beiseite und überläßt ihnen alles.
Auch von meinen Vorräten haben sie manches gute Stück genommen.
Ich kann aber darüber nicht klagen, wenn ich zum Beispiel zusehe, wie
es dem Fleischer gegenüber geht. Kaum bringt er seine Waren ein, ist
ihm schon alles entrissen und wird von den Nomaden verschlungen.
Auch ihre Pferde fressen Fleisch; oft liegt ein Reiter neben seinem
Pferd und beide nähren sich vom gleichen Fleischstück, jeder an einem
Ende. Der Fleischhauer ist ängstlich und wagt es nicht, mit den
Fleischlieferungen aufzuhören. Wir verstehen das aber, schießen Geld
zusammen und unterstützen ihn. Bekämen die Nomaden kein Fleisch,
wer weiß, was ihnen zu tun einfiele; wer weiß allerdings, was ihnen
einfallen wird, selbst wenn sie täglich Fleisch bekommen.
Letzthin dachte der Fleischer, er könne sich wenigstens die Mühe des
Schlachtens sparen, und brachte am Morgen einen lebendigen Ochsen.
Das darf er nicht mehr wiederholen. Ich lag wohl eine Stunde ganz
hinten in meiner Werkstatt platt auf dem Boden und alle meine Kleider,
Decken und Polster hatte ich über mir aufgehäuft, nur um das Gebrüll
des Ochsen nicht zu hören, den von allen Seiten die Nomaden
ansprangen, um mit den Zähnen Stücke aus seinem warmen Fleisch zu
reißen. Schon lange war es still, ehe ich mich auszugehen getraute; wie
Trinker um ein Weinfaß lagen sie müde um die Reste des Ochsen.
Gerade damals glaubte ich den Kaiser selbst in einem Fenster des
Palastes gesehen zu haben; niemals sonst kommt er in diese äußeren
Gemächer, immer nur lebt er in dem innersten Garten; diesmal aber
stand er, so schien es mir wenigstens, an einem der Fenster und blickte
mit gesenktem Kopf auf das Treiben vor seinem Schloß.
»Wie wird es werden?« fragen wir uns alle. »Wie lange werden wir
diese Last und Qual ertragen? Der kaiserliche Palast hat die Nomaden
angelockt, versteht es aber nicht, sie wieder zu vertreiben. Das Tor
bleibt verschlossen; die Wache, früher immer festlich ein- und
ausmarschierend, hält sich hinter vergitterten Fenstern. Uns
Handwerkern und Geschäftsleuten ist die Rettung des Vaterlandes
anvertraut; wir sind aber einer solchen Aufgabe nicht gewachsen;
haben uns doch auch nie gerühmt, dessen fähig zu sein. Ein
Mißverständnis ist es, und wir gehen daran zugrunde.«
Vor dem Gesetz.
Vor dem Gesetz steht ein Türhüter. Zu diesem Türhüter kommt ein
Mann vom Lande und bittet um Eintritt in das Gesetz. Aber der
Türhüter sagt, daß er ihm jetzt den Eintritt nicht gewähren könne. Der
Mann überlegt und fragt dann, ob er also später werde eintreten dürfen.
»Es ist möglich,« sagt der Türhüter, »jetzt aber nicht.« Da das Tor zum
Gesetz offensteht wie immer und der Türhüter beiseite tritt, bückt sich
der Mann, um durch das Tor in das Innere zu sehn. Als der Türhüter
das merkt, lacht er und sagt: »Wenn es dich so lockt, versuche es doch,
trotz meines Verbotes hineinzugehn. Merke aber: Ich bin mächtig. Und
ich bin nur der unterste Türhüter. Von Saal zu Saal stehn aber Türhüter,
einer mächtiger als der andere. Schon den Anblick des dritten kann
nicht einmal ich mehr ertragen.« Solche Schwierigkeiten hat der Mann
vom Lande nicht erwartet; das Gesetz soll doch jedem und immer
zugänglich sein, denkt er, aber als er jetzt den Türhüter in seinem
Pelzmantel genauer ansieht, seine große Spitznase, den langen, dünnen,
schwarzen tatarischen Bart, entschließt er sich, doch lieber zu warten,
bis er die Erlaubnis zum Eintritt bekommt. Der Türhüter gibt ihm einen
Schemel und läßt ihn seitwärts von der Tür sich niedersetzen. Dort sitzt
er Tage und Jahre. Er macht viele Versuche, eingelassen zu werden,
und ermüdet den Türhüter durch seine Bitten. Der Türhüter stellt öfters
kleine Verhöre mit ihm an, fragt ihn über seine Heimat aus und nach
vielem andern, es sind aber teilnahmslose Fragen, wie sie große Herren
stellen, und zum Schlusse sagt er ihm immer wieder, daß er ihn noch
nicht einlassen könne. Der Mann, der sich für seine Reise mit vielem
ausgerüstet hat, verwendet alles, und sei es noch so wertvoll, um den
Türhüter zu bestechen. Dieser nimmt zwar alles an, aber sagt dabei:
»Ich nehme es nur an, damit du nicht glaubst, etwas versäumt zu
haben.« Während der vielen Jahre beobachtet der Mann den Türhüter
fast ununterbrochen. Er vergißt die andern Türhüter und dieser erste
scheint ihm das einzige Hindernis für den Eintritt in das Gesetz. Er
verflucht den unglücklichen Zufall, in den ersten Jahren rücksichtslos
und laut, später, als er alt wird, brummt er nur noch vor sich hin. Er
wird kindisch, und, da er in dem jahrelangen Studium des Türhüters
auch die Flöhe in seinem Pelzkragen erkannt hat, bittet er auch die
Flöhe, ihm zu helfen und den Türhüter umzustimmen. Schließlich wird
sein Augenlicht schwach, und er weiß nicht, ob es um ihn wirklich
dunkler wird, oder ob ihn nur seine Augen täuschen. Wohl aber erkennt
er jetzt im Dunkel einen Glanz, der unverlöschlich
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