Faust: Der Tragoedie, part 1 | Page 4

Johann Wolfgang von Goethe
Freundschaft unsres Herzens Segen
Mit Götterhand
erschaffen und erpflegen.
Ach! was in tiefer Brust uns da entsprungen,
Was sich die Lippe
schüchtern vorgelallt,
Mißraten jetzt und jetzt vielleicht gelungen,

Verschlingt des wilden Augenblicks Gewalt.
Oft, wenn es erst durch
Jahre durchgedrungen,
Erscheint es in vollendeter Gestalt.
Was
glänzt, ist für den Augenblick geboren,
Das Echte bleibt der
Nachwelt unverloren.
LUSTIGE PERSON:
Wenn ich nur nichts von Nachwelt hören
sollte.
Gesetzt, daß ich von Nachwelt reden wollte,
Wer machte
denn der Mitwelt Spaß?
Den will sie doch und soll ihn haben.
Die
Gegenwart von einem braven Knaben
Ist, dächt ich, immer auch
schon was.
Wer sich behaglich mitzuteilen weiß,
Den wird des
Volkes Laune nicht erbittern;
Er wünscht sich einen großen Kreis,

Um ihn gewisser zu erschüttern.
Drum seid nur brav und zeigt euch
musterhaft,
Laßt Phantasie, mit allen ihren Chören,
Vernunft,
Verstand, Empfindung, Leidenschaft,
Doch, merkt euch wohl! nicht
ohne Narrheit hören.
DIREKTOR:
Besonders aber laßt genug geschehn!
Man kommt zu
schaun, man will am liebsten sehn.
Wird vieles vor den Augen
abgesponnen,

So daß die Menge staunend gaffen kann,
Da habt Ihr
in der Breite gleich gewonnen,
Ihr seid ein vielgeliebter Mann.
Die

Masse könnt Ihr nur durch Masse zwingen,
Ein jeder sucht sich
endlich selbst was aus.
Wer vieles bringt, wird manchem etwas
bringen;
Und jeder geht zufrieden aus dem Haus.
Gebt Ihr ein Stück,
so gebt es gleich in Stücken!
Solch ein Ragout, es muß Euch glücken;

Leicht ist es vorgelegt, so leicht als ausgedacht.
Was hilft's, wenn
Ihr ein Ganzes dargebracht?
Das Publikum wird es Euch doch
zerpflücken.
DICHTER:
Ihr fühlet nicht, wie schlecht ein solches Handwerk sei!

Wie wenig das dem echten Künstler zieme!
Der saubern Herren
Pfuscherei
Ist. merk ich. schon bei Euch Maxime.
DIREKTOR:
Ein solcher Vorwurf läßt mich ungekränkt:
Ein
Mann, der recht zu wirken denkt,
Muß auf das beste Werkzeug halten.

Bedenkt, Ihr habet weiches Holz zu spalten,
Und seht nur hin, für
wen Ihr schreibt!
Wenn diesen Langeweile treibt,
Kommt jener satt
vom übertischten Mahle,
Und, was das Allerschlimmste bleibt,
Gar
mancher kommt vom Lesen der Journale.
Man eilt zerstreut zu uns,
wie zu den Maskenfesten,
Und Neugier nur beflügelt jeden Schritt;

Die Damen geben sich und ihren Putz zum besten
Und spielen ohne
Gage mit.
Was träumet Ihr auf Eurer Dichterhöhe?
Was macht ein
volles Haus Euch froh?
Beseht die Gönner in der Nähe!
Halb sind
sie kalt, halb sind sie roh.
Der, nach dem Schauspiel, hofft ein
Kartenspiel,
Der eine wilde Nacht an einer Dirne Busen.
Was plagt
ihr armen Toren viel,
Zu solchem Zweck, die holden Musen?
Ich
sag Euch, gebt nur mehr und immer, immer mehr,
So könnt Ihr Euch
vom Ziele nie verirren
Sucht nur die Menschen zu verwirren,
Sie zu
befriedigen, ist schwer--
Was fällt Euch an? Entzückung oder
Schmerzen?
DICHTER:

