Fabeln und Erzählungen | Page 8

Christian Fürchtegott Gellert
eine Brems entgegenzog,
Und durstig auf die nasse Stange
An
seinem blanken Zaume flog.
Sie leckte von dem weißen Schaume,

Der heficht am Gebisse floß.
"Geschmeiße!" sprach das wilde Roß,

"Du scheust dich nicht vor meinem Zaume?
Wo bleibt die Ehrfurcht
gegen mich?
Wie? Darfst du wohl ein Pferd erbittern?
Ich schüttle
nur: so mußt du zittern."
Es schüttelte; die Bremse wich.
Allein sie
suchte sich zu rächen;
Sie flog ihm nach, um ihn zu stechen,
Und
stach den Schimmel in das Maul.
Das Pferd erschrak, und blieb vor
Schrecken
In Wurzeln mit dem Eisen stecken.
Und brach ein Bein;
hier lag der stolze Gaul.

Auf sich den Haß der Niedern laden,
Dies stürzet oft den größten
Mann.
Wer dir, als Freund, nicht nützen kann,
Kann allemal, als
Feind, dir schaden.
Das Schicksal
O Mensch! Was strebst du doch, den Ratschluß zu ergründen, Nach
welchem Gott die Welt regiert?
Mit endlicher Vernunft willst du die
Absicht finden,
Die der Unendliche bei seiner Schickung führt?
Du
siehst bei Dingen, die geschehen,
Nie das Vergangne recht, und auch
die Folge nicht,
Und hoffest doch, den Grund zu sehen,
Warum das,
was geschah, geschieht?
Die Vorsicht ist gerecht in allen ihren
Schlüssen.
Dies siehst du freilich nicht bei allen Fällen ein;
Doch
wolltest du den Grund von jeder Schickung wissen:
So müßtest du,
was Gott ist, sein.
Begnüge dich, die Absicht zu verehren,
Die du
zu sehn zu blöd am Geiste bist;
Und laß dich hier ein jüdisch Beispiel
lehren,
Daß das, was Gott verhängt, aus weisen Gründen fließt,
Und,
wenn dirs grausam scheint, gerechtes Schicksal ist.

Als Moses einst vor Gott auf einem Berge trat,

Und ihn von jenem

ewgen Rat,
Der unser Schicksal lenkt, um größre Kenntnis bat:
So
ward ihm ein Befehl, er sollte von den Höhen,
Worauf er stund, hinab
ins Ebne sehen.
Hier floß ein klarer Quell. Ein reisender Soldat

Stieg bei dem Quell von seinem Pferde,
Und trank. Kaum war der
Reuter fort.
So lief ein Knabe von der Herde
Nach einem Trunk an
diesen Ort.
Er fand den Geldsack bei der Quelle,
Der jenem hier
entfiel, er nahm ihn, und entwich;
Worauf nach eben dieser Stelle

Ein Greis gebückt an seinem Stabe schlich.
Er trank, und setzte sich,
um auszuruhen, nieder;
Sein schweres Haupt sank zitternd in das
Gras,
Bis es im Schlaf des Alters Last vergaß.
Indessen kam der
Reuter wieder,
Bedrohte diesen Greis mit wildem Ungestüm,
Und
forderte sein Geld von ihm.
Der Alte schwört, er habe nichts
gefunden,
Der Alte fleht und weint, der Reuter flucht und droht,

Und sticht zuletzt, mit vielen Wunden,
Den armen Alten wütend tot.

Als Moses dieses sah, fiel er betrübt zur Erden;
Doch eine Stimme
rief: "Hier kannst du innewerden,
Wie in der Welt sich alles billig
fügt.
Denn wiß: Es hat der Greis, der itzt im Blute liegt,
Des
Knabens Vater einst erschlagen,
Der den verlornen Raub zuvor
davongetragen."
Das Testament
Philemon, der bei großen Schätzen
Ein edelmütig Herz besaß,
Und,
andrer Mängel zu ersetzen,
Den eignen Vorteil gern vergaß:

Philemon konnte doch dem Neide nicht entgehen,
So willig er auch
war, den Neidern beizustehen.
Zween Nachbarn haßten ihn, zween
Nachbarn ruhten nie,
Aufs schimpflichste von ihm zu sprechen.

Warum? Er war beglückt, und glücklicher, als sie.
Ist dies nicht schon
ein groß Verbrechen?
Die Freunde rieten ihm, sich für den Schimpf
zu rächen.
"Nein", sprach er, "laßt sie neidisch schmähn,

Sie
werden schon nach meinem Tode sehn,
Wieviel sie recht gehabt, ein
Glück mir nicht zu gönnen,
Das wenig Menschen nützen können."

Er stirbt. Man findt sein Testament,
Und liest: "Ich will, daß einst,

nach meinem Sterben,
Mein hinterlaßnes Gut die beiden Nachbarn
erben,
Weil sie dies Gut mir nicht gegönnt."
So mancher Freund
verwünscht dies Testament.
"Wie? Konnt ich ihn nicht auch beneiden?

Mir gibt er nichts, und alles diesen beiden?"
Die beiden Nachbarn
sehn vergnügt
Den Sinn des Testaments vollführen.
Denn damals
wußte man nicht recht zu prozessieren,
Sonst hätten beide nichts
gekriegt.
So aber kriegten sie das völlige Vermögen.
Wie rühmten
sie den Selgen nicht!
Er war die Großmut selbst, er war der Zeiten
Licht,
Und alles dies des Testamentes wegen,
Denn eh er starb, war
ers noch nicht.
Sind unsre Nachbarn nun beglückt?
Vielleicht. Wir
wollen Achtung geben.
Der eine Nachbar weiht entzückt
Dem
reichen Kasten Ruh und Leben.
Er hütet ihn mit karger Hand,
Und
wacht, wenn andre schnarchend liegen,
Und wünscht mit Tränen sich
Verstand,
Die schlauen Diebe zu betrügen;
Springt oft, durch böse
Träum erschreckt,
Als ob man ihn bestohlen hätte,
Mit schnellen
Füßen aus dem Bette,
Und sucht den Ort, wo er den Schatz versteckt.

Er martert sich mit tausend Sorgen,
Sein vieles Geld vermehrt zu
sehn,
Und nimmt aus Geiz sich vor, die Hälfte zu verborgen,
Und
läßt den, den er rief, doch leer zurücke gehn.
Arm hatt er sich noch
satt gegessen;
Reich hungert er, bei halbem Essen,
Und schnitt das
Brot, das er den Seinen gab,
Mit Klagen über Gott, und über Teurung,
ab,
Und ward, mit jedem neuen Tage,
Der Seinen Last und seine
Plage.
Der andre Nachbar lachte sein.
"Der Torheit", sprach er,
"will ich wehren;
Was ich geerbt, will ich verzehren,

Und mich des
Segens recht erfreun."
Er hielt sein Wort und sah, in wenig Jahren,

Sein vieles Geld in fremder Hand;
Durch Gassen, wo er sonst stolz
auf und ab gefahren,
Schlich itzt sein Fuß ganz unbekannt.
"Ach!"
sprach er zu dem andern Erben,
"Philemon hat es wohl gedacht,

Daß uns der Reichtum wird verderben,
Drum hat er uns sein Gut
vermacht.
Du hungerst karg, ich hab es
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