Ein Mann | Page 3

Joachim Nettelbeck

daß sie zu Bäumen heranwüchsen, von welchen man zu seiner Zeit
ähnliche Früchte herabschüttle. Alles dies ward auf dem Markte, dicht
vor meiner Eltern Türe, verhandelt; gab auch mir genug zu denken und
zu verwundern und hat sich darum auch, bis aufs Jota, in meinem
Gedächtnisse erhalten.
Inzwischen ward des Königs Wille vollzogen und seine Segensgabe
unter die anwesenden Garteneigentümer ausgeteilt, nach Verhältnis
ihrer Besitzungen, jedoch so, daß auch die Geringeren nicht unter
einigen Metzen ausgingen. Kaum irgend jemand hatte die erteilte
Anweisung zu ihrem Anbau recht begriffen. Wer sie also nicht
geradezu in seiner getäuschten Erwartung auf den Kehrichthaufen warf,
ging doch bei der Auspflanzung so verkehrt wie möglich zu Werke.
Einige steckten sie hier und da einzeln in die Erde, ohne sich weiter um
sie zu kümmern; andere (und darunter war auch meine liebe
Großmutter mit ihrem ihr zugefallenen Viert) glaubten das Ding noch
klüger anzugreifen, wenn sie diese Kartoffeln beisammen auf einen
Haufen schütteten und mit etwas Erde bedeckten. Da wuchsen sie nun
zu einem dichten Filz ineinander; und ich sehe noch oft in meinem
Garten nachdenklich den Fleck drauf an, wo solchergestalt die gute

Frau hierin ihr erstes Lehrgeld gab.
Nun mochten aber wohl die Herren vom Rat gar bald in Erfahrung
gebracht haben, daß es unter den Empfängern viele lose Verächter
gegeben, die ihren Schatz gar nicht einmal der Erde anvertraut hätten.
Darum ward in den Sommermonaten durch den Ratsdiener und
Feldwächter eine allgemeine und strenge Kartoffel-Schau veranstaltet
und den widerspenstig Befundenen eine kleine Geldbuße aufgelegt.
Das gab wiederum ein großes Geschrei und diente auch eben nicht dazu,
der neuen Frucht an den Bestraften bessere Gönner und Freunde zu
erwecken.
Das Jahr nachher erneuerte der König seine wohltätige Spende durch
eine ähnliche Ladung. Allein diesmal verfuhr man dabei höheren Orts
auch zweckmäßiger, indem zugleich ein Landreiter mitgeschickt wurde,
der, als ein geborner Schwabe (sein Name war Eilert, und seine
Nachkommen dauern noch in Treptow fort), des Kartoffelbaues kundig
und den Leuten bei der Auspflanzung behilflich war und ihre weitere
Pflege besorgte. So kam also diese neue Frucht zuerst ins Land und hat
seitdem, durch immer vermehrten Anbau, kräftig gewehrt, daß nie
wieder eine Hungersnot so allgemein und drückend bei uns hat um sich
greifen können. Dennoch erinnere ich mich gar wohl, daß ich erst volle
vierzig Jahre später (1785) bei Stargard, zu meiner angenehmen
Verwunderung, die ersten Kartoffeln im freien Felde ausgesetzt
gefunden habe.
* * * * *
Neben manchen anderen Kindereien war ich auch ein großer Liebhaber
von Tauben. Von meinem Frühstücksgelde sparte ich mir so viel am
Munde ab, daß ich mir ein Paar kaufen konnte. Das war nun eine
Herrlichkeit! Da aber meine Großeltern unter dem Posthause bei Herrn
Frauendorf wohnten, so gab es hier keine Gelegenheit, die Tauben
ausfliegen zu lassen. Ich machte daher mit dem sogenannten
»Postjungen«, Johann Witte (nachherigem Post- und Bankodirektor in
Memel), einen Akkord, daß er meine Tauben zu sich nehmen, ich aber
täglich eine gewisse Portion Erbsen zum Füttern hergeben sollte, die
ich meinen Großeltern leider heimlich in den Taschen wegtrug! Die

Tauben vermehrten sich, hinfolglich auch die Futtererbsen.
Bei all diesen Spielereien ward (wiederum leider!) die Schule versäumt;
ich hatte weder Lust noch Zeit dazu. Wenn meine Großmutter meinte,
ich säße fleißig auf der Schulbank, so schiffte ich in Rinnsteinen und
Teichen, oder ich verkehrte mit meinen Tauben; und das machte mir so
viel zu schaffen, daß ich weder bei Tag noch bei Nacht davor ruhen
konnte. Diese unruhige Geschäftigkeit hat mich auch nachmals bei weit
wichtigeren Dingen und selbst bis in mein Alter verfolgt. Freilich habe
ich mir wohl dabei weniger für mich als für andere meiner
Mitmenschen zu tun und zu sorgen gemacht.
Einigen Vorschub zu diesen Possen tat mir Pate Runge, der nicht Frau
noch Kinder hatte, mich sehr liebte und sich viel mit mir abgab.
Endlich aber nahm er mich einmal etwas ernsthafter ins Verhör (wie
auch zuweilen von Pate Grüneberg geschah), und gab mir zu bedenken,
daß, wenn ich Schiffer werden wollte, so müßte ich auch fleißig in die
Schule gehen, eine firme Hand schreiben und gut rechnen lernen, sonst
dürft' ich nie an so etwas denken. Mir fuhr das gewaltig aufs Herz. Ich
sann nach, was denn wohl von meinem jetzigen Tun und Treiben
abgestellt werden müßte? -- Was anders, als meine Tauben, die mir so
viel Zeit kosteten und doch so sehr am Herzen lagen! Wie ich's aber
auch bedenken mochte, so war es doch nicht anders; ich mußte meine
lieben Tierchen fahren lassen, die sich indes ansehnlich vermehrt hatten!
Dies geschah denn auch mittels eines förmlichen schriftlichen
Kontraktes, wodurch ich den Johann Witte zu ihrem alleinigen Herrn
und Besitzer einsetzte.
So war ich also meine Tauben los und nun kriegt' ich einen so
brennenden Trieb zur Schule, daß mich die Lernbegierde auf Schritt
und Tritt verfolgte. Ich wollte
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