Faust: Der Tragoedie, part 1 | Page 8

Johann Wolfgang von Goethe
ein kleiner Raum ihr genug,
Wenn Glück
auf Glück im Zeitenstrudel scheitert.
Die Sorge nistet gleich im tiefen
Herzen,
Dort wirket sie geheime Schmerzen,
Unruhig wiegt sie sich
und störet Luft und Ruh;
Sie deckt sich stets mit neuen Masken zu,

Sie mag als Haus und Hof, als Weib und Kind erscheinen,
Als Feuer,
Wasser, Dolch und Gift;
Du bebst vor allem, was nicht trifft,
Und
was du nie verlierst, das mußt du stets beweinen.
Den Göttern gleich ich nicht! zu tief ist es gefühlt;
Dem Wurme
gleich ich, der den Staub durchwühlt,
Den, wie er sich im Staube
nährend lebt,
Des Wandrers Tritt vernichtet und begräbt.
Ist es nicht Staub, was diese hohe Wand
Aus hundert Fächern mit
verenget?
Der Trödel, der mit tausendfachem Tand
In dieser
Mottenwelt mich dränget?
Hier soll ich finden, was mir fehlt?
Soll
ich vielleicht in tausend Büchern lesen,
Daß überall die Menschen
sich gequält,
Daß hie und da ein Glücklicher gewesen?-
Was
grinsest du mir, hohler Schädel, her?
Als daß dein Hirn, wie meines,
einst verwirret
Den leichten Tag gesucht und in der Dämmrung
schwer,
Mit Luft nach Wahrheit, jämmerlich geirret.
Ihr
Instrumente freilich spottet mein,
Mit Rad und Kämmen, Walz und
Bügel:
Ich stand am Tor, ihr solltet Schlüssel sein;
Zwar euer Bart
ist kraus, doch hebt ihr nicht die Riegel.
Geheimnisvoll am lichten
Tag
Läßt sich Natur des Schleiers nicht berauben,
Und was sie
deinem Geist nicht offenbaren mag,
Das zwingst du ihr nicht ab mit
Hebeln und mit Schrauben.
Du alt Geräte, das ich nicht gebraucht,

Du stehst nur hier, weil dich mein Vater brauchte.
Du alte Rolle, du
wirst angeraucht,
Solang an diesem Pult die trübe Lampe schmauchte.

Weit besser hätt ich doch mein Weniges verpraßt,

Als mit dem
Wenigen belastet hier zu schwitzen!
Was du ererbt von deinem Vater
hast,
Erwirb es, um es zu besitzen.
Was man nicht nützt, ist eine
schwere Last,
Nur was der Augenblick erschafft, das kann er nützen.

Doch warum heftet sich mein Blick auf jene Stelle?
Ist jenes
Fläschchen dort den Augen ein Magnet?
Warum wird mir auf einmal
lieblich helle,
Als wenn im nächt'gen Wald uns Mondenglanz
umweht?
Ich grüße dich, du einzige Phiole,
Die ich mit Andacht nun
herunterhole!
In dir verehr ich Menschenwitz und Kunst.
Du
Inbegriff der holden Schlummersäfte,
Du Auszug aller tödlich feinen
Kräfte,
Erweise deinem Meister deine Gunst!
Ich sehe dich, es wird
der Schmerz gelindert,
Ich fasse dich, das Streben wird gemindert,

Des Geistes Flutstrom ebbet nach und nach.
Ins hohe Meer werd ich
hinausgewiesen,
Die Spiegelflut erglänzt zu meinen Füßen,
Zu
neuen Ufern lockt ein neuer Tag.
Ein Feuerwagen schwebt, auf leichten Schwingen,
An mich heran!
Ich fühle mich bereit,
Auf neuer Bahn den Äther zu durchdringen,

Zu neuen Sphären reiner Tätigkeit.
Dies hohe Leben, diese
Götterwonne!
Du, erst noch Wurm, und die verdienest du?
Ja, kehre
nur der holden Erdensonne
Entschlossen deinen Rücken zu!

