du doch wohl Kunstreiterin werden müssen. Immer am Trapez,
immer Tochter der Luft. Ich glaube beinah, daß du so was möchtest.«
»Vielleicht, Mama. Aber wenn es so wäre, wer wäre schuld? Von wem
hab ich es? Doch nur von dir. Oder meinst du, von Papa? Da mußt du
nun selber lachen. Und dann, warum steckst du mich in diesen Hänger,
in diesen Jungenkittel? Mitunter denk ich, ich komme noch wieder in
kurze Kleider. Und wenn ich die erst wiederhabe, dann knicks ich auch
wieder wie ein Backfisch, und wenn dann die Rathenower
herüberkommen, setze ich mich auf Oberst Goetzes Schoß und reite
hopp, hopp. Warum auch nicht? Drei Viertel ist er Onkel und nur ein
Viertel Courmacher. Du bist schuld. Warum kriege ich keine
Staatskleider? Warum machst du keine Dame aus mir?«
»Möchtest du's?«
»Nein.« Und dabei lief sie auf die Mama zu und umarmte sie stürmisch
und küßte sie.
»Nicht so wild, Effi, nicht so leidenschaftlich. Ich beunruhige mich
immer, wenn ich dich so sehe ...« Und die Mama schien ernstlich
willens, in Äußerung ihrer Sorgen und Ängste fortzufahren. Aber sie
kam nicht weit damit, weil in ebendiesem Augenblick drei junge
Mädchen aus der kleinen, in der Kirchhofsmauer angebrachten Eisentür
in den Garten eintraten und einen Kiesweg entlang auf das Rondell und
die Sonnenuhr zuschritten. Alle drei grüßten mit ihren Sonnenschirmen
zu Effi herüber und eilten dann auf Frau von Briest zu, um dieser die
Hand zu küssen. Diese tat rasch ein paar Fragen und lud dann die
Mädchen ein, ihnen oder doch wenigstens Effi auf eine halbe Stunde
Gesellschaft zu leisten. »Ich habe ohnehin noch zu tun, und junges
Volk ist am liebsten unter sich. Gehabt euch wohl.« Und dabei stieg sie
die vom Garten in den Seitenflügel führende Steintreppe hinauf.
Und da war nun die Jugend wirklich allein.
Zwei der jungen Mädchen - kleine, rundliche Persönchen, zu deren
krausem, rotblondem Haar ihre Sommersprossen und ihre gute Laune
ganz vorzüglich paßten - waren Töchter des auf Hansa, Skandinavien
und Fritz Reuter eingeschworenen Kantors Jahnke, der denn auch,
unter Anlehnung an seinen mecklenburgischen Landsmann und
Lieblingsdichter und nach dem Vorbilde von Mining und Lining,
seinen eigenen Zwillingen die Namen Bertha und Hertha gegeben hatte.
Die dritte junge Dame war Hulda Niemeyer, Pastor Niemeyers einziges
Kind; sie war damenhafter als die beiden anderen, dafür aber
langweilig und eingebildet, eine lymphatische Blondine, mit etwas
vorspringenden, blöden Augen, die trotzdem beständig nach was zu
suchen schienen, weshalb denn auch Klitzing von den Husaren gesagt
hatte: »Sieht sie nicht aus, als erwarte sie jeden Augenblick den Engel
Gabriel?« Effi fand, daß der etwas kritische Klitzing nur zu sehr recht
habe, vermied es aber trotzdem, einen Unterschied zwischen den drei
Freundinnen zu machen. Am wenigsten war ihr in diesem Augenblick
danach zu Sinn, und während sie die Arme auf den Tisch stemmte,
sagte sie: »Diese langweilige Stickerei. Gott sei Dank, daß ihr da seid.«
»Aber deine Mama haben wir vertrieben«, sagte Hulda. »Nicht doch.
Wie sie euch schon sagte, sie wäre doch gegangen; sie erwartet nämlich
Besuch, einen alten Freund aus ihren Mädchentagen her, von dem ich
euch nachher erzählen muß, eine Liebesgeschichte mit Held und Heldin
und zuletzt mit Entsagung. Ihr werdet Augen machen und euch
wundern. Übrigens habe ich Mamas alten Freund schon drüben in
Schwantikow gesehen; er ist Landrat, gute Figur und sehr männlich.«
»Das ist die Hauptsache«, sagte Hertha.
»Freilich ist das die Hauptsache, 'Weiber weiblich, Männer männlich' -
das ist, wie ihr wißt, einer von Papas Lieblingssätzen. Und nun helft
mir erst Ordnung schaffen auf dem Tisch hier, sonst gibt es wieder eine
Strafpredigt.«
Im Nu waren die Docken in den Korb gepackt, und als alle wieder
saßen, sagte Hulda: »Nun aber, Effi, nun ist es Zeit, nun die
Liebesgeschichte mit Entsagung. Oder ist es nicht so schlimm?«
»Eine Geschichte mit Entsagung ist nie schlimm. Aber ehe Hertha
nicht von den Stachelbeeren genommen, eher kann ich nicht anfangen -
sie läßt ja kein Auge davon. Übrigens nimm, soviel du willst, wir
können ja hinterher neue pflücken; nur wirf die Schalen weit weg oder
noch besser, lege sie hier auf die Zeitungsbeilage, wir machen dann
eine Tüte daraus und schaffen alles beiseite. Mama kann es nicht leiden,
wenn die Schlusen so überall herumliegen, und sagt immer, man könne
dabei ausgleiten und ein Bein brechen.«
»Glaub ich nicht«, sagte Hertha, während sie den Stachelbeeren fleißig
zusprach.
»Ich auch nicht«, bestätigte Effi. »Denkt doch mal nach, ich falle jeden
Tag wenigstens zwei-, dreimal, und noch ist mir nichts gebrochen. Was
ein richtiges Bein ist, das bricht nicht so leicht, meines gewiß nicht und
deines auch nicht, Hertha. Was meinst du, Hulda?«
»Man soll sein Schicksal nicht versuchen; Hochmut kommt vor dem
Fall.«
»Immer Gouvernante; du bist doch die geborene alte Jungfer.«
»Und hoffe mich doch noch zu verheiraten. Und vielleicht eher als du.«
»Meinetwegen.
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