Faust: Der Tragoedie, part 1 | Page 7

Johann Wolfgang von Goethe
es, der, von
meinem Hauch umwittert,
In allen Lebenslagen zittert,
Ein
furchtsam weggekrümmter Wurm?
FAUST:
Soll ich dir, Flammenbildung, weichen?
Ich bin's, bin
Faust, bin deinesgleichen!
GEIST:
In Lebensfluten, im Tatensturm
Wall ich auf und ab,

Wehe hin und her!
Geburt und Grab,
Ein ewiges Meer,
Ein
wechselndes Wehen,
Ein glühend Leben,
So schaff ich am
laufenden Webstuhl der Zeit
Und wirke der Gottheit lebendiges
Kleid.
FAUST:
Der du die weite Welt umschweifst,
Geschäftiger Geist,
wie nah fühl ich mich dir!
GEIST:
Du gleichst dem Geist, den du begreifst,
Nicht mir!

(verschwindet)
FAUST (zusammenstürzend):
Nicht dir?
Wem denn?
Ich
Ebenbild der Gottheit!
Und nicht einmal dir!
(es klopft)

O Tod! ich kenn's- das ist mein FamulusEs
wird mein schönstes
Glück zunichte!
Daß diese Fülle der Geschichte
Der trockne
Schleicher stören muß!
(Wagner im Schlafrock und der Nachtmütze,
eine Lampe in der Hand. Faust wendet sich unwillig.)
WAGNER:
Verzeiht! ich hör euch deklamieren;
Ihr last gewiß ein
griechisch Trauerspiel?
In dieser Kunst möcht ich was profitieren,

Denn heutzutage wirkt das viel.
Ich hab es öfters rühmen hören,
Ein
Komödiant könnt einen Pfarrer lehren.
FAUST:
Ja, wenn der Pfarrer ein Komödiant ist;
Wie das denn
wohl zuzeiten kommen mag.
WAGNER:
Ach! wenn man so in sein Museum gebannt ist,
Und
sieht die Welt kaum einen Feiertag,
Kaum durch ein Fernglas, nur
von weitem,
Wie soll man sie durch Überredung leiten?
FAUST:
Wenn ihr's nicht fühlt, ihr werdet's nicht erjagen,
Wenn es
nicht aus der Seele dringt
Und mit urkräftigem Behagen
Die Herzen
aller Hörer zwingt.
Sitzt ihr nur immer! leimt zusammen,
Braut ein
Ragout von andrer Schmaus
Und blast die kümmerlichen Flammen

Aus eurem Aschenhäuschen 'raus!
Bewundrung von Kindern und
Affen,
Wenn euch darnach der Gaumen stehtDoch
werdet ihr nie
Herz zu Herzen schaffen,
Wenn es euch nicht von Herzen geht.
WAGNER:
Allein der Vortrag macht des Redners Glück;
Ich fühl
es wohl, noch bin ich weit zurück.
FAUST:
Such Er den redlichen Gewinn!
Sei Er kein schellenlauter
Tor!
Es trägt Verstand und rechter Sinn
Mit wenig Kunst sich
selber vor!
Und wenn's euch Ernst ist, was zu sagen,
Ist's nötig,
Worten nachzujagen?
Ja, eure Reden, die so blinkend sind,
In denen
ihr der Menschheit Schnitzel kräuselt,

Sind unerquicklich wie der
Nebelwind,
Der herbstlich durch die dürren Blätter säuselt!

WAGNER:
Ach Gott! die Kunst ist lang;
Und kurz ist unser Leben.