Vermesse dich, die Pforten aufzureißen,
Vor denen jeder gern
vorüberschleicht!
Hier ist es Zeit, durch Taten zu beweisen,
Das
Manneswürde nicht der Götterhöhe weicht,
Vor jener dunkeln Höhle
nicht zu beben,
In der sich Phantasie zu eigner Qual verdammt,

Nach jenem Durchgang hinzustreben,
Um dessen engen Mund die
ganze Hölle flammt;
In diesem Schritt sich heiter zu entschließen,

Und wär es mit Gefahr, ins Nichts dahin zu fließen.
Nun komm herab, kristallne reine Schale!
Hervor aus deinem alten
Futterale,
An die ich viele Jahre nicht gedacht!
Du glänzetst bei der
Väter Freudenfeste,
Erheitertest die ernsten Gäste,
Wenn einer dich
dem andern zugebracht.
Der vielen Bilder künstlich reiche Pracht,

Des Trinkers Pflicht, sie reimweis zu erklären,
Auf einen Zug die
Höhlung auszuleeren,
Erinnert mich an manche Jugendnacht.
Ich
werde jetzt dich keinem Nachbar reichen,
Ich werde meinen Witz an

deiner Kunst nicht zeigen.
Hier ist ein Saft, der eilig trunken macht;

Mit brauner Flut erfüllt er deine Höhle.
Den ich bereit, den ich
wähle,
"Der letzte Trunk sei nun, mit ganzer Seele,
Als festlich
hoher Gruß, dem Morgen zugebracht!
(Er setzt die Schale an den
Mund.)
Glockenklang und Chorgesang.
CHOR DER ENGEL:
Christ ist erstanden!
Freude dem
Sterblichen,
Den die verderblichen,
Schleichenden, erblichen

Mängel unwanden.
FAUST:
Welch tiefes Summen, welch heller Ton
Zieht mit Gewalt
das Glas von meinem Munde?
Verkündigt ihr dumpfen Glocken
schon
Des Osterfestes erste Feierstunde?
Ihr Chöre, singt ihr schon
den tröstlichen Gesang,
Der einst, um Grabes Nacht, von
Engelslippen klang,
Gewißheit einem neuen Bunde?
CHOR DER WEIBER:
Mit Spezereien
Hatten wir ihn gepflegt,

Wir seine Treuen
Hatten ihn hingelegt;
Tücher und Binden

Reinlich unwanden wir,
Ach! und wir finden
Christ nicht mehr hier.
CHOR DER ENGEL:
Christ ist erstanden!
Selig der Liebende,

Der die betrübende,
Heilsam und übende
Prüfung bestanden.
FAUST:
Was sucht ihr, mächtig und gelind,
Ihr Himmelstöne,
mich am Staube?
Klingt dort umher, wo weiche Menschen sind.

Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube;
Das Wunder
ist des Glaubens liebstes Kind.
Zu jenen Sphären wag ich nicht zu
streben,
Woher die holde Nachricht tönt;
Und doch, an diesen
Klang von Jugend auf gewöhnt,
Ruft er auch jetzt zurück mich in das
Leben.

Sonst stürzte sich der Himmelsliebe Kuß
Auf mich herab in
ernster Sabbatstille;
Da klang so ahnungsvoll des Glockentones Fülle,

Und ein Gebet war brünstiger Genuß;
Ein unbegreiflich holdes
Sehnen
Trieb mich, durch Wald und Wiesen hinzugehn,
Und unter
tausend heißen Tränen
Fühlt ich mir eine Welt entstehn.
Dies Lieb

verkündete der Jugend muntre Spiele,
Der Frühlingsfeier freies Glück;

Erinnrung hält mich nun, mit kindlichem Gefühle,
Vom letzten,
ernsten Schritt zurück.
O tönet fort, ihr süßen Himmelslieder!
Die
Träne quillt, die Erde hat mich wieder!
CHOR DER JÜNGER:
Hat der Begrabene
Schon sich nach oben,

Lebend Erhabene,
Herrlich erhoben;
Ist er in Werdeluft

Schaffender Freude nah:
Ach!
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