Faust | Page 5

Johann Wolfgang von Goethe
werdet's nicht erjagen,
Wenn es nicht aus
der Seele dringt,
Und mit urkräftigem Behagen
Die Herzen aller
Hörer zwingt.
Sitzt ihr nur immer! leimt zusammen,
Braut ein
Ragout von andrer Schmaus,
Und blas't die kümmerlichen Flammen

Aus eurem Aschenhäufchen 'raus!
Bewund'rung von Kindern und
Affen,
Wenn euch darnach der Gaumen steht;
Doch werdet ihr nie
Herz zu Herzen schaffen,
Wenn es euch nicht von Herzen geht.
_Wagner._
Allein der Vortrag macht des Redners Glück;
Ich fühl' es wohl, noch
bin ich weit zurück.
_Faust._
Such' Er den redlichen Gewinn!
Sey er kein schellenlauter Thor!
Es
trägt Verstand und rechter Sinn
Mit wenig Kunst sich selber vor;

Und wenn's euch Ernst ist was zu sagen,
Ist's nöthig Worten
nachzujagen?
Ja, eure Reden, die so blinkend sind,
In denen ihr der
Menschheit Schnitzel kräuselt,
Sind unerquicklich wie der Nebelwind,

Der herbstlich durch die dürren Blätter säuselt!

_Wagner._
Ach Gott! die Kunst ist lang;
Und kurz ist unser Leben.
Mir wird,
bey meinem kritischen Bestreben,
Doch oft um Kopf und Busen
bang'.
Wie schwer sind nicht die Mittel zu erwerben,
Durch die
man zu den Quellen steigt!
Und eh' man nur den halben Weg erreicht,

Muß wohl ein armer Teufel sterben.
_Faust._
Das Pergament, ist das der heilge Bronnen,
Woraus ein Trunk den
Durst auf ewig stillt?
Erquickung hast du nicht gewonnen,
Wenn
sie dir nicht aus eigner Seele quillt.
_Wagner._
Verzeiht! es ist ein groß Ergetzen,
Sich in den Geist der Zeiten zu
versetzen;
Zu schauen, wie vor uns ein weiser Mann gedacht,
Und
wie wir's dann zuletzt so herrlich weit gebracht.
_Faust._
O ja, bis an die Sterne weit!
Mein Freund, die Zeiten der
Vergangenheit
Sind uns ein Buch mit sieben Siegeln.
Was ihr den
Geist der Zeiten heißt,
Das ist im Grund der Herren eigner Geist,
In
dem die Zeiten sich bespiegeln.
Da ist's dann wahrlich oft ein Jammer!

Man läuft euch bey dem ersten Blick davon.
Ein Kehrichtfaß und
eine Rumpelkammer,
Und höchstens eine Haupt- und Staatsaction,

Mit trefflichen, pragmatischen Maximen,
Wie sie den Puppen wohl
im Munde ziemen!
_Wagner._
Allein die Welt! des Menschen Herz und Geist!
Möcht' jeglicher
doch was davon erkennen.

_Faust._
Ja was man so erkennen heißt!
Wer darf das Kind beym rechten
Namen nennen?
Die wenigen, die was davon erkannt,
Die thöricht
g'nug ihr volles Herz nicht wahrten,
Dem Pöbel ihr Gefühl, ihr
Schauen offenbarten,
Hat man von je gekreutzigt und verbrannt.
Ich
bitt' euch, Freund, es ist tief in der Nacht,
Wir müssen's dießmal
unterbrechen.
_Wagner._
Ich hätte gern nur immer fortgewacht,
Um so gelehrt mit euch mich
zu besprechen.
Doch Morgen, als am ersten Ostertage,
Erlaubt mir
ein' und andre Frage.
Mit Eifer hab' ich mich der Studien beflissen,

