich mein Vater brauchte.
Du alte Rolle, du
wirst angeraucht,
So lang an diesem Pult die trübe Lampe
schmauchte.
Weit besser hätt' ich doch mein weniges verpraßt,
Als
mit dem wenigen belastet hier zu schwitzen!
Was du ererbt von
deinen Vätern hast
Erwirb es, um es zu besitzen.
Was man nicht
nützt ist eine schwere Last,
Nur was der Augenblick erschafft, das
kann er nützen.
Doch warum heftet sich mein Blick auf jene Stelle?
Ist jenes
Fläschchen dort den Augen ein Magnet?
Warum wird mir auf einmal
lieblich helle?
Als wenn im nächt'gen Wald uns Mondenglanz
umweht.
Ich grüße dich, du einzige Phiole!
Die ich mit Andacht nun
herunterhole,
In dir verehr' ich Menschenwitz und Kunst.
Du
Inbegriff der holden Schlummersäfte,
Du Auszug aller tödlich feinen
Kräfte,
Erweise deinem Meister deine Gunst!
Ich sehe dich, es wird
der Schmerz gelindert,
Ich fasse dich, das Streben wird gemindert,

Des Geistes Fluthstrom ebbet nach und nach.
Ins hohe Meer werd' ich
hinausgewiesen,
Die Spiegelfluth erglänzt zu meinen Füßen,
Zu
neuen Ufern lockt ein neuer Tag.
Ein Feuerwagen schwebt, auf leichten Schwingen,
An mich heran!
Ich fühle mich bereit
Auf neuer Bahn den Aether zu durchdringen,

Zu neuen Sphären reiner Thätigkeit.

Dieß hohe Leben, diese
Götterwonne!
Du, erst noch Wurm, und die verdienest du?
Ja, kehre

nur der holden Erdensonne
Entschlossen deinen Rücken zu!

Vermesse dich die Pforten aufzureißen,
Vor denen jeder gern vorüber
schleicht.
Hier ist es Zeit durch Thaten zu beweisen,
Daß
Mannes-Würde nicht der Götterhöhe weicht,
Vor jener dunkeln
Höhle nicht zu beben,
In der sich Phantasie zu eigner Quaal
verdammt,
Nach jenem Durchgang hinzustreben,
Um dessen engen
Mund die ganze Hölle flammt;
Zu diesem Schritt sich heiter zu
entschließen
Und, wär' es mit Gefahr, ins Nichts dahin zu fließen.
Nun komm herab, krystallne reine Schaale!
Hervor aus deinem alten
Futterale,
An die ich viele Jahre nicht gedacht.
Du glänztest bey der
Väter Freudenfeste,
Erheitertest die ernsten Gäste,
Wenn einer dich
dem andern zugebracht.
Der vielen Bilder künstlich reiche Pracht,

Des Trinkers Pflicht, sie reimweis zu erklären,
Auf Einen Zug die
Höhlung auszuleeren,
Erinnert mich an manche Jugend-Nacht,
Ich
werde jetzt dich keinem Nachbar reichen,
Ich werde meinen Witz an
deiner Kunst nicht zeigen,
Hier ist ein Saft, der eilig trunken macht.

Mit brauner Flut erfüllt er deine Höhle.
Den ich bereitet, den ich
wähle,
Der letzte Trunk sey nun, mit ganzer Seele,
Als festlich
hoher Gruß, dem Morgen zugebracht!
(Er setzt die Schaale an den Mund.)
_Glockenklang_ und _Chorgesang._
_Chor der Engel._
Christ ist erstanden!
Freude dem Sterblichen,
Den die verderblichen,

Schleichenden, erblichen
Mängel umwanden.
_Faust._
Welch tiefes Summen, welch ein heller Ton,
Zieht mit Gewalt das
Glas von meinem Munde?
Verkündiget ihr dumpfen Glocken schon

Des Osterfestes erste Feyerstunde?
Ihr Chöre singt ihr schon den

tröstlichen Gesang?
Der einst, um Grabes Nacht, von Engelslippen
klang,
Gewißheit einem neuen Bunde.
_Chor der Weiber._
Mit Spezereyen
Hatten wir ihn gepflegt,
Wir seine Treuen
Hatten
ihn hingelegt;
Tücher und Binden
Reinlich umwanden wir,
Ach!
und wir finden
Christ nicht mehr hier.
_Chor der Engel._
Christ ist erstanden!
Selig der Liebende,
Der die Betrübende,

Heilsam' und übende
Prüfung bestanden.
_Faust._
Was sucht ihr, mächtig und gelind,
Ihr Himmelstöne mich am Staube?

Klingt dort umher, wo weiche Menschen sind.
Die Botschaft hör'
ich wohl, allein mir fehlt der Glaube
Das Wunder ist des Glaubens
liebstes Kind.
Zu jenen Sphären wag' ich nicht zu streben,
Woher
die holde Nachricht tönt;
Und doch, an diesen Klang von Jugend auf
gewöhnt,
Ruft er auch jetzt zurück mich in das Leben.
Sonst stürzte
sich der Himmels-Liebe Kuß
Auf mich herab, in ernster Sabathstille;

Da klang so ahndungsvoll des Glockentones Fülle,
Und ein Gebet
war brünstiger Genuß;
Ein unbegreiflich holdes Sehnen
Trieb mich
durch Wald und Wiesen hinzugehn,
Und unter tausend heißen
Thränen,
Fühlt' ich mir eine Welt entstehn.
Dieß Lied verkündete
der Jugend muntre Spiele,
Der Frühlingsfeyer freyes Glück;

Erinnrung hält mich nun, mit kindlichem Gefühle,
Vom letzten,
ernsten Schritt zurück.
O! tönet fort, ihr süßen Himmelslieder!
Die
Thräne quillt, die Erde hat mich wieder!
_Chor der Jünger._
Hat der Begrabene
Schon sich nach oben,
Lebend Erhabene,


Herrlich erhoben;
Ist er in Werdelust
Schaffender Freude nah;

Ach! an der Erde Brust,
Sind wir zum Leide da.
Ließ er die Seinen

Schmachtend uns hier zurück;
Ach! wir beweinen
Meister dein
Glück!
_Chor der Engel._
Christ ist erstanden,
Aus der Verwesung Schoos.
Reißet von
Banden
Freudig euch los!
Thätig ihn preisenden,
Liebe
beweisenden,
Brüderlich speisenden,
Predigend reisenden,

Wonne verheißenden
Euch ist der Meister nah',
Euch ist er da!
_Vor dem Thor._
_Spaziergänger_ aller Art ziehen hinaus.
_Einige Handwerksbursche._
Warum denn dort hinaus?
_Andre._
Wir gehn hinaus auf's Jägerhaus.
_Die Ersten._
Wir aber wollen nach der Mühle wandern.
_Ein Handwerksbursch._
Ich rath' euch nach dem Wasserhof zu gehn.
_Zweyter._
Der Weg dahin ist gar nicht schön.
_Die Zweyten._

Was thust denn du?
_Ein Dritter._
Ich gehe mit den andern.
_Vierter._
Nach Burgdorf kommt herauf, gewiß dort findet ihr
Die schönsten
Mädchen und das beste Bier,
Und Händel von der ersten Sorte.
_Fünfter._
Du überlustiger Gesell,
Juckt dich zum drittenmal das Fell?
Ich
mag nicht hin, mir graut es vor dem Orte.
_Dienstmädchen._
Nein, nein! ich gehe nach der Stadt zurück.
_Andre._
Wir finden ihn gewiß bey jenen Pappeln stehen.
_Erste._
Das ist für mich kein großes Glück;
Er
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