und mußte ja ein Schiffer werden! Auch
alle meine heiligen Christgeschenke, woran es meine Herren Paten
nicht fehlen ließen, hatten immer eine Beziehung auf die Schifferschaft.
Bald war es ein runder holländischer Matrosenhut, bald lange
Schifferhosen, bald Pfefferkuchen, als Schiffer geformt.
* * * * *
So mochte es in meinem achten Jahre sein, als Pate Lorenz Runge mir
unter anderen Weihnachtsbescherungen auch eine Anweisung zur
Steuermannskunst in holländischer Sprache verehrte. Dies Buch
machte meine Phantasie so rege, daß ich Tag und Nacht für mich selbst
darin studierte, bis mein Vater ein Einsehen hatte und mir bei einem
hiesigen Schiffer, namens Neymann, zwei wöchentliche
Unterrichtstage in jener edlen Kunst ausmachte. Dagegen blieben die
anderen vier Tage noch zum Schreiben und Rechnen bei einem anderen
geschickten Lehrer, namens Schütz, bestimmt. Ein Jahr später aber
ward die Steuermannskunst die Hauptsache und alles andere in die
Neben- und Privatstunden verwiesen.
Mein Eifer für diese Sache ging so weit, daß ich im Winter oftmals bei
strenger Kälte, wenn des Nachts klarer Himmel war, und wenn meine
Eltern glaubten, daß ich im warmen Bette steckte, heimlich auf den
Wall und »Die hohe Katze« ging, mit meinen Instrumenten die
Entfernung der mir bekannten Sterne vom Horizont oder vom Zenit
maß und danach die Polhöhe berechnete. Dann, wenn ich des Morgens
erfroren nach Hause kam, verwunderte sich alles über mich und
erklärte mich für einen überstudierten Narren. Schlimmer aber war es,
daß man mich nun des Abends sorgfältiger bewachte und mich nicht
aus dem Hause ließ. Dennoch suchte und fand ich oftmals Gelegenheit,
bei Nacht wieder auf meine Sternwarte zu kommen, was mir aber,
wenn ich mich morgens wieder einstellte, von meinem Vater manche
schwere Ohrfeige einbrachte.
Ähnlicher Lohn ward mir auch sonst noch für ähnlichen Eifer! Zu oft
hatte ich gehört, daß ein Seemann vor allen Dingen lernen müsse, gut
klettern, um die Masten bei Tag und Nacht zu besteigen, als daß ich
nicht hätte begierig werden sollen, mich darin beizeiten zu üben.
Hierzu fand sich eine erwünschte Gelegenheit durch die nähere
Bekanntschaft mit dem Sohne des damaligen Glöckners. Er war in
meinen Jahren, hieß David, und wollte auch Schiffer werden. Mit
diesem machte ich mich, außer der Schulzeit, auf den Boden der großen
Kirche in das Sparrwerk und die Balkenverbindungen bis hoch unter
das kupferne Dach hinauf. Hier stiegen und krochen wir überall herum,
daß wir uns in der gewaltigen Verzimmerung dieses großen Gebäudes
oftmals dergestalt verirrten, daß einer vom andern nichts wußte. Kamen
wir dann wieder zusammen, so konnten wir nicht genug erzählen, wo
wir gewesen waren und was wir gesehen hatten.
Bald ging es nun zu einem Wagestück weiter. Auch in die Spitze des
Turmes krochen wir in dem inwendigen Holzverbande hinauf -- so
hoch, bis wir uns in dem beengten Raume nicht weiter rühren konnten.
Aber eben diese Gewandtheit und Ortskenntnis kam mir in der Folge
recht gut zu statten, um hier in der äußersten Spitze, wo ein
Wetterstrahl am 28. April 1777 gezündet hatte, das Feuer löschen zu
können; wie ich zu seiner Zeit weiter unten erzählen werde.
Und nunmehr genügte es uns nicht, bloß innerhalb uns von Balken zu
Balken zu schwingen: es sollte auch außerhalb des Gebäudes geklettert
werden! So machten wir uns denn auf das kupferne Dach; stiegen bei
den Glocken aus den Luken auf das Gerüst; von da auf den First des
kupfernen Kirchendaches, und indem wir darauf wie auf einem Pferde
ritten, rutschten wir längshin vom Turme bis an den Giebel und auf
gleiche Weise wieder zurück. Ein paar Hundert Zuschauer gafften
drunten, zu unserer großen Freude, nach uns beiden jungen Waghälsen
in die Höhe. Auch mein Vater war, ohne daß ich es wußte, unter dem
Haufen gewesen, und so konnte es nicht fehlen, daß mich, bei meiner
Heimkunft, für diese Heldentat eine derbe Tracht Schläge erwartete.
Aber die Lust zu einem wiederholten Versuche war mir dennoch nicht
ausgetrieben worden! Ich lauerte es nur ab, daß mein Vater verreist war,
und an einem schönen Sommertage, nachmittags um vier Uhr, als ich
der Zucht des Herrn Schütz entlaufen war, konnte ich nicht umhin,
meinen lieben Turm wieder zu besuchen. Ein Schulkamerad, David
Spärke, eines hiesigen Schiffers Sohn, leistete mir Gesellschaft. Diesen
beredete ich, den Ritt auf dem Kirchendache mitzumachen. Zuerst stieg
ich aus der Luke auf das Gerüst und von da auf den First des Daches.
David Spärke kam mir zuversichtlich nach, da er mich so flink und
sicher darauf hantieren sah.
Allein kaum war er mir sechs oder acht Fuß nachgeritten, so überfiel
ihn plötzlich eine Angst, daß er erbärmlich zu schreien begann, sich zu
beiden Seiten an den kupfernen Reifen festklammerte und nicht vor-
nicht rückwärts kommen konnte. Ich kehrte mich nach ihm um, kam
dicht zu ihm heran; und hier saßen wir nun beide, sahen uns betrübt ins
Gesicht und wußten nicht, wo aus noch ein. Er
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