Zwar weiß ich viel, doch möcht' ich alles wissen.
(ab.)
_Faust_ allein.
Wie nur dem Kopf nicht alle Hoffnung schwindet,
Der immerfort an
schalem Zeuge klebt,
Mit gier'ger Hand nach Schätzen gräbt,
Und
froh ist, wenn er Regenwürmer findet!
Darf eine solche Menschenstimme hier,
Wo Geisterfülle mich umgab,
ertönen?
Doch ach! für dießmal dank' ich dir,
Dem ärmlichsten von
allen Erdensöhnen.
Du rissest mich von der Verzweiflung los,
Die
mir die Sinne schon zerstören wollte.
Ach! die Erscheinung war so
Riesen-groß,
Daß ich mich recht als Zwerg empfinden sollte.
Ich, Ebenbild der Gottheit, das sich schon
Ganz nah gedünkt dem
Spiegel ew'ger Wahrheit,
Sein selbst genoß, in Himmelsglanz und
Klarheit,
Und abgestreift den Erdensohn;
Ich, mehr als Cherub,
dessen freye Kraft
Schon durch die Adern der Natur zu fließen
Und,
schaffend, Götterleben zu genießen
Sich ahndungsvoll vermaß, wie

muß ich's büßen!
Ein Donnerwort hat mich hinweggerafft.
Nicht darf ich dir zu gleichen mich vermessen.
Hab' ich die Kraft
dich anzuziehn besessen;
So hatt' ich dich zu halten keine Kraft.
In
jenem sel'gen Augenblicke
Ich fühlte mich so klein, so groß,
Du
stießest grausam mich zurücke,
Ins ungewisse Menschenloos.
Wer
lehret mich? was soll ich meiden?
Soll ich gehorchen jenem Drang?

Ach! unsre Thaten selbst, so gut als unsre Leiden,
Sie hemmen
unsres Lebens Gang.
Dem herrlichsten, was auch der Geist empfangen,
Drängt immer
fremd und fremder Stoff sich an;
Wenn wir zum Guten dieser Welt
gelangen,
Dann heißt das Beßre Trug und Wahn.
Die uns das Leben
gaben, herrliche Gefühle
Erstarren in dem irdischen Gewühle.
Wenn Phantasie sich sonst, mit kühnem Flug,
Und hoffnungsvoll
zum Ewigen erweitert,
So ist ein kleiner Raum ihr nun genug,

Wenn Glück auf Glück im Zeitenstrudel scheitert.
Die Sorge nistet
gleich im tiefen Herzen,
Dort wirket sie geheime Schmerzen,

Unruhig wiegt sie sich und störet Lust und Ruh;
Sie deckt sich stets
mit neuen Masken zu,
Sie mag als Haus und Hof, als Weib und Kind
erscheinen,
Als Feuer, Wasser, Dolch und Gift;
Du bebst vor allem
was nicht trifft,
Und was du nie verlierst das mußt du stets beweinen.
Den Göttern gleich' ich nicht! zu tief ist es gefühlt;
Dem Wurme
gleich' ich, der den Staub durchwühlt;
Den, wie er sich im Staube
nährend lebt,
Des Wandrers Tritt vernichtet und begräbt.
Ist es nicht Staub? was diese hohe Wand,
Aus hundert Fächern, mir
verenget;
Der Trödel, der mit tausendfachem Tand,
In dieser
Mottenwelt mich dränget?
Hier soll ich finden was mir fehlt?
Soll
ich vielleicht in tausend Büchern lesen,
Daß überall die Menschen
sich gequält,
Daß hie und da ein Glücklicher gewesen? --
Was
grinsest du mir hohler Schädel her?
Als daß dein Hirn, wie meines,

einst verwirret,
Den leichten Tag gesucht und in der Dämmrung
schwer,
Mit Lust nach Wahrheit, jämmerlich geirret.
Ihr
Instrumente freylich, spottet mein,
Mit Rad und Kämmen, Walz' und
Bügel.
Ich stand am Thor, ihr
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