Faust: Der Tragoedie, part 1 | Page 6

Johann Wolfgang von Goethe
sich.)
MEPHISTOPHELES (allein):

Von Zeit zu Zeit seh ich den Alten

gern,
Und hüte mich, mit ihm zu brechen.
Es ist gar hübsch von
einem großen Herrn,
So menschlich mit dem Teufel selbst zu
sprechen.
FAUST: Der Tragödie erster Teil
Nacht.
In einem hochgewölbten, engen gotischen Zimmer Faust,
unruhig auf
seinem Sessel am Pulte.
FAUST:
Habe nun, ach! Philosophie,
Juristerei und Medizin,

Und leider auch Theologie
Durchaus studiert, mit heißem Bemühn.

Da steh ich nun, ich armer Tor!
Und bin so klug als wie zuvor;

Heiße Magister, heiße Doktor gar
Und ziehe schon an die zehen Jahr

Herauf, herab und quer und krumm
Meine Schüler an der Nase
herumUnd
sehe, daß wir nichts wissen können!
Das will mir schier
das Herz verbrennen.
Zwar bin ich gescheiter als all die Laffen,

Doktoren, Magister, Schreiber und Pfaffen;
Mich plagen keine
Skrupel noch Zweifel,
Fürchte mich weder vor Hölle noch TeufelDaf

ür ist mir auch alle Freud entrissen,
Bilde mir nicht ein, was Rechts
zu wissen,
Bilde mir nicht ein, ich könnte was lehren,
Die
Menschen zu bessern und zu bekehren.
Auch hab ich weder Gut noch
Geld,
Noch Ehr und Herrlichkeit der Welt;
Es möchte kein Hund so
länger leben!
Drum hab ich mich der Magie ergeben,
Ob mir durch
Geistes Kraft und Mund
Nicht manch Geheimnis würde kund;
Daß
ich nicht mehr mit saurem Schweiß
Zu sagen brauche, was ich nicht
weiß;
Daß ich erkenne, was die Welt
Im Innersten zusammenhält,

Schau alle Wirkenskraft und Samen,
Und tu nicht mehr in Worten
kramen.
O sähst du, voller Mondenschein,
Zum letzenmal auf meine Pein,

Den ich so manche Mitternacht
An diesem Pult herangewacht:

Dann über Büchern und Papier,

Trübsel'ger Freund, erschienst du mir!


Ach! könnt ich doch auf Bergeshöhn
In deinem lieben Lichte gehn,

Um Bergeshöhle mit Geistern schweben,
Auf Wiesen in deinem
Dämmer weben,
Von allem Wissensqualm entladen,
In deinem Tau
gesund mich baden!
Weh! steck ich in dem Kerker noch?
Verfluchtes dumpfes Mauerloch,

Wo selbst das liebe Himmelslicht
Trüb durch gemalte Scheiben
bricht!
Beschränkt mit diesem Bücherhauf,
den Würme nagen,
Staub bedeckt,
Den bis ans hohe Gewölb hinauf
Ein angeraucht
Papier umsteckt;
Mit Gläsern, Büchsen rings umstellt,
Mit
Instrumenten vollgepfropft,
Urväter Hausrat drein gestopftDas
ist
deine Welt! das heißt eine Welt!
Und fragst du noch, warum dein Herz
Sich bang in deinem Busen
klemmt?
Warum ein unerklärter Schmerz
Dir alle Lebensregung
hemmt?
Statt der lebendigen Natur,
Da Gott die Menschen schuf
hinein,
Umgibt in Rauch und Moder nur
Dich Tiergeripp und
Totenbein.
Flieh! auf! hinaus ins weite Land!
Und dies geheimnisvolle Buch,

Von Nostradamus' eigner Hand,
Ist dir es nicht Geleit genug?

