der Ern?hrung ist n?chstverwandt die Frage nach Ort und Klima. Es steht Niemandem frei, überall zu leben; und wer grosse Aufgaben zu l?sen hat, die seine ganze Kraft herausfordern, hat hier sogar eine sehr enge Wahl. Der klimatische Einfluss auf den Stoffwechsel, seine Hemmung, seine Beschleunigung, geht so weit, dass ein Fehlgriff in Ort und Klima jemanden nicht nur seiner Aufgabe entfremden, sondern ihm dieselbe überhaupt vorenthalten kann: er bekommt sie nie zu Gesicht. Der animalische vigor ist nie gross genug bei ihm geworden, dass jene ins Geistigste überstr?mende Freiheit erreicht wird, wo jemand erkennt: das kann ich allein... Eine zur schlechten Gewohnheit gewordne noch so kleine Eingeweide-Tr?gheit genügt vollst?ndig, um aus einem Genie etwas Mittelm?ssiges, etwas "Deutsches", zu machen; das deutsche Klima allein ist ausreichend, um starke und selbst heroisch angelegte Eingeweide zu entmuthigen. Das tempo des Stoffwechsels steht in einem genauen Verh?ltniss zur Beweglichkeit oder Lahmheit der Füsse des Geistes; der "Geist" selbst ist ja nur eine Art dieses Stoffwechsels. Man stelle sich die Orte zusammen, wo es geistreiche Menschen giebt und gab, wo Witz, Raffinement, Bosheit zum Glück geh?rten, wo das Genie fast nothwendig sich heimisch machte: sie haben alle eine ausgezeichnet trockne Luft. Paris, die Provence, Florenz, Jerusalem, Athen - diese Namen beweisen Etwas: das Genie ist bedingt durch trockne Luft, durch reinen Himmel, - das heisst durch rapiden Stoffwechsel, durch die M?glichkeit, grosse, selbst ungeheure Mengen Kraft sich immer wieder zuzuführen. Ich habe einen Fall vor Augen, wo ein bedeutend und frei angelegter Geist bloss durch Mangel an Instinkt-Feinheit im Klimatischen eng, verkrochen, Specialist und Sauertopf wurde. Und ich selber h?tte zuletzt dieser Fall werden k?nnen, gesetzt, dass mich nicht die Krankheit zur Vernunft, zum Nachdenken über die Vernunft in der Realit?t gezwungen h?tte. Jetzt, wo ich die Wirkungen klimatischen und meteorologischen Ursprungs aus langer übung an mir als an einem sehr feinen und zuverl?ssigen Instrumente ablese und bei einer kurzen Reise schon, etwa von Turin nach Mailand, den Wechsel in den Graden der Luftfeuchtigkeit physiologisch bei mir nachrechne, denke ich mit Schrecken an die unheimliche Tatsache, dass mein Leben bis auf die letzten 10 Jahre, die lebensgef?hrlichen Jahre, immer sich nur in falschen und mir geradezu verbotenen Orten abgespielt hat. Naumburg, Schulpforta, Thüringen überhaupt, Leipzig, Basel - ebenso viele Unglücks-Orte für meine Physiologie. Wenn ich überhaupt von meiner ganzen Kindheit und Jugend keine willkommne Erinnerung habe, so w?re es eine Thorheit, hier sogenannte "moralische" Ursachen geltend zu machen, - etwa den unbestreitbaren Mangel an zureichender Gesellschaft: denn dieser Mangel besteht heute wie er immer bestand, ohne dass er mich hinderte, heiter und tapfer zu sein. Sondern die Unwissenheit in physiologicis - der verfluchte "Idealismus" - ist das eigentliche Verh?ngniss in meinem Leben, das überflüssige und Dumme darin, Etwas, aus dem nichts Gutes gewachsen, für das es keine Ausgleichung, keine Gegenrechnung giebt. Aus den Folgen dieses "Idealismus" erkl?re ich mir alle Fehlgriffe, alle grossen Instinkt-Abirrungen und "Bescheidenheiten" abseits der Aufgabe meines Lebens, zum Beispiel, dass ich Philologe wurde - warum zum Mindesten nicht Arzt oder sonst irgend etwas Augen-Aufschliessendes? In meiner Basler Zeit war meine ganze geistige Di?t, die Tages-Eintheilung eingerechnet, ein vollkommen sinnloser Missbrauch ausserordentlicher Kr?fte, ohne eine irgendwie den Verbrauch deckende Zufuhr von Kr?ften, ohne ein Nachdenken selbst über Verbrauch und Ersatz. Es fehlte jede feinere Selbstigkeit, jede Obhut eines gebieterischen Instinkts, es war ein Sich-gleichsetzen mit Irgendwem, eine "Selbstlosigkeit", ein Vergessen seiner Distanz, - Etwas, das ich mir nie verzeihe. Als ich fast am Ende war, dadurch das sich fast am Ende war, wurde ich nachdenklich über diese Grund-Unvernunft meines Lebens - den "Idealismus". Die Krankheit brachte mich erst zur Vernunft. -
3.
Die Wahl in der Ern?hrung; die Wahl von Klima und Ort; das Dritte, worin man um keinen Preis einen Fehlgriff thun darf, ist die Wahl seiner Art Erholung. Auch hier sind je nach dem Grade, in dem ein Geist sui generis ist, die Grenzen des ihm Erlaubten, das heisst Nützlichen, eng und enger. In meinem Fall geh?rt alles Lesen zu meinen Erholungen: folglich zu dem, was mich von mir losmacht, was mich in fremden Wissenschaften und Seelen spazieren gehn l?sst, - was ich nicht mehr ernst nehme. Lesen erholt mich eben von meinem Ernste. In tief arbeitsamen Zeiten sieht man keine Bücher bei mir: ich würde mich hüten, jemanden in meiner N?he reden oder gar denken zu lassen. Und das hiesse ja lesen... Hat man eigentlich beobachtet, dass in jener tiefen Spannung, zu der die Schwangerschaft den Geist und im Grunde den ganzen Organismus verurtheilt, der Zufall, jede Art Reiz von aussen her zu vehement wirkt, zu tief "einschl?gt"? Man muss dem Zufall, dem Reiz von aussen her so viel als m?glich aus dem Wege gehn; eine Art Selbst-Vermauerung geh?rt zu den ersten Instinkt-Klugheiten der geistigen Schwangerschaft. Werde ich es erlauben, dass ein fremder Gedanke heimlich über die Mauer steigt? -
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