Mir wird, bei meinem kritischen Bestreben,
Doch oft um Kopf und
Busen bang.
Wie schwer sind nicht die Mittel zu erwerben,
Durch
die man zu den Quellen steigt!
Und eh man nur den halben Weg
erreicht,
Muß wohl ein armer Teufel sterben.
FAUST:
Das Pergament, ist das der heil'ge Bronnen,
Woraus ein
Trunk den Durst auf ewig stillt?
Erquickung hast du nicht gewonnen,

Wenn sie dir nicht aus eigner Seele quillt.
WAGNER:
Verzeiht! es ist ein groß Ergetzen,
Sich in den Geist
der Zeiten zu versetzen;
Zu schauen, wie vor uns ein weiser Mann
gedacht,
Und wie wir's dann zuletzt so herrlich weit gebracht.
FAUST:
O ja, bis an die Sterne weit!
Mein Freund, die Zeiten der
Vergangenheit
Sind uns ein Buch mit sieben Siegeln.
Was ihr den
Geist der Zeiten heißt,
Das ist im Grund der Herren eigner Geist,
In
dem die Zeiten sich bespiegeln.
Da ist's denn wahrlich oft ein Jammer!

Man läuft euch bei dem ersten Blick davon.
Ein Kehrichtfaß und
eine Rumpelkammer
Und höchstens eine Haupt- und Staatsaktion

Mit trefflichen pragmatischen Maximen,
Wie sie den Puppen wohl
im Munde ziemen!
WAGNER:
Allein die Welt! des Menschen Herz und Geist!
Möcht
jeglicher doch was davon erkennen.
FAUST:
Ja, was man so erkennen heißt!
Wer darf das Kind beim
Namen nennen?
Die wenigen, die was davon erkannt,
Die töricht
g'nug ihr volles Herz nicht wahrten,
Dem Pöbel ihr Gefühl, ihr
Schauen offenbarten,
Hat man von je gekreuzigt und verbrannt.
Ich
bitt Euch, Freund, es ist tief in der Nacht,
Wir müssen's diesmal
unterbrechen.
WAGNER:

Ich hätte gern nur immer fortgewacht,
Um so gelehrt

mit Euch mich zu besprechen.
Doch morgen, als am ersten Ostertage,

Erlaubt mir ein' und andre Frage.
Mit Eifer hab' ich mich der
Studien beflissen;
Zwar weiß ich viel, doch möcht' ich alles wissen.

(Ab.)
FAUST (allein):
Wie nur dem Kopf nicht alle Hoffnung schwindet,

Der immerfort an schalem Zeuge klebt,
Mit gier'ger Hand nach
Schätzen gräbt,
Und froh ist, wenn er Regenwürmer findet!
Darf eine solche Menschenstimme hier,
Wo Geisterfülle mich umgab,
ertönen?
Doch ach! für diesmal dank ich dir,
Dem ärmlichsten von
allen Erdensöhnen.
Du rittest mich von der Verzweiflung los,
Die
mir die Sinne schon zerstören wollte.
Ach! die Erscheinung war so
riesengroß,
Daß ich mich recht als Zwerg empfinden sollte.
Ich, Ebenbild der Gottheit, das sich schon
Ganz nah gedünkt dem
Spiegel ew'ger Wahrheit,
Sein selbst genoß in Himmelsglanz und
Klarheit,
Und abgestreift den Erdensohn;
Ich, mehr als Cherub,
dessen freie Kraft
Schon durch die Adern der Natur zu fließen
Und,
schaffend, Götterleben zu genießen
Sich ahnungsvoll vermaß, wie
muß ich's büßen!
Ein Donnerwort hat mich hinweggerafft.
Nicht darf ich dir zu gleichen mich vermessen;
Hab ich die Kraft dich
anzuziehn besessen,
So hatt ich dich zu halten keine Kraft.
Zu
jenem sel'gen Augenblicke
Ich fühlte mich so klein, so groß;
Du
stießest grausam mich zurück,
Ins ungewisse Menschenlos.
Wer
lehret mich? was soll ich meiden?
Soll ich gehorchen jenem Drang?

Ach! unsre Taten selbst, so gut als unsre Leiden,
Sie hemmen
unsres Lebens Gang.
Dem Herrlichsten, was auch der Geist empfangen,
Drängt immer
fremd und fremder Stoff sich an;
Wenn wir zum Guten dieser Welt
gelangen,
Dann heißt das Beßre Trug und Wahn.
Die uns das Leben
gaben, herrliche Gefühle

Erstarren in dem irdischen Gewühle.

Wenn Phantasie sich sonst mit kühnem Flug
Und hoffnungsvoll zum
Ewigen erweitert,
So ist
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