vorlesen. Da Sie heute bleiben zu Haus, hab' ich mir gedacht-Ich nickte blo?, und er kam herein. Ich fand nicht gleich einen Vorwand, ihn fortzuschicken, und dann dacht ich: La? ihn nur lesen, das hilft mir ��ber die Pein der Erwartung hinweg, und wenn Gaston dann kommt, wird er von selbst wieder aufbrechen. Er bleibt ja nie, wenn ich Besuch habe. Also setzte er sich auf ein Fauteuil neben dem Sofa, schlug sein gro?es Heft auf und fing an zu lesen, wobei seine Stimme vor Aufregung zitterte und auch die H?nde, die die Bl?tter umschlugen. Er las mit einer eint?nigen, leisen Stimme, und zuweilen geriet er in einen singenden Ton, wie die Vorbeter im Tempel, die ich als Kind geh?rt hatte. Denn seit meiner Verheiratung war ich nicht mehr in die Synagoge gekommen.
Was er las, wu?te ich nicht, auch nicht, ob es Verse waren oder ��berhaupt Sinn und Verstand hatte. Nur so viel wurde mir allm?hlich klar, da? es eine Liebesgeschichte war, die er zu der biblischen Historie hinzuerfunden hatte. Ein junger Ammoniter, der unter den Gefangenen mit Jephtha nach Hause gekommen war, hatte sich in die ungl��ckliche Tochter verliebt, die nach dem ��bereilten Gel��bde des Vaters sterben sollte, weil sie die erste gewesen war, die dem heimkehrenden Sieger aus seinem Hause entgegengekommen war. Auch das M?dchen hatte zu dem J��ngling eine Neigung gefa?t, obwohl er aus dem Stamm der Feinde ihres Volkes war und nicht zu dem Gott ihrer V?ter betete. Als er aber in sie drang, w?hrend der Todesfrist von zwei Monaten, die sie auf dem Berge zubrachte, um ihr verlorenes Leben zu beweinen, sich zu retten und mit ihm zu entfliehen, widerstand sie ihrem Herzen und blieb beharrlich dabei, sich zu opfern, da ihr Vater "seinen Mund aufgetan habe gegen den Herrn", und sie sein Gel��bde heilig halten m��sse.
Das Beste an der Dichtung schien nur, soviel ich davon begriff, da? sie kurz war und viele Psalmenstellen und fromme Spr��che aus der Schrift enthielt, und so kam der Vorleser fast bis ans Ende, zu dem schw?rmerischen Lobgesange der Jungfrau kurz vor ihrem Tode, als es wieder an die T��r klopfte. Und diesmal war er's.
Seine sch?nen Augen verfinsterten sich, als er den Alten bei mir fand. Auch brachte er nicht seine paar deutschen Redensarten vor, mit denen er mich sonst begr��?te, sondern sagte: "Bon soir, Madame! Vous allez bien? Mais vous n'��tes pas seule. Si je vous d��range--"
Ich fa?te mich so gut ich konnte, stellte die Herren vor, wobei Gaston dem armen Ebi einen Blick zuwarf, wie einem todesw��rdigen Verbrecher, und sagte, unser alter Hausgenosse habe mir ein selbstverfa?tes Drama vorgelesen, wir seien eben zum Schlusse gelangt.
Ich dachte nicht anders, als da? der Alte nun gehen w��rde. Er sprach auch nicht Franz?sisch, obwohl er es verstand. Er machte aber keine Miene, aufzubrechen, nur da? er seinen Platz mit einem anderen Sitz etwas weiter vertauschte.
Sie lesen mir den Schlu? wohl ein andermal, Ebi, sagte ich. Das St��ck ist sehr sch?n. Vielleicht kann es sogar aufgef��hrt werden.
Auch das half nicht. Er antwortete mit einer stummen Verbeugung, blieb dann aber stocksteif sitzen, das Heft auf den Knien, die Augen gegen das Teppichmuster gerichtet.
Ich dachte, er w��rde doch endlich merken, da? er zuviel sei, wenn ich gar keine Notiz mehr von ihm n?hme und die Konversation franz?sisch weiterginge. Also bat ich den Vicomte, Platz zu nehmen, fragte, wann er reiten w��rde--diese Nacht noch um Mitternacht--, ob er auch mit warmen Decken versorgt w?re--eine von mir m��sse er durchaus mitnehmen--und sprach dann von den Briefen an die Wiener Damen, das gleichg��ltigste Geplauder von der Welt, w?hrend mir das Herz klopfte, als ob es aus der Brust springen wollte.
Und der Alte dabei immer regungslos wie eine Bilds?ule!
Noch jetzt wei? ich nicht, warum ich's nicht ��ber die Lippen brachte, zu sagen: Lassen Sie uns allein, Ebi. Ich habe dem Herrn Vicomte noch etwas unter vier Augen zu sagen. Aber ich wu?te, bei den Worten w��rde ich rot werden, wie ein ertapptes Schulkind, und er w��rde mir meine s��ndhafte Leidenschaft am Gesicht ablesen.
So qu?lte ich mich, den Faden des Gespr?chs fortzuspinnen, wobei Gaston mir wenig half. Denn er war derma?en verzweifelt ��ber sein Ungl��ck, mich zum letztenmal nicht ohne Zeugen sehen zu k?nnen, da? ihn alle Geistesgegenwart verlie? und er die sonderbarsten Antworten auf meine Fragen gab. Zuweilen sprang er auf, tat ein paar hastige Schritte durchs Zimmer, blieb vor der Uhr auf dem Kaminsims stehen und warf sich dann wieder in den Sessel, mit einem Seufzer, der einen Stein h?tte erweichen k?nnen, an dem alten Cerberus aber ohne jeden Eindruck abglitt.
Je l?nger es dauerte, je mehr sank mir der Mut, je l?nger wurden auch die Pausen in unsrer Konversation. Endlich schlug die Uhr zehn. Da stand er auf, er konnte sich kaum auf den Knien halten. Es ist Zeit, stammelte er. Der Graf erwartet mich. Oh
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