Edgar Allan Poe | Page 7

Hanns Heinz Ewers
* *
Edgar Allan Poe bekannte also -- als Erster -- offen die Technik des
Denkens, nahm Zolas »Genie ist Fleiss« um Jahrzehnte vorweg. Und
dieser selbe Edgar Allan Poe schrieb in seinem Vorwort zu
»+Heureka+«:
»Denen, die mich lieben und die ich liebe; +den Träumern und denen,
die an Träume glauben+, als an das einzig Wirkliche -- +widme ich
dies Buch der Wahrheiten+, nicht um Wahrheiten zu erzählen,
+sondern um der Schönheit willen, die in der Wahrheit sich birgt+, die
allein die Wahrheit wahr macht. Ihnen weihe ich diese Arbeit, nur als
+ein Werk der Kunst+, einen Roman, wenn ihr wollt; oder auch, wenn
das nicht zuviel gesagt ist, als ein Gedicht. Was ich hier sage, ist wahr,
deshalb kann es nicht sterben: und wenn es irgendwie vergehen sollte,
so wird es wieder auferstehen zu ewigem Leben.«
So stellt Poe, völlig unabhängig von Th. Gautier, sein L'art pour
l'art-Prinzip auf. Grösser als Gautier, der die Schönheit nur mit dem
Auge des Malers sah, stellt er seine Forderung, und auch tiefer als
Gautier, dem die äussere Form allein die Schönheit offenbarte. +Die
Schönheit erst+ macht ihm die Wahrheit -- zur Wahrheit, deren
Daseinsberechtigung er ohne die Schönheit verneint: das ist die höchste
Anforderung an die Kunst, die je gestellt wurde. Und da diese
Forderung sich nur in Sehnsüchten erfüllen kann, sind ihm die Träume
das +einzig Wirkliche+, spricht er dem wachen Leben jeden
Realitätswert ab. Auch hier ist Poe -- der Romantiker -- ein Pfadfinder,
auch hier offenbart er als Erster das, was wir »modernen Geist« nennen.

Hat er das von Zola gemünzte Prinzip des technischen Schaffens
vorweg genommen, hat er weiter der Parnassier Kunstprinzip
unabhängig von ihnen aufgestellt, so überspringt er hier um ein halbes
Jahrhundert die Zeit und gibt eine Forderung, so ultramodern, dass
selbst heute nur ein kleiner Teil der fortgeschrittensten Geister sie in
ihrer ganzen radikalen Grösse verstehen wird.
Die Befruchtung der Literatur der Kulturvölker durch Poes Geist wird
erst in diesem Jahrhundert volle Blüten treiben: das vergangene sah
ihm nur ein paar lächerliche Äusserlichkeiten ab, ein Räuspern und
Spucken, das freilich den glücklichen Abguckern, den Jules Verne und
Conan Doyle ein Vermögen eintrug. Ganz gewiss hat der darbende Poe
diese Sachen nur für das tägliche Brot geschrieben: die See- und
Mondreisen Gordon Pyms und Hans Pfaals usw., sowie einige der
Kriminal-Novellen (wie z.B. der »Mord in der Rue de Morgue«, der
»Entwendete Brief«, der »Goldkäfer«) sind durchaus nur aus dem
Bedürfnis heraus entstanden, warm zu Mittag speisen zu können. Denn
Poe wusste, was hungern heisst! So schrieb er diese Sachen, wie er
auch Übersetzungen anfertigte und an allen möglichen
wissenschaftlichen Werken mitarbeitete. Freilich, jede einzelne der
Geschichten, und sei es die schwächste, lässt alle Abenteuer des
eminenten Sherlock Holmes verblassen. -- Warum das grosse Publikum,
und namentlich das englischredende, trotzdem Doyles lächerliche
Detektivgeschichten mit Begeisterung verschlingt und die Poeschen
aus der Hand legt? Nichts ist verständlicher! Poes Figuren sind, wie die
Dostojewskys, so echt, seine Komposition ist so lückenlos, hält die
Phantasie des Lesers so unentrinnbar in ihren Netzen, dass auch der
Tapferste sich eines Grauens nicht zu erwehren vermag, eines
qualvollen, mörderischen Grauens, das wie ein grausamer Albdruck
festhält. Bei seinen so ausserordentlich beliebten Nachahmern aber ist
dies Grauen nichts als ein angenehmer Kitzel, der in keinem kleinen
Moment den Leser einen Zweifel an der Kulisse ankommen lässt. Der
Leser weiss stets: das ist alles dummer Unfug; er steht über dem
Erzähler -- +das will er+! Poe aber nimmt ihn beim Schopfe, reisst ihn
in Abgründe und schleudert ihn in Höllen, dass dem armen Tropf
Hören und Sehen vergeht, dass er nicht mehr ein noch aus weiss.
Darum zieht der gute Bürger, der gern ruhig schlafen will, den

Kulissenhelden der Bakerstreet vor und bedankt sich für Poes
grauenhaften Nachtmar. Man sieht: auch da, wo er bürgerlich sein
wollte, wo er für die grosse Masse schreiben wollte, steckte er sein Ziel
viel zu hoch; sprach zu Bürgerköpfchen und glaubte zu seinesgleichen
zu reden! Um sein +Hirn+ zu Markte zu tragen, lief er von Verleger zu
Verleger herum -- -- zu Leuten, die +Stroh+ kaufen wollten!
* * *
Aber eine Zeit, die kommt, wird reif sein für des Dichters Gaben. Schon
erkennen wir klar den Weg, der von Jean Paul und Th. A. Hoffmann zu
Baudelaire und Edgar Allan Poe führt, diesen einzigen Weg, den eine
Kunst der Kultur gehen kann, schon haben wir manche Ansätze -- --
Diese Kunst wird nicht mehr in engem nationalen Kleide stecken. Sie
wird sich bewusst sein, wie sich Edgar Allan Poe als Erster bewusst
war, dass sie nicht für »ihr Volk« da ist, sondern einzig für die dünnen
Kulturschichten, ob diese germanischer oder japanischer, lateinischer
oder jüdischer Art sind. Kein Künstler hat je für »sein Volk«
geschaffen, und doch haben es fast alle gewollt und geglaubt. Der
grossen Masse in
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