Ein Mann | Page 6

Joachim Nettelbeck
überließ. Bald aber
sammelte sich das ganze Schiffsvolk (es waren deren vierundachtzig
Köpfe, wie ich nachmals erfuhr) verwundert um mich her. Jeder wollte
wissen, woher ich käme? wer ich wäre? was ich wollte? Statt aller
Antwort -- und was hätte ich auch sagen können? -- fing ich an,
erbärmlich zu weinen.
Der Kapitän war diese Nacht nicht an Bord. Man brachte mich also zu
den Steuerleuten, welche das Verhör ins Kreuz und in die Quere mit
mir erneuerten. Auch hier hatte ich nichts als Tränen und Schluchzen.
»Aha, Bursche!« legte sich endlich einer aufs Raten -- »ich merke
schon! du bist von einem Schiffe weggelaufen und denkst, daß wir dich
mitnehmen sollen?« -- Das war ganz meine Herzensmeinung. Ich
stammelte also ein Ja darauf hervor, konnte mich aber diesmal nicht
entschließen, noch weiter herauszubeichten. Inzwischen hatte man
einiges Mitleid mit mir, gab mir ein Glas Wein samt einem Butterbrot
und Käse, und wies mir eine Schlafstelle an, mit dem Bedeuten, daß
morgen früh der Kapitän an Bord kommen werde, der mich vielleicht
wohl mitnehmen möchte. -- Da lag ich nun die ganze Nacht schlaflos
und überdachte, was ich sagen und verschweigen wollte.
Am andern Morgen mit Tagesanbruch fand sich der Lotse ein; der
Anker ward aufgewunden und man machte sich segelfertig; wobei ich
treuherzig und nach Kräften mit Hand anlegte. Unter diesen
Beschäftigungen kam endlich auch der Kapitän heran. Ich ward ihm

vorgestellt, und auch seine erste und natürlichste Frage war: Was ich
auf seinem Schiffe wollte? -- Ich fühlte mich nun schon ein wenig
gefaßter und gab ihm über mein Wie und Woher so ziemlich ehrlichen
Bescheid; nur setzte ich hinzu (und diese Lüge hat mir nachmals oft
bitter leid getan, denn mein Oheim war gegen mich die Milde selbst,
als ob ich sein eigen Kind wäre), dieser habe mich auf der Reise
oftmals unschuldig geschlagen, wie das denn auch noch gestern
geschehen sei. Ich könne dies nicht länger ertragen, und so sei ich
heimlich weggegangen und bäte flehentlich, der Kapitän möchte mich
annehmen. Ich wollte gerne gut tun.
Nun ich einmal so weit gegangen war, durfte ich auch die richtige
Antwort auf die weitere Frage nach meines Oheims Namen und Schiff
nicht schuldig bleiben. »Gut!« sagte der Kapitän -- »ich werde mit dem
Manne darüber sprechen.« -- Das klang nun gar nicht auf mein Ohr! Ich
hub von neuem an zu weinen, schrie, ich würde über Bord springen und
mich ersäufen, und trieb es so arg und kläglich (mir war aber auch gar
nicht wohl ums Herz!), daß nach und nach das Mitleid bei meinem
Richter zu überwiegen schien. Er ging mit seinen Steuerleuten in die
Kajüte, um die Sache ernstlicher zu überlegen; ich aber lag indes, von
Furcht und Hoffnung hin und her geworfen, wie auf der Folter, denn
die Schande, vielleicht zu meinem Oheim zurückgebracht zu werden,
schien mir unerträglich.
Endlich rief man mich in die Kajüte. »Ich habe mir's überlegt,« hub
hier der Kapitän an, »und du magst bleiben. Du sollst
Steuermanns-Junge sein und monatlich sechs Gulden Gage haben, auch
will ich für deine Kleidungsstücke sorgen. Doch höre, sobald wir mit
dem Schiffe in den Texel kommen, schreibst du selbst an deines Vaters
Bruder und erklärst ihm den ganzen Zusammenhang. Den Brief will ich
selbst lesen und auch für seine sichere Bestellung sorgen.« -- Man
denke, wie freudig ich einschlug und was für ein Stein mir vom Herzen
fiel!
Jetzt gingen wir auch unter Segel. Allein ich will es auch nur gestehen,
daß, sowie ich meines Oheims Schiff so aus der Ferne darauf ansah,
mir's innerlich leid tat, es bis zu diesem törichten Schritte getrieben zu

haben. Trotz diesem Herzweh erwog ich, daß er nicht mehr
zurückgetan werden konnte, wofern ich nicht vor Beschämung
vergehen sollte. Ich machte mich also stark; und als wir im Texel
ankamen, schrieb ich meinen Abschiedsbrief, den der Kapitän las und
billigte, und mein Steuermann an die Post-Suite besorgen sollte.
Wie die Folge ergeben hat, ist jedoch dieser Brief, mit oder ohne
Schuld des Bestellers, nicht an meinen Oheim gelangt; entweder daß
dieser zu früh von Amsterdam abgegangen, oder daß das Blatt
unterwegs verloren gegangen. Mein Tod schien also ungezweifelt, denn
man glaubte (wie ich in der Folge erfuhr), ich sei in der Nacht aus der
Jolle gefallen, die man am nächsten Morgen zwischen anderen Schiffen
umhertreibend gefunden hatte.
Nachdem wir in Texel unsere Ladung, Wasser, Proviant und alle
Zubehör, welche der Sklavenhandel erfordert, an Bord genommen
hatten, gingen wir in See. Mein Kapitän hieß Gruben und das Schiff
Afrika. Alle waren mir gut und geneigt; ich selbst war vergnügt und
spürte weiter kein Heimweh. Wir hatten zwei Neger von der Küste von
Guinea als Matrosen an Bord. Diese gab mir mein Steuermann zu
Lehrern in der dortigen Verkehrssprache, einem Gemisch aus
Portugiesisch, Englisch und einigen Negersprachen; und ich darf wohl
sagen,
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