Faust: Der Tragoedie, part 2 | Page 4

Johann Wolfgang von Goethe
schaltet, Das Ungesetz gesetzlich überwaltet Und eine
Welt des Irrtums sich entfaltet. Der raubt sich Herden, der ein Weib,
Kelch, Kreuz und Leuchter vom Altare, Berühmt sich dessen manche
Jahre Mit heiler Haut, mit unverletztem Leib. Jetzt drängen Kläger sich
zur Halle, Der Richter prunkt auf hohem Pfühl, Indessen wogt in
grimmigem Schwalle Des Aufruhrs wachsendes Gewühl. Der darf auf
Schand' und Frevel pochen, Der auf Mitschuldigste sich stützt, Und:
Schuldig! hörst du ausgesprochen, Wo Unschuld nur sich selber schützt.
So will sich alle Welt zerstückeln, Vernichtigen, was sich gebührt; Wie
soll sich da der Sinn entwickeln, Der einzig uns zum Rechten führt?
Zuletzt ein wohlgesinnter Mann Neigt sich dem Schmeichler, dem
Bestecher, Ein Richter, der nicht strafen kann, Gesellt sich endlich zum
Verbrecher. Ich malte schwarz, doch dichtern Flor Zög' ich dem Bilde
lieber vor. Entschlüsse sind nicht zu vermeiden; Wenn alle schädigen,
alle leiden, Geht selbst die Majestät zu Raub.
HEERMEISTER: Wie tobt's in diesen wilden Tagen! Ein jeder schlägt
und wird erschlagen, Und fürs Kommando bleibt man taub. Der Bürger
hinter seinen Mauern, Der Ritter auf dem Felsennest Verschwuren sich,
uns auszudauern, Und halten ihre Kräfte fest. Der Mietsoldat wird
ungeduldig, Mit Ungestüm verlangt er seinen Lohn, Und wären wir
ihm nichts mehr schuldig, Er liefe ganz und gar davon. Verbiete wer,
was alle wollten, Der hat ins Wespennest gestört; Das Reich, das sie
beschützen sollten, Es liegt geplündert und verheert. Man läßt ihr
Toben wütend hausen, Schon ist die halbe Welt vertan; Es sind noch
Könige da draußen, Doch keiner denkt, es ging' ihn irgend an.
SCHATZMEISTER: Wer wird auf Bundsgenossen pochen! Subsidien,
die man uns versprochen, Wie Röhrenwasser bleiben aus. Auch, Herr,
in deinen weiten Staaten An wen ist der Besitz geraten? Wohin man
kommt, da hält ein Neuer Haus, Und unabhängig will er leben, Zusehen
muß man, wie er's treibt; Wir haben so viel Rechte hingegeben, Daß
uns auf nichts ein Recht mehr übrigbleibt. Auch auf Parteien, wie sie
heißen, Ist heutzutage kein Verlaß; Sie mögen schelten oder preisen,
Gleichgültig wurden Lieb' und Haß. Die Ghibellinen wie die Guelfen
Verbergen sich, um auszuruhn; Wer jetzt will seinem Nachbar helfen?

Ein jeder hat für sich zu tun. Die Goldespforten sind verrammelt, Ein
jeder kratzt und scharrt und sammelt, Und unsre Kassen bleiben leer.
MARSCHALK: Welch Unheil muß auch ich erfahren! Wir wollen alle
Tage sparen Und brauchen alle Tage mehr, Und täglich wächst mir
neue Pein. Den Köchen tut kein Mangel wehe; Wildschweine, Hirsche,
Hasen, Rehe, Welschhühner, Hühner, Gäns' und Enten, Die Deputate,
sichre Renten, Sie gehen noch so ziemlich ein. Jedoch am Ende fehlt's
an Wein. Wenn sonst im Keller Faß an Faß sich häufte, Der besten
Berg' und Jahresläufte, So schlürft unendliches Gesäufte Der edlen
Herrn den letzten Tropfen aus. Der Stadtrat muß sein Lager auch
verzapfen, Man greift zu Humpen, greift zu Napfen, Und unterm
Tische liegt der Schmaus. Nun soll ich zahlen, alle lohnen; Der Jude
wird mich nicht verschonen, Der schafft Antizipationen, Die speisen
Jahr um Jahr voraus. Die Schweine kommen nicht zu Fette, Verpfändet
ist der Pfühl im Bette, Und auf den Tisch kommt vorgegessen Brot.
KAISER: Sag, weißt du Narr nicht auch noch eine Not?
MEPHISTOPHELES: Ich? Keineswegs. Den Glanz umher zu schauen,
Dich und die Deinen!--Mangelte Vertrauen, Wo Majestät unweigerlich
gebeut, Bereite Macht Feindseliges zerstreut? Wo guter Wille, kräftig
durch Verstand, Und Tätigkeit, vielfältige, zur Hand? Was könnte da
zum Unheil sich vereinen, Zur Finsternis, wo solche Sterne scheinen?
GEMURMEL: Das ist ein Schalk--Der's wohl versteht-- Er lügt sich
ein--So lang' es geht-- Ich weiß schon--Was dahinter steckt-- Und was
denn weiter?--Ein Projekt--
MEPHISTOPHELES: Wo fehlt's nicht irgendwo auf dieser Welt? Dem
dies, dem das, hier aber fehlt das Geld. Vom Estrich zwar ist es nicht
aufzuraffen; Doch Weisheit weiß das Tiefste herzuschaffen. In
Bergesadern, Mauergründen Ist Gold gemünzt und ungemünzt zu
finden, Und fragt ihr mich, wer es zutage schafft: Begabten Manns
Natur--und Geisteskraft.
KANZLER: Natur und Geist--so spricht man nicht zu Christen.
Deshalb verbrennt man Atheisten, Weil solche Reden höchst gefährlich

sind. Natur ist Sünde, Geist ist Teufel, Sie hegen zwischen sich den
Zweifel, Ihr mißgestaltet Zwitterkind. Uns nicht so!--Kaisers alten
Landen Sind zwei Geschlechter nur entstanden, Sie stützen würdig
seinen Thron: Die Heiligen sind es und die Ritter; Sie stehen jedem
Ungewitter Und nehmen Kirch' und Staat zum Lohn. Dem Pöbelsinn
verworrner Geister Entwickelt sich ein Widerstand: Die Ketzer sind's!
die Hexenmeister! Und sie verderben Stadt und Land. Die willst du nun
mit frechen Scherzen In diese hohen Kreise schwärzen; Ihr hegt euch
an verderbtem Herzen, Dem Narren sind sie nah verwandt.
MEPHISTOPHELES: Daran erkenn' ich den gelehrten Herrn! Was ihr
nicht tastet, steht euch meilenfern, Was ihr nicht faßt, das fehlt euch
ganz und gar, Was ihr nicht rechnet, glaubt ihr, sei nicht wahr, Was ihr
nicht wägt, hat für euch kein Gewicht, Was ihr
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