Effi Briest | Page 4

Theodor Fontane
hier nicht, gibt
es, glaub ich, überhaupt nicht mehr. Aber er hat hier entfernte Vettern
von der Mutter Seite her, und vor allem hat er wohl Schwantikow und
das Bellingsche Haus wiedersehen wollen, an das ihn so viele
Erinnerungen knüpfen. Da war er denn vorgestern drüben, und heute
will er hier in Hohen-Cremmen sein.«
»Und was sagt dein Vater dazu?«
»Gar nichts. Der ist nicht so. Und dann kennt er ja doch die Mama. Er
neckt sie bloß.«
In diesem Augenblick schlug es Mittag, und ehe es noch ausgeschlagen,
erschien Wilke, das alte Briestsche Haus- und Familienfaktotum, um an
Fräulein Effi zu bestellen: Die gnädige Frau ließe bitten, daß das
gnädige Fräulein zu rechter Zeit auch Toilette mache; gleich nach eins
würde der Herr Baron wohl vorfahren. Und während Wilke dies noch
vermeldete, begann er auch schon auf dem Arbeitstisch der Damen
abzuräumen und griff dabei zunächst nach dem Zeitungsblatt, auf dem
die Stachelbeerschalen lagen.
»Nein, Wilke, nicht so; das mit den Schlusen, das ist unsere Sache...
Hertha, du mußt nun die Tüte machen und einen Stein hineintun, daß
alles besser versinken kann. Und dann wollen wir in einem langen
Trauerzug aufbrechen und die Tüte auf offener See begraben.«

Wilke schmunzelte. Is doch ein Daus, unser Fräulein, so etwa gingen
seine Gedanken. Effi aber, während sie die Tüte mitten auf die rasch
zusammengeraffte Tischdecke legte, sagte: »Nun fassen wir alle vier an,
jeder an einem Zipfel, und singen was Trauriges.«
»Ja, das sagst du wohl, Effi. Aber was sollen wir denn singen?«
»Irgendwas; es ist ganz gleich, es muß nur einen Reim auf 'u' haben; 'u'
ist immer Trauervokal. Also singen wir:
Flut, Flut, Mach alles wieder gut ...«
Und während Effi diese Litanei feierlich anstimmte, setzten sich alle
vier auf den Steg hin in Bewegung, stiegen in das dort angekettelte
Boot und ließen von diesem aus die mit einem Kiesel beschwerte Tüte
langsam in den Teich niedergleiten.
»Hertha, nun ist deine Schuld versenkt«, sagte Effi, »wobei mir
übrigens einfällt, so vom Boot aus sollen früher auch arme,
unglückliche Frauen versenkt worden sein, natürlich wegen Untreue.«
»Aber doch nicht hier.«
»Nein, nicht hier«, lachte Effi, »hier kommt sowas nicht vor. Aber in
Konstantinopel, und du mußt ja, wie mir eben einfällt, auch davon
wissen, so gut wie ich, du bist ja mit dabeigewesen, als uns Kandidat
Holzapfel in der Geographiestunde davon erzählte.«
»Ja«, sagte Hulda, »der erzählte immer so was. Aber so was vergißt
man doch wieder.«
»Ich nicht. Ich behalte so was.«

Zweites Kapitel
Sie sprachen noch eine Weile so weiter, wobei sie sich ihrer
gemeinschaftlichen Schulstunden und einer ganzen Reihe

Holzapfelscher Unpassendheiten mit Empörung und Behagen
erinnerten. Ja, man konnte sich nicht genug tun damit, bis Hulda mit
einem Male sagte: »Nun aber ist es höchste Zeit, Effi; du siehst ja aus,
ja, wie sag ich nur, du siehst ja aus, wie wenn du vom
Kirschenpflücken kämst, alles zerknittert und zerknautscht; das
Leinenzeug macht immer so viele Falten, und der große weiße
Klappkragen ... ja, wahrhaftig, jetzt hab ich es, du siehst aus wie ein
Schiffsjunge.«
»Midshipman, wenn ich bitten darf. Etwas muß ich doch von meinem
Adel haben. Übrigens, Midshipman oder Schiffsjunge, Papa hat mir
erst neulich wieder einen Mastbaum versprochen, hier dicht neben der
Schaukel, mit Rahen und einer Strickleiter. Wahrhaftig, das sollte mir
gefallen, und den Wimpel oben selbst anzumachen, das ließ' ich mir
nicht nehmen. Und du, Hulda, du kämst dann von der anderen Seite her
herauf, und oben in der Luft wollten wir hurra rufen und uns einen Kuß
geben. Alle Wetter, das sollte schmecken.« »'Alle Wetter ...', wie das
nun wieder klingt ... Du sprichst wirklich wie ein Midshipman. Ich
werde mich aber hüten, dir nachzuklettern, ich bin nicht so waghalsig.
Jahnke hat ganz recht, wenn er immer sagt, du hättest zuviel von dem
Bellingschen in dir, von deiner Mama her. Ich bin bloß ein
Pastorskind.«
»Ach, geh mir. Stille Wasser sind tief. Weißt du noch, wie du damals,
als Vetter Briest als Kadett hier war, aber doch schon groß genug, wie
du damals auf dem Scheunendach entlangrutschtest. Und warum? Nun,
ich will es nicht verraten. Aber kommt, wir wollen uns schaukeln, auf
jeder Seite zwei; reißen wird es ja wohl nicht, oder wenn ihr nicht Lust
habt, denn ihr macht wieder lange Gesichter, dann wollen wir Anschlag
spielen. Eine Viertelstunde hab ich noch. Ich mag noch nicht
hineingehen, und alles bloß, um einem Landrat guten Tag zu sagen,
noch dazu einem Landrat aus Hinterpommern. Altlich ist er auch, er
könnte ja beinah mein Vater sein, und wenn er wirklich in einer
Seestadt wohnt, Kessin soll ja so was sein, nun, da muß ich ihm in
diesem Matrosenkostüm eigentlich am besten gefallen und muß ihm
beinah wie eine große Aufmerksamkeit vorkommen. Fürsten, wenn sie
wen empfangen, soviel weiß ich von meinem Papa her,
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