Die zärtlichen Schwestern | Page 7

Christian Fürchtegott Gellert
sagen, Sie sind unruhig. Sollte es itzt nicht Zeit sein, diese Unruhe durch überlegung zu d?mpfen? Was verursacht Ihre Unruhe? Ist's der Affekt der Liebe oder des Abscheus? Der Furcht oder des Verlangens? Ich wollte wünschen, da? Sie ein anschauendes Erkenntnis davon h?tten. Wenn man die Ursache eines moralischen übels wei?: so wei? man auch das moralische Gegenmittel. Ich meine es gut mit Ihnen. Ich rede begreiflich, und ich wollte, da? ich noch deutlicher reden k?nnte.
Julchen. Ich setze nicht das geringste Mi?trauen weder in Ihre Aufrichtigkeit noch in Ihre Gelehrsamkeit. Aber ich bin verdrie?lich. Ich wei? nicht, was mir fehlt, und mag es auch zu meiner Ruhe nicht wissen. Verlassen Sie mich. Sie sind mir viel zu scharfsinnig.
Der Magister. Warum loben Sie mich? Wenn Sie so viele Jahre der Wahrheit nachgedacht h?tten als ich: so würden Sie vielleicht ebenso helle denken. Unterdrücken Sie Ihre Unruhe und überlegen Sie das Glück, das sich Ihnen heute auf Ihr ganzes Leben anbietet. Herr Damis verlangt Ihr Herz und scheint es auch zu verdienen. Was sagt Ihr Verstand dazu? Auf die Wahl in der Liebe k?mmt das ganze Glück der Ehe an; und kein Irrtum bestraft uns so sehr als der, den wir in der Liebe begehn. Allein wenn kann man sich leichter irren als bei dieser Gelegenheit?
Julchen. Ich glaube, da? dieser Unterricht recht gut ist. Aber was wird er mir nützen, da ich nicht lieben will?
Der Magister. Sie reden sehr hitzig. Dennoch werde ich nicht aus meiner Gelassenheit kommen. Sie wollen nicht lieben, nicht heiraten? Aber wissen Sie denn auch, da? Sie dazu verbunden sind? Soll ich Ihnen den Beweis aus meinem Rechte der Natur vorlegen? Sie wollen doch, da? das menschliche Geschlecht erhalten werden soll? Dieses ist ein Zweck, den uns die Natur lehrt. Das Mittel dazu ist die Liebe. Wer den Zweck will, der mu? auch das Mittel wollen, wenn er anders verst?ndig ist. Sehn Sie denn nicht, da? Sie zur Ehe verbunden sind? Sagen Sie mir nur, ob Sie die Kraft dieser Gründe nicht fühlen?
Julchen. Ich fühle sie in der Tat nicht. Und wenn die Liebe nichts ist als eine Pflicht: so wundert mich's, wie sie so viele Herzen an sich ziehen kann. Ich will ungelehrt lieben. Ich will warten, bis mich die Liebe durch ihren Reiz bezaubern wird.
Der Magister. Jungfer Muhme, das hei?t halsstarrig sein, wenn man die Augen vor den kl?rsten Beweisen zuschlie?t. Wenn Sie erkennen, da? Sie zur Ehe verbunden sind, wie k?nnte denn Ihr Wille undeterminiert bleiben? Ist denn der Beifall im Verstande und der Entschlu? im Willen nicht eine und ebendieselbe Handlung unserer Seele? Warum wollen Sie sich denn nicht zur Heirat mit dem Herrn Damis entschlie?en, da Sie sehen, da? Sie eine Pflicht dazu haben?
Julchen. Nehmen Sie mir's nicht übel, Herr Magister, da? ich Sie verlasse, ohne von Ihrer Sittenlehre überzeugt zu sein. Was kann ich armes M?dchen dafür, da? ich nicht so viel Einsicht habe als Plato, Seneca und Ihre andern weisen M?nner? Machen Sie es mit diesen Leuten aus, warum ich keine Lust zur Heirat habe, da ich doch durch ihren Beweis dazu verbunden bin. Ich habe noch etliche Anstalten in der Küche zu machen.

Zehnter Auftritt
Der Magister. Cleon.
Der Magister. Ich habe deiner Tochter Julchen alle m?gliche Vorstellungen getan. Ich habe mit der gr??ten Selbstverleugnung mit ihr gesprochen. Ich habe ihr die st?rksten Beweise angeführt; aber...
Cleon. O h?ttest du ihr lieber ein paar Exempel von glücklich verheirateten M?dchen angeführt.
Der Magister. Sie widersprach mir mehr als einmal; aber ich kam nicht aus meiner Gelassenheit. Ich erwies ihr, da? sie verbunden w?re zu heiraten.
Cleon. Du hast dir viel Mühe geben. Ich denke, wenn ein M?dchen achtzehn Jahre alt ist: so wird sie nicht viel wider diesen Beweis einwenden k?nnen.
Der Magister. Julchen sah alles ein. Ich machte es ihr sehr deutlich. Denn wenn man mit Ungelehrten zu tun hat, die nicht abstrakt denken k?nnen: so mu? man sich herunterlassen und das Ingenium zuweilen zu Hülfe nehmen.
Cleon. Aber wie weit hast du Julchen durch deine Gründe gebracht? Will sie den Herrn Damis heiraten? Hat sie denn ihre Herzensmeinung nicht verraten? Ich kann ja den rechtschaffenen Mann nicht l?nger aufhalten. Er meint es so redlich und hat so viele Verdienste.
Der Magister. Sie sagte, sie w?re unruhig. Und das war eben schlimm. Denn die Gründe der Philosophie fordern ein ruhiges Herz, wenn sie die überzeugung wirken sollen. Wenn der Verstand durch die Triebe des Willens bestürmt wird: so ist er nicht aufmerksam. Und ohne Aufmerksamkeit sind die sch?rfsten Beweise nichts als stumpfe Pfeile.
Cleon. Rede nicht so tiefsinnig. Du h?ttest sie eben sollen ruhig machen: so s?he ich den Nutzen von deiner Geschicklichkeit.
Der Magister. Ich versuchte alles. Ich zeigte ihr die sch?ne Seite der Liebe. Ich sagte ihr erstlich, da? eine glückliche Ehe das gr??te Vergnügen w?re.
Cleon. Ja, die glücklichen Ehen sind etwas sehr Sch?nes. Aber du h?ttest ihr sagen
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