Fabeln und Erzählungen | Page 9

Christian Fürchtegott Gellert
durchgebracht.
Wir waren
wert, den Reichtum zu besitzen,
Denn keiner wußt ihn recht zu
nützen."

Das Unglück der Weiber
In eine Stadt, mich deucht, sie lag in Griechenland,
Drang einst der
Feind, von Wut entbrannt,
Und wollte, weil die Stadt mit Sturm
erobert worden,
Die Bürger, in der Raserei,
Bis auf den letzten
Mann ermorden.
O Himmel! welch ein Angstgeschrei
Erregten
nicht der Weiber blasse Scharen.
Man stelle sich nur vor, wenn
tausend Weiber schrein,
Was muß das für ein Lärmen sein!
Ich
zittre schon, wenn zwei nur schrein.
Sie liefen mit zerstreuten Haaren,

Mit Augen, die von Tränen rot,
Mit Händen, die zerrungen waren,

Und warfen schon, vor Angst halbtot,
Sich vor den Feldherrn der
Barbaren,
Und flehten in gemeiner Not
Ihn insgesamt um ihrer
Männer Leben.
So hats von Tausenden nicht eine Frau gegeben,

Die sich gewünscht, des Mannes los zu sein?
Von Tausenden nicht
eine? Nein.
Nun, das ist viel; da muß, bei meinem Leben!
Noch
gute Zeit gewesen sein.
So hart, als auch der Feldherr war:
So konnt er doch dem
zauberischen Flehen
Der Weiber nicht ganz widerstehen.
Denn
welchen Mann, er sei auch zehnmal ein Barbar,
Weiß nicht ein Weib
durch Tränen zu bewegen?
Mein ganzes Herz fängt sich hier an zu
regen.
Ich hätte nicht der General sein mögen,
Vor dem der Weiber
Schar so kläglich sich vereint;
Ich hätte wie ein Kind geweint,
Und
ohne Geld den Männern gleich das Leben,
Und jeder Frau zu ihrer
Ruh
Den Mann, und einen noch dazu,
Wenn sies von mir verlangt,
gegeben.
Allein so gar gelind war dieser Feldherr nicht.
"Ihr Schönen!" fängt er
an und spricht.
Ihr Schönen? Dieses glaub ich nicht.
Ein harter
General wird nicht so liebreich sprechen.
Was willst du dir den Kopf
zerbrechen?
Genug! Er hats gesagt. Ein alter General

Hat, dächt ich,
doch wohl wissen können,
Daß man die Weiber allemal,
Sie sein es
oder nicht, kann "meine Schönen" nennen.

"Ihr Schönen", sprach der General,
"Ich schenk euch eurer Männer
Leben;
Doch jede muß für den Gemahl
Mir gleich ihr ganz
Geschmeide geben.
Und die ein Stück zurückbehält,
Verliert den
Mann vor diesem Zelt."
Wie? Fingen nicht die Weiber an zu beben?
Ihr ganz Geschmeide
hinzugeben?
Den ganzen Schmuck für einen Mann?
Gewiß, der
General war dennoch ein Tyrann.
Was halfs, daß er "Ihr Schönen!"
sagte,
Da er die Schönen doch so plagte?
Doch weit gefehlt, daß
auch nur eine zagte:
So holten sie vielmehr mit Freuden ihren
Schmuck.
Dem General war dies noch nicht genug.
Er ließ nicht eh
nach ihren Männern schicken,
Als bis sie einen Eid getan
(Der
General war selbst ein Ehemann),
Bis, sag ich, sie den Eid getan,

Den Männern nie die Wohltat vorzurücken,
Noch einen neuen
Schmuck den Männern abzudrücken.
Drauf kriegte jede Frau den
Mann.
O welche Wollust! Welch Entzücken!
Vergebens wünsch ichs
auszudrücken,
Mit welcher Brünstigkeit die Frau den Mann umfing!

Mit was für sehnsuchtsvollen Blicken
Ihr Aug an seinem Auge
hing!
Der Feind verließ die Stadt. Die Weiber blieben stehen,
Um ihren
Feinden nachzusehen;
Alsdann flog jede froh mit ihrem Mann ins
Haus.
Ist die Geschichte denn nun aus?
Noch nicht, mein Freund.
Nach wenig Tagen
Entfiel den Weibern aller Mut.
Sie grämten sich,
und durftens doch nicht sagen.
Wer wirds, den Eid zu brechen, wagen?

Genug, der Kummer trat ins Blut.
Sie legten sich; drauf starben in
zehn Tagen,
Des Lebens müd und satt, neunhundert an der Zahl.

Der alte böse General!
Das Vermächtnis
Oront, der in der Welt das große Glück erlebt,
Das Fürsten oft den

Hirten lassen müssen,
Das Glück, von einem Freund sich treu geliebt
zu wissen;
Oront, der sich dies Glück, so arm er war, erstrebt,
Ward
krank. Sein kluger Arzt sah aus verschiednen Fällen,
Daß keine
Rettung möglich war,
Eröffnete dem Kranken die Gefahr,
Und hieß
ihn bald sein Haus bestellen.
Oront, der sich nunmehr dem Irdischen
entziehn,
Und frei im Geist den Tod erwarten wollte,
Bat, daß man
seinen Freund ihm eiligst rufen sollte.
Sein Freund, sein Pylades,
erschien.
"Ach!" sprach Oront, nach zärtlichem Umfassen,
"Ich
sterb, und was mir Gott verliehn,
Will ich, mein Freund, dir
hinterlassen:
Dir laß ich meinen Sohn, ihn redlich zu erziehn,
Und
meine Frau, sie zu ernähren:
Denn du verdienst, daß sie dir
angehören."
Der Affe
Ein Affe sah ein Paar geschickte Knaben
Im Brett einmal die Dame
ziehn,
Und sah auf jeden Platz, den sie dem Steine gaben,
Mit einer
Achtsamkeit, die stolz zu sagen schien,
Als könnt er selbst die Dame
ziehn.
Er legte bald sein Mißvergnügen,
Bald seinen Beifall an den
Tag;
Er schüttelte den Kopf itzt bei des einen Zügen,
Und billigte
darauf des andern seinen Schlag.
Der eine, der gern siegen wollte,

Sann einmal lange nach, um recht geschickt zu ziehn;
Der Affe stieß
darauf an ihn
Und nickte, daß er machen sollte.
"Doch welchen
Stein soll ich denn ziehn,
Wenn dus so gut verstehst?" sprach der
erzürnte Knabe.
"Den, jenen oder diesen da,
Auf welchem ich den
Finger habe?"
Der Affe lächelte, daß er sich fragen sah,
Und sprach
zu jedem Stein mit einem Nicken: Ja.

Um deren Weisheit zu ergründen,
Die tun, als ob sie das, was du
verstehst, verstanden:
So frage sie um Rat. Sind sie mit ihrem Ja

Bei deinen Fragen hurtig da:
So kannst du mathematisch schließen,

Daß sie nicht das geringste wissen.

Der arme Greis
Um das Rhinozeros zu sehn
(Erzählte mir mein Freund), beschloß ich
auszugehn.
Ich ging vors Tor mit meinem halben Gulden,
Und vor
mir ging ein reicher, reicher Mann,
Der, seiner Miene nach, die
eingelaufnen Schulden,
Nebst dem, was
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 39
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.