Virtù im Renaissance-Stile, von moralinfreier Tugend zu kommen?" - Meine Erfahrungen sind hier so schlimm als m?glich; ich bin erstaunt, diese Frage so sp?t geh?rt, aus diesen Erfahrungen so sp?t "Vernunft" gelernt zu haben. Nur die vollkommne Nichtswürdigkeit unsrer deutschen Bildung - ihr "Idealismus" - erkl?rt mir einigermaassen, weshalb ich gerade hier rückst?ndig bis zur Heiligkeit war. Diese "Bildung", welche von vornherein die Realit?ten aus den Augen verlieren lehrt, um durchaus problematischen, sogenannten "idealen" Zielen nachzujagen, zum Beispiel der "klassischen Bildung": - als ob es nicht von vornherein verurtheilt w?re, "klassisch", und "deutsch" in Einen Begriff zu einigen! Mehr noch, es wirkt erheiternd, - man denke sich einmal einen "klassisch gebildeten" Leipziger! - In der That, ich habe bis zu meinen reifsten Jahren immer nur schlecht gegessen, - moralisch ausgedrückt "unpers?nlich", "selbstlos", "altruistisch", zum Heil der K?che und andrer Mitchristen. Ich verneinte zum Beispiel durch Leipziger Küche, gleichzeitig mit meinem ersten Studium Schopenhauer's (1865), sehr ernsthaft meinen "Willen zum Leben". Sich zum Zweck unzureichender Ern?hrung auch noch den Magen verderben - dies Problem schien mir die genannte Küche zum Verwundern glücklich zu l?sen. (Man sagt, 1866 habe darin eine Wendung hervorgebracht -.) Aber die deutsche Küche überhaupt - was hat sie nicht Alles auf dem Gewissen! Die Suppe vor der Mahlzeit (noch in Venetianischen Kochbüchern des 16. Jahrhunderts alla tedesca genannt); die ausgekochten Fleische, die fett und mehlig gemachten Gemüse; die Entartung der Mehlspeise zum Briefbeschwerer! Rechnet man gar noch die geradezu viehischen Nachguss-Bedürfnisse der alten, durchaus nicht bloss alten Deutschen dazu, so versteht man auch die Herkunft des deutschen Geistes - aus betrübten Eingeweiden... Der deutsche Geist ist eine Indigestion, er wird mit Nichts fertig. - Aber auch die englische Di?t, die, im Vergleich mit der deutschen, selbst der franz?sischen, eine Art "Rückkehr zur Natur", n?mlich zum Canibalismus ist, geht meinem eignen Instinkt tief zuwider; es scheint mir, dass sie dem Geist schwere Füsse giebt - Engl?nderinnen-Füsse... Die beste Küche ist die Piemont's. - Alkoholika sind mir nachtheilig; ein Glas Wein oder Bier des Tags reicht vollkommen aus, mir aus dem Leben ein "Jammerthal" zu machen, - in München leben meine Antipoden. Gesetzt, dass ich dies ein wenig sp?t begriff, erlebt habe ich's eigentlich von Kindesbeinen an. Als Knabe glaubte ich, Weintrinken sei wie Tabakrauchen anfangs nur eine Vanitas junger M?nner, sp?ter eine schlechte Gew?hnung. Vielleicht, dass an diesem herben Urtheil auch der Naumburger Wein mit schuld ist. Zu glauben, dass der Wein erheitert, dazu müsste ich Christ sein, will sagen glauben, was gerade für mich eine Absurdit?t ist. Seltsam genug, bei dieser extremen Verstimmbarkeit durch kleine, stark verdünnte Dosen Alkohol, werde ich beinahe zum Seemann, wenn es sich um starke Dosen handelt. Schon als Knabe hatte ich hierin meine Tapferkeit. Eine lange lateinische Abhandlung in Einer Nachtwache niederzuschreiben und auch noch abzuschreiben, mit dem Ehrgeiz in der Feder, es meinem Vorbilde Sallust in Strenge und Gedr?ngtheit nachzuthun und einigen Grog von schwerstem Kaliber über mein Latein zu giessen, dies stand schon, als ich Schüler der ehrwürdigen Schulpforta war, durchaus nicht im Widerspruch zu meiner Physiologie, noch vielleicht auch zu der des Sallust wie sehr auch immer zur ehrwürdigen Schulpforta... Sp?ter, gegen die Mitte des Lebens hin, entschied ich mich freilich immer strenger gegen jedwedes "geistige" Getr?nk: ich, ein Gegner des Vegetarierthums aus Erfahrung, ganz wie Richard Wagner, der mich bekehrt hat, weiss nicht ernsthaft genug die unbedingte Enthaltung von Alcoholicis allen geistigeren Naturen anzurathen. Wasser thut's... Ich ziehe Orte vor, wo man überall Gelegenheit hat, aus fliessenden Brunnen zu sch?pfen (Nizza, Turin, Sils); ein kleines Glas l?uft mir nach wie ein Hund. In vino veritas: es scheint, dass ich auch hier wieder über den Begriff "Wahrheit" mit aller Welt uneins bin: - bei mir schwebt der Geist über dem Wasser... Ein paar Fingerzeige noch aus meiner Moral. Eine starke Mahlzeit ist leichter zu verdauen als eine zu kleine. Dass der Magen als Ganzes in Th?tigkeit tritt, erste Voraussetzung einer guten Verdauung. Man muss die Gr?sse seines Magens kennen. Aus gleichem Grunde sind jene langwierigen Mahlzeiten zu widerrathen, die ich unterbrochne Opferfeste nenne, die an der table d'h?te. - Keine Zwischenmahlzeiten, keinen Café: Café verdüstert. Thee nur morgens zutr?glich. Wenig, aber energisch; Thee sehr nachtheilig und den ganzen Tag ankr?nkelnd, wenn er nur um einen Grad zu schwach ist. Jeder hat hier sein Maass, oft zwischen den engsten und delikatesten Grenzen. In einem sehr aga?anten Klima ist Thee als Anfang unr?thlich: man soll eine Stunde vorher eine Tasse dicken ent?lten Cacao's den Anfang machen lassen. - So wenig als m?glich sitzen; keinem Gedanken Glauben schenken, der nicht im Freien geboren ist und bei freier Bewegung, in dem nicht auch die Muskeln ein Fest feiern. Alle Vorurtheile kommen aus den Eingeweiden. - Das Sitzfleisch - ich sagte es schon einmal - die eigentliche Sünde wider den heiligen Geist.
2.
Mit der Frage
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