Die zärtlichen Schwestern | Page 7

Christian Fürchtegott Gellert
ein Seneca und viele
von den neuern Philosophen gesagt haben.
Julchen. Ich kenne alle diese Männer nicht und verlange sie auch nicht
zu kennen. Aber wenn sie so weise gewesen sind, wie Sie behaupten,
so werden sie wohl auch gesagt haben, daß man ein unruhiges Herz
durch viele Vorstellungen nicht noch unruhiger machen soll. Und ich
traue dem Plato und Seneca, und wie sie alle heißen, so viel Einsicht
und Höflichkeit zu, daß sie Sie bitten würden, mich zu verlassen, wenn
sie zugegen wären. Sobald ich die Leidenschaften und insonderheit die
Liebe nicht mehr regieren kann: so will ich Ihre Philosophie um
Beistand ansprechen.
Der Magister. Ihre Aufrichtigkeit gefällt mir, ob sie mir gleich zu
widersprechen scheint. Aber ich würde mich für sehr unphilosophisch
halten, wenn ich den Widerspruch nicht gelassen anhören könnte. Sie
sollen mich nicht beleidiget haben. Nein! Aber Sie sagen, Sie sind
unruhig. Sollte es itzt nicht Zeit sein, diese Unruhe durch Überlegung
zu dämpfen? Was verursacht Ihre Unruhe? Ist's der Affekt der Liebe
oder des Abscheus? Der Furcht oder des Verlangens? Ich wollte
wünschen, daß Sie ein anschauendes Erkenntnis davon hätten. Wenn
man die Ursache eines moralischen Übels weiß: so weiß man auch das

moralische Gegenmittel. Ich meine es gut mit Ihnen. Ich rede
begreiflich, und ich wollte, daß ich noch deutlicher reden könnte.
Julchen. Ich setze nicht das geringste Mißtrauen weder in Ihre
Aufrichtigkeit noch in Ihre Gelehrsamkeit. Aber ich bin verdrießlich.
Ich weiß nicht, was mir fehlt, und mag es auch zu meiner Ruhe nicht
wissen. Verlassen Sie mich. Sie sind mir viel zu scharfsinnig.
Der Magister. Warum loben Sie mich? Wenn Sie so viele Jahre der
Wahrheit nachgedacht hätten als ich: so würden Sie vielleicht ebenso
helle denken. Unterdrücken Sie Ihre Unruhe und überlegen Sie das
Glück, das sich Ihnen heute auf Ihr ganzes Leben anbietet. Herr Damis
verlangt Ihr Herz und scheint es auch zu verdienen. Was sagt Ihr
Verstand dazu? Auf die Wahl in der Liebe kömmt das ganze Glück der
Ehe an; und kein Irrtum bestraft uns so sehr als der, den wir in der
Liebe begehn. Allein wenn kann man sich leichter irren als bei dieser
Gelegenheit?
Julchen. Ich glaube, daß dieser Unterricht recht gut ist. Aber was wird
er mir nützen, da ich nicht lieben will?
Der Magister. Sie reden sehr hitzig. Dennoch werde ich nicht aus
meiner Gelassenheit kommen. Sie wollen nicht lieben, nicht heiraten?
Aber wissen Sie denn auch, daß Sie dazu verbunden sind? Soll ich
Ihnen den Beweis aus meinem Rechte der Natur vorlegen? Sie wollen
doch, daß das menschliche Geschlecht erhalten werden soll? Dieses ist
ein Zweck, den uns die Natur lehrt. Das Mittel dazu ist die Liebe. Wer
den Zweck will, der muß auch das Mittel wollen, wenn er anders
verständig ist. Sehn Sie denn nicht, daß Sie zur Ehe verbunden sind?
Sagen Sie mir nur, ob Sie die Kraft dieser Gründe nicht fühlen?
Julchen. Ich fühle sie in der Tat nicht. Und wenn die Liebe nichts ist als
eine Pflicht: so wundert mich's, wie sie so viele Herzen an sich ziehen
kann. Ich will ungelehrt lieben. Ich will warten, bis mich die Liebe
durch ihren Reiz bezaubern wird.
Der Magister. Jungfer Muhme, das heißt halsstarrig sein, wenn man die
Augen vor den klärsten Beweisen zuschließt. Wenn Sie erkennen, daß

Sie zur Ehe verbunden sind, wie könnte denn Ihr Wille undeterminiert
bleiben? Ist denn der Beifall im Verstande und der Entschluß im Willen
nicht eine und ebendieselbe Handlung unserer Seele? Warum wollen
Sie sich denn nicht zur Heirat mit dem Herrn Damis entschließen, da
Sie sehen, daß Sie eine Pflicht dazu haben?
Julchen. Nehmen Sie mir's nicht übel, Herr Magister, daß ich Sie
verlasse, ohne von Ihrer Sittenlehre überzeugt zu sein. Was kann ich
armes Mädchen dafür, daß ich nicht so viel Einsicht habe als Plato,
Seneca und Ihre andern weisen Männer? Machen Sie es mit diesen
Leuten aus, warum ich keine Lust zur Heirat habe, da ich doch durch
ihren Beweis dazu verbunden bin. Ich habe noch etliche Anstalten in
der Küche zu machen.

Zehnter Auftritt
Der Magister. Cleon.
Der Magister. Ich habe deiner Tochter Julchen alle mögliche
Vorstellungen getan. Ich habe mit der größten Selbstverleugnung mit
ihr gesprochen. Ich habe ihr die stärksten Beweise angeführt; aber...
Cleon. O hättest du ihr lieber ein paar Exempel von glücklich
verheirateten Mädchen angeführt.
Der Magister. Sie widersprach mir mehr als einmal; aber ich kam nicht
aus meiner Gelassenheit. Ich erwies ihr, daß sie verbunden wäre zu
heiraten.
Cleon. Du hast dir viel Mühe geben. Ich denke, wenn ein Mädchen
achtzehn Jahre alt ist: so wird sie nicht viel wider diesen Beweis
einwenden können.
Der Magister. Julchen sah alles ein. Ich machte es ihr sehr deutlich.
Denn wenn man mit Ungelehrten zu tun hat, die nicht abstrakt denken
können: so muß man sich herunterlassen und das
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