Ecce Homo | Page 7

Friedrich Wilhelm Nietzsche
schlechtem Blut bedingt, aber durch Erziehung übertüncht, wird mir fast bei der ersten Berührung schon bewusst. Wenn ich recht beobachtet habe, empfinden solche meiner Reinlichkeit unzutr?gliche Naturen die Vorsicht meines Ekels auch ihrerseits: sie werden damit nicht wohlriechender... So wie ich mich immer gew?hnt habe - eine extreme Lauterkeit gegen mich ist meine Daseins-Voraussetzung, ich komme um unter unreinen Bedingungen, schwimme und bade und pl?tschere ich gleichsam best?ndig im Wasser, in irgend einem vollkommen durchsichtigen und gl?nzenden Elemente. Das macht mir aus dem Verkehr mit Menschen keine kleine Gedulds-Probe; meine Humanit?t besteht nicht darin, mitzufühlen, wie der Mensch ist, sondern es auszuhalten, dass ich ihn mitfühle... Meine Humanit?t ist eine best?ndige Selbstüberwindung. - Aber ich habe Einsamkeit n?thig, will sagen, Genesung, Rückkehr zu mir, den Athem einer freien leichten spielenden Luft... Mein ganzer Zarathustra ist ein Dithyrambus auf die Einsamkeit, oder, wenn man mich verstanden hat, auf die Reinheit... Zum Glück nicht auf die reine Thorheit. - Wer Augen für Farben hat, wird ihn diamanten nennen. - Der Ekel am Menschen, am "Gesindel" war immer meine gr?sste Gefahr... Will man die Worte h?ren, in denen Zarathustra von der Erl?sung vom Ekel redet?
Was geschah mir doch? Wie erl?ste ich mich vom Ekel? Wer verjüngte mein Auge? Wie erflog ich die H?he, wo kein Gesindel mehr am Brunnen sitzt?
Schuf mein Ekel selber mir Flügel und quellenahnende Kr?fte? Wahrlich, in's H?chste musste ich fliegen, dass ich den Born der Lust wiederf?nde!-
Oh ich fand ihn, meine Brüder! Hier im H?chsten quillt mir der Born der Lust! Und es giebt ein Leben, an dem kein Gesindel mittrinkt!
Fast zu heftig str?mst du mir, Quell der Lust! Und oft leerst du den Becher wieder, dadurch, dass du ihn füllen willst.
Und noch muss ich lernen, bescheidener dir zu nahen: allzuheftig str?mt dir noch mein Herz entgegen:
- mein Herz, auf dem mein Sommer brennt, der kurze, heisse, schwermüthige, überselige: wie verlangt mein Sommer-Herz nach deiner Kühle!
Vorbei die z?gernde Trübsal meines Frühlings! Vorüber die Schneeflocken meiner Bosheit im Juni! Sommer wurde ich ganz und Sommer-Mittag,
- ein Sommer im H?chsten mit kalten Quellen und seliger Stille: oh kommt, meine Freunde, dass die Stille noch seliger werde!
Denn dies ist unsre H?he und unsre Heimat: zu hoch und steil wohnen wir hier allen Unreinen und ihrem Durste.
Werft nur eure reinen Augen in den Born meiner Lust, ihr Freunde! Wie sollte er darob trübe werden? Entgegenlachen soll er euch mit seiner Reinheit.
Auf dem Baume Zukunft bauen wir unser Nest; Adler sollen uns Einsamen Speise bringen in ihren Schn?beln!
Wahrlich, keine Speise, an der Unsaubere mitessen dürften! Feuer würden sie zu fressen w?hnen und sich die M?uler verbrennen.
Wahrlich, keine Heimst?tten halten wir hier bereit für Unsaubere! Eish?hle würde ihren Leibern unser Glück heissen und ihren Geistern!
Und wie starke Winde wollen wir über ihnen leben, Nachbarn den Adlern, Nachbarn dem Schnee, Nachbarn der Sonne: also leben starke Winde.
Und einem Winde gleich will ich einst noch zwischen sie blasen und mit meinem Geiste ihrem Geiste den Athem nehmen: so will es meine Zukunft.
Wahrlich, ein starker Wind ist Zarathustra allen Niederungen: und solchen Rath r?th er seinen Feinden und Allem, was spuckt und speit: hütet euch, gegen den Wind zu speien!...

Warum ich so klug bin.
1.
- Warum ich Einiges mehr weiss? Warum ich überhaupt so klug bin? Ich habe nie über Fragen nachgedacht, die keine sind, - ich habe mich nicht verschwendet. - Eigentliche religi?se Schwierigkeiten zum Beispiel kenne ich nicht aus Erfahrung. Es ist mir g?nzlich entgangen, in wiefern ich "sündhaft" sein sollte. Insgleichen fehlt mir ein zuverl?ssiges Kriterium dafür, was ein Gewissensbiss ist: nach dem, was man darüber h?rt, scheint mir ein Gewissensbiss nichts Achtbares... Ich m?chte nicht eine Handlung hinterdrein in Stich lassen, ich würde vorziehn, den schlimmen Ausgang, die Folgen grunds?tzlich aus der Werthfrage wegzulassen. Man verliert beim schlimmen Ausgang gar zu leicht den richtigen Blick für Das, was man that: ein Gewissensbiss scheint mir eine Art "b?ser Blick". Etwas, das fehlschl?gt, um so mehr bei sich in Ehren halten, weil es fehlschlug - das geh?rt eher schon zu meiner Moral. - "Gott", "Unsterblichkeit der Seele", "Erl?sung", "Jenseits" lauter Begriffe, denen ich keine Aufmerksamkeit, auch keine Zeit geschenkt habe, selbst als Kind nicht, - ich war vielleicht nie kindlich genug dazu? - Ich kenne den Atheismus durchaus nicht als Ergebniss, noch weniger als Ereigniss: er versteht sich bei mir aus Instinkt. Ich bin zu neugierig, zu fragwürdig, zu übermüthig, um mir eine faustgrobe Antwort gefallen zu lassen. Gott ist eine faustgrobe Antwort, eine Undelicatesse gegen uns Denker -, im Grunde sogar bloss ein faustgrobes Verbot an uns: ihr sollt nicht denken!... Ganz anders interessirt mich eine Frage, an der mehr das "Heil der Menschheit" h?ngt, als an irgend einer Theologen-Curiosit?t: die Frage der Ern?hrung. Man kann sie sich, zum Handgebrauch, so formuliren: "wie hast gerade du dich zu ern?hren, um zu deinem Maximum von Kraft, von
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