Edgar Allan Poe | Page 6

Hanns Heinz Ewers
einzelnen Wortklang
begründet er in verblüffend einfacher Logik, es ist fast, als ob er den
binomischen Lehrsatz beweisen wollte! Freilich die Hauptsache, die
Ekstase und ihre Entstehung aus einem heiligen und einem -- ach, so
unheiligen Rausche erwähnt er mit keinem Wort -- schrieb er sein
Essay doch für neuengländische Magazinleser, wie hätten die einen
Dichter verstehen sollen, der von einer Ekstase sprach!? Das

Handwerksmässige, das rein Technische, das, was die Kunst ausmacht,
die auf das Können sich stützt, das ist nie von einem Dichter klarer und
überzeugender dargelegt worden, als in diesem Essay: ein Lehrbuch der
Dichtkunst an einem Meisterbeispiel! Freilich -- -- benutzen werden
Gevatter Schneider und Handschuhmacher den Leitfaden +nie können+,
für den Künstler aber ist er die wertvollste Belehrung, die es gibt. --
Mag er daraus ersehen, dass »der göttliche Rausch« +allein+ kein
vollkommenes Kunstwerk schafft, dass die gemeine Arbeit, die
verachtete Technik, das Überlegen und Feilen, das Wiegen und Tönen
ebenso unentbehrlich sind.
-- Nicht der gewaltige Gedanke des arabischen Baumeisters allein schuf
die herrliche Alhambra: Maurer und Eseltreiber, Gärtner und
Anstreicher, jeder trug sein Teilchen bei!
-- Edgar Allan Poe war +der erste Dichter+, der mit solcher Offenheit
von der Arbeit, von dem rein Handwerksmässigen sprach. Da, und auch
wohl nur da, war er Amerikaner, da stand er, und das will mehr sagen,
an der Schwelle modernen Denkens -- -- als erster. Ein glänzender
Beweis für den Vollwert dieses Künstlers, der nur von der Technik
spricht und mit keinem Worte hier die Intuition erwähnt, die der
Dilettant immer im Munde führt. Vielleicht, wenn er für andere Leser
in seinem Magazine geschrieben hätte, vielleicht wäre er noch einen
Schritt weiter gegangen, hätte ihnen wohl gar von der Technik des
Rausches erzählt.
Nie vor ihm hat ein anderer sein eigenes Kunstwerk so zergliedert, so
bis auf die letzte Faser anatomisch zersetzt. Der göttliche Hauch, der
die Bibel diktierte, spukt bis auf unsere Tage in dem Glauben der
Masse herum, und die Herrn Künstler von Gottes Gnaden hüteten sich
wohl, das Inspirationsfabelchen aufzuklären. Wenn der heilige Geist
über sie kam -- dann malten, dichteten, komponierten sie und setzten
mehr oder weniger immakulate Geisteskindlein in die Welt. Das war so
nett, so bequem, dass gewiss manche grosse Künstler selbst an die
geheimnisvolle Weihe glauben mochten. »Trunken vom Gotte«, hiess
der thrakische Sänger, auch wenn er so nüchtern war wie Sokrates.
Dieser Gedanke, der sich in der dionysischen Urform fast mit unseren

modernen Anschauungen von Rausch und Ekstase deckt, bekam in der
spätern apollinischen Auffassung -- -- die »göttliche Salbung«, die die
christliche Weltanschauung, wie so vieles, das klares Denken zu trüben
imstande war, mit grosser Begeisterung übernahm. Alle die schönen
Phrasen von dem Platz im Olymp, von dem Kuss der Muse, von dem
göttlichen Rausche, von dem Gottesgnadentum des Künstlers usw. --
bei denen wir uns Gott sei Dank nicht das geringste mehr denken --
haben da ihren Ursprung.
Es gehörte Mut dazu, diesen leuchtenden Nebel zu zerschlagen; wenige,
gar wenige Gedichte der Weltliteratur vertragen eine solche
unerbittliche Zersetzung. Aber weil Poe in seinem »Raben« ein
Kunstwerk geschaffen, so rein, so vollendet, konnte er den Schritt
wagen. Das Kleinliche, das Lächerliche und Absurde, das alles
Erhabene sonst in den Staub reisst, vermag nichts dieser
Vollkommenheit gegenüber.
-- Mein Blick fällt auf die Wandbekleidung des Saales. Im Stile
Mudejar verschlingen und lösen sich die Arabesken und kufischen
Sprüche, das Auge mag sich nicht satt sehen an all diesen
phantastischen Harmonien. Nun, das arabische Wunderwerk besteht
aus +Gips+, gemeinem Gips -- -- wie lächerlich, wie kleinlich, wie
absurd! Aber obschon es aus erbärmlichem Gips besteht, verliert dieses
vollkommene Kunstwerk nichts von seiner Erhabenheit. Die gemeine
Materie atmet den Hauch des Geistes -- +die Kunst triumphiert über die
Natur+, und diese Kunst ist so gross, dass ihr meine Erkenntnis des
lächerlichen Stoffes nichts anhaben mag!
[Abbildung: DER RABE Zeichnung von C. F. Tilney]
Poe brauchte eben das uralte Lügenmäntelchen nicht mehr. Er sah, dass
es fadenscheinig und zerrissen war, und warf es kühn zur Seite. In den
paar Worten, mit denen er in »Heureka« den Begriff der Intuition
definierte, als »eine Wahrheitserkenntnis, die sich auf Induktionen und
Deduktionen gründet, die so schattenhaft sind, dass sie sich unserem
Bewusstsein entziehen, sich vom Verstande nicht fassen lassen und der
Ausdrucksfähigkeit der Sprache spotten«, -- liegt eine klarere
Erkenntnis der Wege des künstlerischen Schaffens, als einer seiner

Zeitgenossen sie hatte. Indem der Dichterphilosoph also der
sogenannten »Intuition« der Philosophie gegenüber -- speziell
Aristoteles und Bacon gegenüber, mit denen er sich auseinandersetzt --
eine Stelle einräumt, die ihr diese abspricht, bestimmt er zugleich ihren
Wert und zwar in einem +engbegrenzten+, untheologischen, durchaus
modernen Sinne. Das ist das Grosse an diesem ersten Menschen mit
modernem Geiste, dass er, der Romantiker, der Träumer, doch ein
Anbeter des Verstandes war, der nie den Boden der Erde unter den
Füssen verlor!
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