Die zärtlichen Schwestern | Page 8

Christian Fürchtegott Gellert
Ingenium zuweilen zu
Hülfe nehmen.

Cleon. Aber wie weit hast du Julchen durch deine Gründe gebracht?
Will sie den Herrn Damis heiraten? Hat sie denn ihre Herzensmeinung
nicht verraten? Ich kann ja den rechtschaffenen Mann nicht länger
aufhalten. Er meint es so redlich und hat so viele Verdienste.
Der Magister. Sie sagte, sie wäre unruhig. Und das war eben schlimm.
Denn die Gründe der Philosophie fordern ein ruhiges Herz, wenn sie
die Überzeugung wirken sollen. Wenn der Verstand durch die Triebe
des Willens bestürmt wird: so ist er nicht aufmerksam. Und ohne
Aufmerksamkeit sind die schärfsten Beweise nichts als stumpfe Pfeile.
Cleon. Rede nicht so tiefsinnig. Du hättest sie eben sollen ruhig
machen: so sähe ich den Nutzen von deiner Geschicklichkeit.
Der Magister. Ich versuchte alles. Ich zeigte ihr die schöne Seite der
Liebe. Ich sagte ihr erstlich, daß eine glückliche Ehe das größte
Vergnügen wäre.
Cleon. Ja, die glücklichen Ehen sind etwas sehr Schönes. Aber du
hättest ihr sagen sollen, daß ihre Ehe wahrscheinlicherweise sehr
glücklich werden würde. Das ist meine Absicht gewesen, warum ich
dich zu ihr geschickt habe.
Der Magister. Kurz und gut, durch Lehrsätze und Erweise ist sie nicht
zu gewinnen, das sehe ich wohl. Sie versteht wohl die einzelnen Sätze;
aber wenn sie sie in Gedanken zusammen verbinden und dem Schlusse
das Leben geben soll: so weichet ihr Verstand zurück, und sie wird
ungehalten, daß er sie verläßt.
Cleon. Also kannst du mir weiter nicht helfen und sie nicht überreden?
Der Magister. Es gibt noch gewisse witzige Beweise zur Überredung,
die man Beweise kat' anJrwpon nennen könnte. Dergleichen sind bei
den alten Rednern die Fabeln und Allegorien oder Parabeln. Bei Leuten,
die nicht scharf denken können, tun diese witzigen Blendwerke oft gute
Dienste. Ich will sehen, ob ich durch mein Ingenium das ausrichten
kann, was sie meinem Verstande versagt hat. Vielleicht macht ihr eine
Fabel mehr Lust zur Heirat als eine Demonstration. Ich will eine

machen und sie ihr vorlesen und tun, als ob ich sie in dem Fabelbuche
eines jungen Menschen in Leipzig gefunden hätte, der sich durch seine
Fabeln und Erzählungen bei der Schuljugend so beliebt gemacht hat.
Cleon. Ach ja, das tue doch, damit wir alles versuchen. Wenn die Fabel
hübsch ist: so kannst du sie gleich auf meiner Tochter Hochzeit der
Welt mitteilen. Mache nur nicht gar zu lange darüber. Eine Fabel ist ja
keine Predigt. Es muß ja nicht alles so akkurat sein. Meine Tochter
wird dich nicht verraten. Mache, daß sie ja spricht: so will ich dir ohne
Fabel, aber recht aufrichtig danken.
(Der Magister geht ab.)

Eilfter Auftritt
Cleon. Lottchen.
Lottchen. Papa, der Herr Vormund des Herrn Damis hat durch seinen
Bedienten dieses Zettelchen an Sie geschickt.
Cleon (er liest). »Weil Sie es verlangen: so werde ich die Ehre haben,
gegen die Kaffeezeit zu Ihnen zu kommen. Ich lasse mir die Wahl des
Herrn Damis, meines Mündels, sehr wohl gefallen. Er hätte nicht
glücklicher wählen können. Kurz, ich will mich diesen Nachmittag mit
Ihnen und Ihren Jungfern Töchtern recht vergnügen, weil ich ohnedies
heute eine angenehme Nachricht vom Hofe erhalten habe. Zugleich
muß ich Ihnen melden, daß heute oder morgen das Testament Ihrer
seligen Frau Muhme, der Frau Stephan, geöffnet werden soll. Ich
glaube gewiß, daß sie Ihnen etwas vermacht hat. Vielleicht kann ich
Ihnen die Gewißheit davon um vier Uhr mitbringen. Ich bin« usw.
Das geht ja recht gut, meine liebe Tochter. Ich dachte immer, der Herr
Vormund würde seine Einwilligung nicht zur Heirat geben, weil meine
Tochter kein Vermögen hat.
Lottchen. Das habe ich gar nicht befürchtet. Der Herr Vormund ist ja
die Leutseligkeit und Menschenliebe selbst und macht sich gewiß eine

Freude daraus, zu dem Glücke eines Frauenzimmers etwas beizutragen,
der man keinen größern Vorwurf machen kann, als daß sie nicht reich
ist.
Cleon. Tochter, du hast sehr recht. Es ist ein lieber Mann. Ich habe nur
gedacht, daß er einen gewissen Fehler haben müßte, weil er schon nahe
an vierzig ist und noch kein Amt hat. Aber was hilft uns das alles, wenn
Julchen den Herrn Damis nicht haben will?
Lottchen. Machen Sie sich keine Sorge, lieber Papa. Julchen ist so gut
als besiegt. Und ich denke, es könnte ihr kein größer Unglück
widerfahren, als wenn man ihr ihren Schatz, die sogenannte Freiheit,
ungeraubt ließe. Ich habe die sichersten Merkmale, daß sie den Herrn
Damis liebt.
Cleon. Sollte es möglich sein? Ich dürfte es bald selbst glauben. Ihr
losen Mädchen tut immer, als wenn euch nichts an den Männern läge,
und heimlich habt ihr doch eine herzliche Freude an ihnen. Je nun, die
Liebe ist auch nötig in der Welt, sonst hätte sie uns der Himmel nicht
gegeben.
Lottchen. Papa, diese Satire auf die losen Mädchen trifft mich nicht.
Ich dächte, ich machte kein Geheimnis aus meiner Liebe. Wenigstens
halte ich die vernünftige Liebe für kein
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