Ein Ring | Page 5

Paul Heyse

Ich war so benommen von alldem, daß ich nicht imstande war, meinen
usage du monde zu zeigen, auf den ich mir sonst was zugute tat. Als ich
das merkte, wurde ich erst recht ungeschickt, stammelte mein sonst so
geläufiges Französisch wie ein Schulkind heraus und dachte: Wenn er
nur wieder ginge! Was soll er von dir denken? Im stillen lacht er über
dich!
Es schien aber nicht, als ob ihm etwas Lächerliches an mir auffiel.
Vielmehr unterhielt er mich auf die geistreichste Art und bat endlich,
da ein Platz neben mir frei wurde, um die Erlaubnis, sich zu mir setzen
zu dürfen. Fénélon hatte sich verabschiedet und ihm noch etwas
zugeraunt. Ich glaubte, gehört zu haben: Elle a quarante ans! und er
darauf, so daß ich's hören mußte: Mais elle est ravissante, mille fois
plus belle ques ses filles!--was meine Verlegenheit natürlich noch
steigerte, so sanft mir's einging.
Die Musik setzte wieder ein. Sie werden Pflichten gegen die jungen
Damen haben, sagte ich, denen Sie eine alte Mama nicht abtrünnig
machen darf.--Er habe sich für diesmal mit dieser corvée schon
abgefunden; mit seinen dreißig Jahren könne man nicht verlangen, daß
er einen ganzen Abend herumwirble--, wenn ich erlaubte, möchte er
um die Ehre bitten, mich zu Tische zu führen.
Wie gern ich's erlaubte, kannst du denken.
Es war lange her, daß sich jemand ernstlich um mich bemüht hatte,
meine Jugend lag weit hinter mir, nun war's, als stünde sie aus ihrem

Grabe wieder auf, ich vergaß, daß ich erwachsene Töchter hatte und
keine Ansprüche mehr auf eine Eroberung--und eine solche!--Es war
wie ein Märchen!
Aber ich kannte ihn ja noch gar nicht. Er ist zehn Jahre jünger als du,
dacht' ich. Eine Laune wird es von ihm sein, einmal einer femme de
quarante ans so beflissen den Hof zu machen, als sei es ihm Ernst damit,
vielleicht bloß um eine andere, mit der er gerade boudiert, zu kränken.
Morgen denkt er nicht mehr daran.
Gleichviel! Das Heute war reizend, und ich genoß es, ohne mir Sorgen
darüber zu machen, daß es nur ein Traum sein könne. Ich merkte, daß
ich zum erstenmal in meinem Leben erfuhr, was es heißt, sich verlieben,
und zwar, was ich immer für eine Fabel gehalten hatte, so auf den
ersten Blick, wie ein Blitz aus blauem Himmel. Ich erfuhr auch, daß
Liebe blind macht. Wenigstens dachte ich während des ganzen Soupers
und auch, als er nachher mir immer zur Seite blieb, keinen Augenblick
daran, was man von unserem langem Tete-a-tete mitten in der großen
Gesellschaft sagen würde, und erst als die Töchter beim
Nachhausefahren mich mit diesem Verehrer neckten, kam ich ein
wenig zur Besinnung.
Herz war nicht auf dem Ball gewesen. Bälle langweilten ihn, wir
wechselten also ab, da auch ich wenig Vergnügen an der Rolle der
Ballmutter fand, und so chaperonierte der Papa die Kinder bei anderen
Gelegenheiten, wo ich dann zu Hause blieb.
Die Nacht schlief ich nur wenig. Ich war aber so voller Freude über das
Erlebte, daß mich gar nicht danach verlangte, von mir selbst nichts
mehr zu wissen. So muß einem ganz jungen Mädchen zumute sein nach
seinem ersten Ball, wo sein Herzchen zum erstenmal gesprochen hat.
Er hatte um die Erlaubnis gebeten, sich meinem Manne vorzustellen.
Daß er gleich am folgenden Tage davon Gebrauch machen würde,
wagte ich kaum zu hoffen. Aber wirklich kam er gleich am nächsten
Abend, wo wir en petit comité waren, und betrug sich so taktvoll Herz
gegenüber, daß der die beste Meinung von ihm faßte und mir zu diesem
Anbeter gratulierte. Die Adelheid hatte mich verpetzt, was er aber in
seiner gewohnten Manier mit Lachen aufnahm.
Auch wie er nun immer öfter kam und sich als Hausfreund en titre bei
uns etablierte, hatte mein Mann nicht das geringste dagegen
einzuwenden.

Wir waren auch nie allein, eins oder das andere der Kinder war immer
zugegen, mit einer Häkelarbeit oder am Klavier, und oft brachte er auch
seinen Freund Fénélon mit, der sich damals eifrig um Helene bewarb.
So zu vieren war mir's am liebsten. Jedes Paar gehörte sich dann allein
an und hörte nicht nach dem anderen hin. Aber du mußt nicht glauben,
daß wir dann zärtliche Gespräche führten. Nie hörte ich ein Wort von
ihm, was nicht auch mein Mann hätte hören dürfen, und nur seine
Augen und zuweilen sein Verstummen sagten mir alles, was in ihm
vorging.
Auch brachte er zuweilen Bücher mit, die mir noch unbekannt waren,
da ich ziemlich ungebildet war, und wir sprachen hernach darüber.
Oder er las uns eine Racinesche Tragödie vor, was er ganz herrlich
konnte, oder Gedichte von Viktor Hugo, der damals eben erst bekannt
zu werden anfing. In der Sprache der Dichter machte er mir die
feurigsten Erklärungen, und an der Art, wie ich zuhörte, konnte er
erraten, wie es um mein eigenes Herz stand.
In der
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