Ecce Homo | Page 4

Friedrich Wilhelm Nietzsche
der herankommt, er ist fern davon, ihm entgegenzugehn. Er glaubt weder an "Unglück", noch an "Schuld": er wird fertig, mit sich, mit Anderen, er weiss zu vergessen, - er ist stark genug, dass ihm Alles zum Besten gereichen muss. - Wohlan, ich bin das Gegenstück eines décadent: denn ich beschrieb eben mich.
3.
Ich betrachte es als ein grosses Vorrecht, einen solchen Vater gehabt zu haben: die Bauern, vor denen er predigte - denn er war, nachdem er einige Jahre am Altenburger Hofe gelebt hatte, die letzten Jahre Prediger - sagten, so müsse wohl ein Engel aussehn. - Und hiermit berühre ich die Frage der Rasse. ich bin ein polnischer Edelmann pur sang, dem auch nicht ein Tropfen schlechtes Blut beigemischt ist, am wenigsten deutsches. Wenn ich den tiefsten Gegensatz zu mir suche, die unausrechenbare Gemeinheit der Instinkte, so finde ich immer meine Mutter und Schwester, - mit solcher canaille mich verwandt zu glauben w?re eine L?sterung auf meine G?ttlichkeit. Die Behandlung, die ich von Seiten meiner Mutter und Schwester erfahre, bis auf diesen Augenblick, fl?sst mir ein uns?gliches Grauen ein: hier arbeitet eine vollkommene H?llenmaschine, mit unfehlbarer Sicherheit über den Augenblick, wo man mich blutig verwunden kann - in meinen h?chsten Augenblicken,... denn da fehlt jede Kraft, sich gegen giftiges Gewürm zu wehren... Die physiologische Contiguit?t erm?glicht eine solche disharmonia praestabilita... Aber ich bekenne, dass der tiefste Einwand gegen die "ewige Wiederkunft", mein eigentlich abgründlicher Gedanke, immer Mutter und Schwester sind. - Aber auch als Pole bin ich ein ungeheurer Atavismus. Man würde Jahrhunderte zurückzugehn haben, um diese vornehmste Rasse, die es auf Erden gab, in dem Masse instinktrein zu finden, wie ich sie darstelle. Ich habe gegen Alles, was heute noblesse heisst, ein souveraines Gefühl von Distinktion, - ich würde dem jungen deutschen Kaiser nicht die Ehre zugestehn, mein Kutscher zu sein. Es giebt einen einzigen Fall, wo ich meines Gleichen anerkenne ich bekenne es mit tiefer Dankbarkeit. Frau Cosima Wagner ist bei Weitem die vornehmste Natur; und, damit ich kein Wort zu wenig sage, sage ich, dass Richard Wagner der mir bei Weitem verwandteste Mann war... Der Rest ist Schweigen... Alle herrschenden Begriffe über Verwandtschafts-Grade sind ein physiologischer Widersinn, der nicht überboten werden kann. Der Papst treibt heute noch Handel mit diesem Widersinn. Man ist am wenigsten mit seinen Eltern verwandt: es w?re das ?usserste Zeichen von Gemeinheit, seinen Eltern verwandt zu sein. Die h?heren Naturen haben ihren Ursprung unendlich weiter zurück, auf sie hin hat am l?ngsten gesammelt, gespart, geh?uft werden müssen. Die grossen Individuen sind die ?ltesten: ich verstehe es nicht, aber Julius C?sar k?nnte mein Vater sein - oder Alexander, dieser leibhafte Dionysos... In diesem Augenblick, wo ich dies schreibe, bringt die Post mir einen Dionysos-Kopf...
4.
Ich habe nie die Kunst verstanden, gegen mich einzunehmen auch das verdanke ich meinem unvergleichlichen Vater - und selbst noch, wenn es mir von grossem Werthe schien. Ich bin sogar, wie sehr immer das unchristlich scheinen mag, nicht einmal gegen mich eingenommen. Man mag mein Leben hin- und herwenden, man wird darin, jenen Einen Fall abgerechnet, keine Spuren davon entdecken, dass jemand b?sen Willen gegen mich gehabt h?tte, - vielleicht aber etwas zu viel Spuren von gutem Willen... Meine Erfahrungen selbst mit Solchen, an denen Jedermann schlechte Erfahrungen macht, sprechen ohne Ausnahme zu deren Gunsten; ich z?hme jeden B?r, ich mache die Hanswürste noch sittsam. In den sieben Jahren, wo ich an der obersten Klasse des Basler P?dagogiums Griechisch lehrte, habe ich keinen Anlass gehabt, eine Strafe zu verh?ngen; die Faulsten waren bei mir fleissig. Dem Zufall bin ich immer gewachsen; ich muss unvorbereitet sein, um meiner Herr zu sein. Das Instrument, es sei, welches es wolle, es sei so verstimmt, wie nur das Instrument "Mensch" verstimmt werden kann - ich müsste krank sein, wenn es mir nicht gelingen sollte, ihm etwas Anh?rbares abzugewinnen. Und wie oft habe ich das von den "Instrumenten" selber geh?rt, dass sie sich noch nie so geh?rt h?tten... Am sch?nsten vielleicht von jenem unverzeihlich jung gestorbenen Heinrich von Stein, der einmal, nach sorgsam eingeholter Erlaubniss, auf drei Tage in Sils-Maria erschien, Jedermann erkl?rend, dass er nicht wegen des Engadins komme. Dieser ausgezeichnete Mensch, der mit der ganzen ungestümen Einfalt eines preussischen Junkers in den Wagner'schen Sumpf hineingewatet war (- und ausserdem noch in den Dühring'schen!) war diese drei Tage wie umgewandelt durch einen Sturmwind der Freiheit, gleich Einem, der pl?tzlich in seine H?he gehoben wird und Flügel bekommt. Ich sagte ihm immer, das mache die gute Luft hier oben, so gehe es jedem, man sei nicht umsonst 6000 Fuss über Bayreuth, - aber er wollte mir's nicht glauben... Wenn trotzdem an mir manche kleine und grosse Missethat verübt worden ist, so war nicht "der Wille", am wenigsten der b?se Wille Grund davon: eher schon h?tte ich mich - ich deutete es eben an - über den
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