nicht einmal Vater und Mutter im Zuge; sechs
zerlumpte Bengels -- --
Doch zwischen so vielen bunten Blumen ruht das tote Kind, in solch
frischem, blühendem Dufte. Wie gut, dass man ihm die Augen nicht
schloss! Nun schaut es heraus, neugierig aus den bunten Blumen,
hinauf zu dem alten, maurischen Königsschloss. So zufrieden blickt es
heraus aus seiner bunten Pracht, das kleine tote Mädchen, so zufrieden
und glücklich, wie es gewiss nie im Leben war.
[Abbildung: POE'S LANDHAUS ZU FORDHAM Zeichnung von H.
Crickmore]
Hier hätte Edgar Allan Poe sitzen müssen. Wie hätte er geträumt, wie
wären die bunten Sagen auf leichten Flügeln um seine Stirn geflogen.
Und er hätte in ehernen Worten eine neue Alhambra gebaut, die die
hausdicken Türme der Nasseriden um viele Jahrhunderte überdauern
würde -- -- --
+Hier+ hätten ihn vielleicht andere Wege zur Ekstase geführt; er hätte
wohl nicht getrunken. Aber er war ja da drüben in Neu-England, seine
arme Dichterseele stak eingepfercht zwischen realsten Prosawerten,
indes zur selben Zeit Washington Irving, dies Musterbild englischer
Sittlichkeit, im Mondscheinzauber der Alhambra träumen durfte! Und
seine Alhambrasagen wurden weltberühmt; Tag um Tag sehe ich die
Fremden die geheiligten Räume betreten: in der Hand den Baedeker, in
der Rocktasche +sein+ Buch. So, wie sie im Hause der Vettier oder in
dem des Dionysos die »Letzten Tage von Pompei« lesen. Sind die paar
Schönheiten in diesen Büchern, die sich nicht wegleugnen lassen, Lord
Lyttons oder Irvings Geiste entsprungen? O nein, ein Hauch der
römischen Totenstadt, des maurischen Geisterschlosses goss sich in
ihre Seelen, obgleich sie nicht Dichter, obgleich sie nur kleine
bürgerliche Schreiberlein waren. Nicht Bulwer, nicht Irving schufen
diese Schönheiten. Pompei schuf sie und die Alhambra -- -- +trotz
ihnen+.
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Poes glühende Sehnsucht kannte nichts von alledem. Um sich
herauszuheben, um in sich eine Ekstase zu erwecken, die ihn forttrug
aus all den Dutzendwerten, die ihn umgaben, blieb ihm nur ein Mittel.
Von ganz geringen Anregungen abgesehen, die wohl kaum geeignet
waren, zur Ekstase zu führen, hat dieser unglückliche Dichter nur
einmal in seinem Leben von aussen her der Muse Kuss empfangen:
durch sein schönes geliebtes Weib, Virginia Clemm. Mag der Moralist
diesen Rausch einen heiligen, göttlichen nennen, mag er des Dichters
andere Ekstasen, die aus Alkohol und hier und da aus Opium
erwuchsen, als unheilig und teuflisch schelten: das gilt uns gleich!
Denn die Kunstwerte, die aus diesen hervorgingen, sind nicht weniger
herrlich -- --
Qualvoll aber war für den Geweihten die göttliche Ekstase kaum
minder als die teuflische! Eine Hölle sollte ihm sein, was andern ein
Paradies war, eine heissgeliebte, eine selige Hölle, deren Flammen aber
nicht weniger sengten. Denn Virginia, deren sterbenden Augen wir
Morella und Ligeia, Berenice und Leonore verdanken, war dem Tode
bestimmt, ehe sie noch dem Dichter die Hand reichte. Er wusste, dass
die Schwindsucht das leuchtende Rot auf ihre Wangen log, wusste,
dass aus diesen tiefen, feucht schimmernden Augen die unerbittliche
Krankheit herausgrinste. Wenn er am Abend die geliebten Locken
streichelte, fühlte er: »Noch so viele Tage wird sie leben«; und am
andern Morgen: »Wieder einen Tag weniger«. Eine Sterbende war es,
die seine Lippen küsste, eine Sterbende, deren schöner Kopf nächtens
neben dem seinen ruhte. Wenn er aufwachte von dem Röcheln und
Rasseln ihrer mühsam arbeitenden Lungen, schien ihm das weisse
Linnen ein Leichentuch, schien ihm der kalte Tropfen auf ihrer Stirne
ein Todesschweiss. Ein Sterben durch Jahre hindurch, ein sichtbares
langsames Sterben der Geliebten -- -- das war das einzige -- »+Glück+«
dieses unseligsten aller Dichter. O ja, Sensationen gab ihm die schöne
todgeweihte Gattin, aber es waren Sensationen der Angst, des stummen
verhaltenen Schmerzes, der Verzweiflung in lächelnder Larve: ein
+Paradies der Qualen+. Lies seine schönsten Geschichten, die Virginia
in seine Seele senkte: du wirst einen Hauch davon verspüren, in welch
namenlosen Qualen sie geboren.
Ehe noch der letzte Faden zum Leben zerrissen und die stille Frau in
die Gruft gesenkt war, schrieb Edgar Poe sein Meisterstück, den
»+Raben+«. Und zu diesem Gedicht, das in der Weltliteratur nicht
seinesgleichen hat, nahm er, -- ich möchte es den englischen Heuchlern
ins Gesicht schreien -- die Ekstase wie aus dem »heiligen« Rausche des
um die Verlorene blutenden Herzens, so auch aus dem »gemeinen,
lasterhaften« Rausche +der Weinflasche+!
Jeder Irrenarzt, der sich mit Säuferwahnsinn beschäftigt hat, wird mit
Leichtigkeit nachweisen können, was in dem »Raben« mit absoluter
Gewissheit einem Delirium entstammt; ebenso leicht ist für den
Psychologen der Nachweis des andern Rausches, den der Dichter
Virginia, der »lost Lenore«, hier verdankt. Und damit vergleiche man
das freimütige, wunderbar klare Essay, das Poe über die Entstehung des
Gedichtes schrieb. Jede Strophe, jede Zeile, jeden
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