Ein Ring | Page 4

Paul Heyse
irgendeinem Theater anzubieten, da er wohl wisse, er verstehe sich
nicht auf die richtige dramatische Kunst, sondern nur für sich, zu
seinem eignen Vergnügen.
Das müssen Sie uns aber mitteilen, Ebi, sagt' ich. Wenn's fertig ist,
müssen Sie mir's vorlesen. Versprechen Sie mir's!
Er errötete noch tiefer, verbeugte sich, ohne ein Wort zu sagen, und ich
konnte nicht erkennen, ob meine Bitte ihm lieb oder leid sei. Auch
vergaß ich sie selbst. Ich hatte es nur gesagt, um ihn damit zu erfreuen,
daß ich mich für sein Tun und Treiben interessierte.
Die gute Tante schwieg eine Weile. Sie hatte den Kopf gegen das
Kissen zurückgelegt und die schwarzen Augen still nach der
Zimmerdecke hinaufgerichtet. Ich fragte sie, ob sie das Sprechen nicht
zu sehr angreife. Sie möge mir das übrige morgen oder ein andermal
erzählen, wenn sie sich frischer fühle.
Nein, lieb Kind, sagte sie, ich fühle mich morgen nicht frischer als jetzt.
Alte Leute werden überhaupt nur noch ein bißchen aufgefrischt, wenn
sie an ihre jungen Tage denken. Aber gib mir das Fläschchen dort von
dem Toilettentisch!
Ich reichte ihr das Kristallflacon mit dem silbernen Verschlusse, und
sie goß von der Eau de Cologne über ihre Hände und hielt sie dann vors
Gesicht. Meine Nase bleibt mir am längsten treu, lächelte sie. Die
Zunge ist nicht mehr viel wert, Augen und Ohren lassen mich im Stich,
aber an Blumenduft und feinem Parfüm erquick' ich mich noch.
Sie behielt das Fläschchen in der Hand und sah wieder auf den Ring
herab.
Nun kommt erst die Geschichte, sagte sie. Ich hab' sie noch keinem
Menschen erzählt, nicht mal meinem Mann. Du aber sollst sie hören,
weil du ein gutes Kind bist und Schwester Julchen ähnlich siehst und
schöne Verse machst. Also paß auf und hör auch, was ich verschweige.
Denn 's ist für eine alte Frau nicht leicht, so recht zu sagen, was sie

viele Jahre auf den Herzen gehabt hat, und obwohl's eine Schwäche
war, nicht hat loswerden können. Aber du wirst es schon verstehen.
Also, vor etwa einundzwanzig Jahren war's, im Herbst, auf dem ersten
Ball, mit dem die Saison wieder eröffnet wurde, im Bethmannschen
Hause. Herzens waren natürlich eingeladen und erschienen en grande
tenue, Mutter Klärchen und die drei großen Töchter, die jüngste
allerdings erst sechzehnjährig. Und die Mädchen sahen wirklich wie
die drei Grazien aus, das heißt, wenn deren Toilette nicht von Mutter
Natur, sondern von einer Pariser Schneiderin besorgt worden wäre. Das
Wort von drei Grazien aber mußt' ich an dem Abend wohl ein
dutzendmal hören.
Wir waren natürlich in unserem Anzuge, wie immer, die einfachsten;
Herz liebte es nicht, daß ich mich oder die Kinder "putzte", da wir an
Schmuck und anderem Luxus doch nicht mit den großen Häusern
rivalisieren konnten. So hatte ich nur meine Perlen um den Hals und in
den Ohren, die Mädchen nichts als frische Blumen, freilich von den zu
dieser Jahreszeit teuersten, die weißen Tüllkleider nach der neuesten
Mode, aber ohne kostbare Spitzen, ich in einer ganz hellen,
pfirsichfarbenen Robe, ziemlich dekolletiert, wie man eben damals
ging, und eine kleine Federagraffe im Haar. Ich wußte, es stand mir gut,
doch war's schon längst mein Bestreben, mich zu eklipsieren, um meine
Mädchen glänzen zu lassen.
Sie machten auch Sensation, als sie den Saal betraten, und hatten im
Umsehen alle Tänze vergeben. Ich selbst gesellte mich zu ein paar
älteren Damen, die mir allerlei Schönes über meine Kinder und auch
über mich sagten, und ergab mich dann in das allgemeine
Mutterschicksal, mich nur noch an fremdem Vergnügen zu amüsieren.
Das hatte ich aber schon zu oft getan, als daß mich's nicht bald ermüdet
hätte, und da auch die Damen neben mir mich langweilten, versank ich
endlich in eine Art Halbschlaf mit offenen Augen, in dem nur die
tanzenden Paare mit der lebhaften Musik wie Schatten, die man im
Traum sieht, vorüberschwebten.
Auf einmal aber, in einer Tanzpause, weckte mich aus diesem
Dämmerzustand eine bekannte Stimme, die des Grafen Fénélon, der
mir einen Freund vorstellte, den Vicomte Gaston de--auch ein sehr
aristokratischer Name--, der gestern in Frankfurt angekommen sei als
Attaché bei der französischen Gesandtschaft und um die Ehre

bitte--und so weiter.
Ich machte, ein wenig verwirrt, die Augen weit auf und sah einen
jungen Herrn vor uns stehen, der auch einer geträumten Erscheinung
ähnlicher sah als einem leibhaftigen Menschen. Denn so ein schönes,
glänzendes Gesicht, mit so mädchenhaft zarten Zügen und doch ganz
ernsthaften und feurigen Augen, eine so tadellose männliche Gestalt,
dazu angezogen wie ein Gott, doch ohne Stutzerhaftigkeit, war mir
noch nicht vorgekommen.
Ich will ihn dir nicht beschreiben. Du könntest dir doch keine
Vorstellung von ihm machen.
Dazu seine Stimme, die durchs Ohr gleich ins Herz drang, obwohl sie
gar nichts Insinuantes hatte, sondern ganz schlicht und treuherzig klang,
und ein Französisch, wie man's nur in den besten Pariser Kreisen
spricht.
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