Gesellschaft erzählte man sich, er sei in Paris als ein gefährlicher
mangeur de coeurs bekannt gewesen, und man wunderte sich, daß er in
Frankfurt gar keinen Abenteuern nachging. Daß er mein Haus so fleißig
besuchte, erklärte man sich durch eine Verliebtheit in eine meiner
Töchter. Die ehrbare "alte" Madame Herz hatte niemand im Verdacht,
dem leichtfertigen jungen Vogel die Flügel beschnitten zu haben.
So dauerte das den ganzen Winter. Es war die seligste Zeit meines
Lebens.
Auch dadurch wurde das Glück nicht etwa getrübt, daß ich mir
Vorwürfe gemacht hätte. Ich verstand nicht, daß es Sünde hätte sein
können, das Liebenswürdige zu lieben und das Schöne schön zu finden.
Meinen Pflichten als Gattin und Mutter wurde ich darum nicht untreu,
wenn ich in dem Umgang mit diesem reizenden jungen Freunde mein
Herz lebhafter schlagen fühlte. Ich wollte und hoffte auch wirklich
nichts weiter, als daß es immer so fortgehen möchte, er einen Tag wie
den andern über meine Schwelle treten, um sich dann zu mir zu setzen
und eine Stunde lang ganz ernsthaft mit mir zu plaudern. Ich höre noch,
wie er beim Eintreten sagte: Guten Tag, Madame Herz. Wie geht es
ihnen? Und dann beim Scheiden: Leben Sie wohl! Auf Wiedersehen!
Das waren die einzigen deutschen Sätze, die ich ihm beigebracht hatte,
und die er mit so drolligem Akzent von sich gab, daß die unartigen
Mädchen immer darüber lachten.
Und so ging der Winter hin. Keines von uns machte sich Gedanken
über die Zukunft.
Ende März aber kam das Unglück.
Es war bei einem Diner im Hause Guaita, zu dem auch die Herren von
der französischen Gesandtschaft geladen waren. Die Frau vom Hause,
die mein Faible für ihn kannte, hatte ihm den Platz neben mir
angewiesen. Ich erschrak aber heftig, als er mir den Arm bot, mich zu
Tisch zu führen.
Denn er war totenblaß, und auf meine Frage, ob er sich krank fühle,
schüttelte er nur stumm den Kopf. Erst als wir nebeneinander Platz
genommen hatten, flüsterte er mir zu, er habe vor einer Stunde sein
Todesurteil vernommen. Sein Chef habe ihm mitgeteilt, daß er, der
Gesandte, nach Konstantinopel versetzt sei. Er, Gaston, müßte schon in
der folgenden Nacht dorthin vorausreisen, um allerhand Präliminarien
abzumachen und gewisse Weisungen für das Gesandtschaftshotel
persönlich zu überbringen. Leider könne der Gesandte ihm nur
vierundzwanzig Stunden bewilligen, um sich zur Abreise zu rüsten und
sein Zelt in Frankfurt abzubrechen.
Du kannst denken, lieb Kind, wie diese Eröffnung auf mich wirkte. Ich
war einer Ohnmacht nahe, und nur ein Glas Sherry, das Gaston mich
auszutrinken nötigte, gab mir wieder ein wenig Contenance.
Aber der Rest des Diners verlief so traurig, wie eine Henkersmahlzeit.
Wir sprachen fast nichts miteinander und aßen kaum einen Bissen.
Zuletzt kamen wir überein, daß er morgen noch einmal kommen sollte,
um Abschied zu nehmen. Am nächsten Abend war eine Soiree, ich
entsinne mich nicht, bei wem, nur daß schon ausgemacht war, Herz
sollte diesmal die Mädchen hinbegleiten und ich zu Hause bleiben. Um
halb neun fuhren sie zusammen fort. Wenn Gaston um neun kam, traf
er mich allein, und da er um zehn zu seinem Chef bestellt war, um noch
Briefe und Depeschen in Empfang zu nehmen, blieb eine volle Stunde,
die uns gehörte. Ich werde Ihnen Briefe an Wiener Damen mitgeben,
mit denen ich befreundet bin: Frau Arnstein und Eskeles und die
Baronin Pereira. Da Sie sich einige Zeit in der Kaiserstadt aufhalten
sollen, kann Ihnen die Einführung bei diesen sehr angesehenen Damen
vielleicht irgendwie nützlich sein, und jedenfalls wird es Ihnen wohltun,
mit irgend jemand von Ihrer alten Frankfurter Freundin sprechen zu
können.
So überstanden wir dies martervolle Diner. Aber die folgende Nacht
und der Tag darauf vermehrten nur meinen Schmerz, der manchmal zu
völliger Verzweiflung wurde. Jetzt erst kam mir so recht zum
Bewußtsein, daß ich ihn liebte, immer geliebt hatte, und wie ich ihn
liebte! Von ihm getrennt zu werden, stand mir vor Augen wie der
schlimmste Tod, mein Leben hernach wie eine Wüste, in der nichts
Grünes, Tröstliches für mich sprießen könnte!
Und so schrieb ich die Empfehlungsbriefe unter strömenden Tränen
und erwartete die letzte Stunde wie eine zum Tode Verurteilte.
Um halb neun kam Herz mit den Kindern, mir gute Nacht zu sagen. Sie
fanden mich blaß und angegriffen. Du hast Fieber, Frau, sagte Herz. Du
mußt früh zu Bett gehen.--Freilich hatte ich den ganzen Tag wie im
Fieber zugebracht, es brannte und glühte mir im Blut, wenn ich an den
Abend dachte, an den Abgrund, in den mich's dann fortreißen konnte.
Aber obwohl mir bei dem Gedanken schwindelte, fürchtete ich's doch
nicht und sehnte es herbei. Mir war wie einem Fieberkranken, der am
Rande eines tiefen Meeres hingeht. Bloß um sich endlich zu kühlen,
möcht' er sich hineinstürzen, wenn ihm die Wellen auch über den Kopf
zusammenschlügen, daß er in eine bodenlose Tiefe versänke.
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