Erkennest dann der Sterne Lauf,
Und wenn Natur dich Unterweist,

Dann geht die Seelenkraft dir auf,
Wie spricht ein Geist zum andren
Geist.
Umsonst, daß trocknes Sinnen hier
Die heil'gen Zeichen dir
erklärt:
Ihr schwebt, ihr Geister, neben mir;
Antwortet mir, wenn
ihr mich hört!
(Er schlägt das Buch auf und erblickt das Zeichen des
Makrokosmus.)
Ha! welche Wonne fließt in diesem Blick
Auf einmal mir durch alle
meine Sinnen!
Ich fühle junges, heil'ges Lebensglück
Neuglühend
mir durch Nerv' und Adern rinnen.
War es ein Gott, der diese Zeichen
schrieb,
Die mir das innre Toben stillen,
Das arme Herz mit Freude
füllen,
Und mit geheimnisvollem Trieb
Die Kräfte der Natur rings
um mich her enthüllen?
Bin ich ein Gott? Mir wird so licht!
Ich

schau in diesen reinen Zügen
Die wirkende Natur vor meiner Seele
liegen.
Jetzt erst erkenn ich, was der Weise spricht:
"Die
Geisterwelt ist nicht verschlossen;
Dein Sinn ist zu, dein Herz ist tot!

Auf, bade, Schüler, unverdrossen
Die ird'sche Brust im
Morgenrot!"
(er beschaut das Zeichen.)
Wie alles sich zum Ganzen webt,
Eins in dem andern wirkt und lebt!

Wie Himmelskräfte auf und nieder steigen
Und sich die goldnen
Eimer reichen!
Mit segenduftenden Schwingen
Vom Himmel durch
die Erde dringen,
Harmonisch all das All durchklingen!
Welch Schauspiel! Aber ach! ein Schauspiel nur!
Wo fass ich dich,
unendliche Natur?
Euch Brüste, wo? Ihr Quellen alles Lebens,
An
denen Himmel und Erde hängt,
Dahin die welke Brust sich drängtIhr

quellt, ihr tränkt, und schmacht ich so vergebens?
(er schlägt
unwillig das Buch um und erblickt das Zeichen des Erdgeistes.)
Wie anders wirkt dies Zeichen auf mich ein!
Du, Geist der Erde, bist
mir näher;
Schon fühl ich meine Kräfte höher,
Schon glüh ich wie
von neuem Wein.
Ich fühle Mut, mich in die Welt zu wagen,
Der
Erde Weh, der Erde Glück zu tragen,
Mit Stürmen mich
herumzuschlagen
Und in des Schiffbruchs Knirschen nicht zu zagen.

Es wölkt sich über mirDer
Mond verbirgt sein LichtDie
Lampe
schwindet!
Es dampft! Es zucken rote Strahlen
Mir um das Haupt-
Es weht
Ein Schauer vom Gewölb herab
Und faßt mich an!
Ich
fühl's, du schwebst um mich, erflehter Geist
Enthülle dich!
Ha!
wie's in meinem Herzen reißt!
Zu neuen Gefühlen
All meine Sinnen
sich erwühlen!
Ich fühle ganz mein Herz dir hingegeben!
Du mußt!
du mußt! und kostet es mein Leben!
(Er faßt das Buch und spricht das
Zeichen des Geistes geheimnisvoll aus. Es zuckt eine rötliche Flamme,
der Geist erscheint in der Flamme.)
GEIST:
Wer ruft mir?

FAUST (abgewendet):
Schreckliches Gesicht!
GEIST:
Du hast mich mächtig angezogen,
An meiner Sphäre lang
gesogen,
Und nun-
FAUST:
Weh! ich ertrag dich nicht!
GEIST:
Du flehst, eratmend mich zu schauen,
Meine Stimme zu
hören, mein Antlitz zu sehn;
Mich neigt dein mächtig Seelenflehn,

Da bin ich!- Welch erbärmlich Grauen
Faßt Übermenschen dich! Wo
ist der Seele Ruf?
Wo ist die Brust, die eine Welt in sich erschuf

Und trug und hegte, die mit Freudebeben
Erschwoll, sich uns, den
Geistern, gleich zu heben?
Wo bist du, Faust, des Stimme mir erklang,

Der sich an mich mit allen Kräften drang?
Bist du
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