Geh hin und such dir einen andern Knecht!
Der
Dichter sollte wohl das höchste Recht,
Das Menschenrecht, das ihm
Natur vergönnt,
Um deinetwillen freventlich verscherzen!
Wodurch
bewegt er alle Herzen?
Wodurch besiegt er jedes Element?
Ist es

der Einklang nicht, der aus dem Busen dringt,
Und in sein Herz die
Welt zurücke schlingt?
Wenn die Natur des Fadens ew'ge Länge,

Gleichgültig drehend, auf die Spindel zwingt,
Wenn aller Wesen
unharmon'sche Menge
Verdrießlich durcheinander klingtWer
teilt
die fließend immer gleiche Reihe
Belebend ab, daß sie sich
rhythmisch regt?
Wer ruft das Einzelne zur allgemeinen Weihe,
Wo
es in herrlichen Akkorden schlägt?
Wer läßt den Sturm zu
Leidenschaften wüten?
Das Abendrot im ernsten Sinne glühn?
Wer
schüttet alle schönen Frühlingsblüten
Auf der Geliebten Pfade hin?

Wer flicht die unbedeutend grünen Blätter
Zum Ehrenkranz
Verdiensten jeder Art?
Wer sichert den Olymp? vereinet Götter?

Des Menschen Kraft, im Dichter offenbart.
LUSTIGE PERSON:
So braucht sie denn, die schönen Kräfte
Und
treibt die dichtrischen Geschäfte
Wie man ein Liebesabenteuer treibt.

Zufällig naht man sich, man fühlt, man bleibt
Und nach und nach
wird man verflochten;
Es wächst das Glück, dann wird es
angefochten
Man ist entzückt, nun kommt der Schmerz heran,
Und
eh man sich's versieht, ist's eben ein Roman.
Laßt uns auch so ein
Schauspiel geben!
Greift nur hinein ins volle Menschenleben!
Ein
jeder lebt's, nicht vielen ist's bekannt,
Und wo ihr's packt, da ist's
interessant.
In bunten Bildern wenig Klarheit,
Viel Irrtum und ein
Fünkchen Wahrheit,
So wird der beste Trank gebraut,
Der alle Welt
erquickt und auferbaut.
Dann sammelt sich der Jugend schönste Blüte

Vor eurem Spiel und lauscht der Offenbarung,
Dann sauget jedes
zärtliche Gemüte
Aus eurem Werk sich melanchol'sche Nahrung,

Dann wird bald dies, bald jenes aufgeregt
Ein jeder sieht, was er im
Herzen trägt.
Noch sind sie gleich bereit, zu weinen und zu lachen,

Sie ehren noch den Schwung, erfreuen sich am Schein;
Wer fertig ist,
dem ist nichts recht zu machen;
Ein Werdender wird immer dankbar
sein.
DICHTER:
So gib mir auch die Zeiten wieder,
Da ich noch selbst

im Werden war,
Da sich ein Quell gedrängter Lieder

Ununterbrochen neu gebar,
Da Nebel mir die Welt verhüllten,
Die
Knospe Wunder noch versprach,
Da ich die tausend Blumen brach,

Die alle Täler reichlich füllten.
Ich hatte nichts und doch genug:

Den Drang nach Wahrheit und die Lust am Trug.
Gib ungebändigt
jene Triebe,
Das tiefe, schmerzenvolle Glück,
Des Hasses Kraft, die
Macht der Liebe,
Gib meine Jugend mir zurück!
LUSTIGE PERSON:
Der Jugend, guter Freund, bedarfst du
allenfalls,
Wenn dich in Schlachten Feinde drängen,
Wenn mit
Gewalt an deinen Hals
Sich allerliebste Mädchen hängen,
Wenn
fern des schnellen Laufes Kranz
Vom schwer erreichten Ziele winket,

Wenn nach dem heft'gen Wirbeltanz
Die Nächte schmausend man
vertrinket.
Doch ins bekannte Saitenspiel
Mit Mut und Anmut
einzugreifen,
Nach einem selbstgesteckten Ziel
Mit holdem Irren
hinzuschweifen,
Das, alte Herrn, ist eure Pflicht,
Und wir
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