Die ungleichen Schalen | Page 8

Jakob Wasserman

in alten Körpern neu. War ich nicht bereit, Graf Orlow? Ich war bereit,
mehr kann ich nicht sagen. Aber ich bin gewohnt, in Menschenaugen
zu lesen, und mehr noch auf den Stirnen, Graf, auf den Stirnen. Sie sind
so unbehütet, die Stirnen; man kann sie eine Walstatt der Dämonen
nennen. (Den Arm mit ausgestrecktem Finger gegen Orlow, stark.) Ich
sehe Schicksale auf dieser Stirn, die ungeboren bleiben sollten.
Orlow
Alexei Grigorjewitsch! Nicht auf meiner Stirn, -- in Ihrer Hand liegt
jetzt ein Schicksal. Iwan ist in meiner Gewalt.
Rasumowsky
(scheu)
Iwan ... ist ...
Orlow
In meiner Gewalt und nur mir erreichbar.
Rasumowsky
(mit weiten Augen)
Sie wollen damit sagen: um Iwan ist's geschehen, wenn ich mich
weigere ...

Orlow
Vielleicht ist es das, was ich sagen will.
Rasumowsky
(nähert sich Orlow mit gebeugtem Oberkörper und mit der
Unterwürfigkeit eines Bauern, hält ihm mit beiden Händen die
Dokumente hin)
Nehmen Sie, Graf Orlow ...
Orlow
(etwas überrascht von dem schnellen Erfolg, greift nach den Papieren).
Rasumowsky
(demütig)
Nicht weil ich für Iwan fürchte, Graf Orlow ... nicht weil ich mir sein
Leben erkaufen will, ... nicht deshalb, Graf Orlow, nicht deshalb ...
Orlow
(hält die Papiere fest, mit finsterem Trotz)
Es wäre auch zu spät, Alexei Grigorjewitsch, Sie retten Iwan damit
nicht. Er war zu gefährlich, als er seine Abstammung kannte. Er weilt
nicht mehr unter den Lebenden.
Rasumowsky
(schmerzvoll)
Gott, dein Wille geschehe! Ich habe es geahnt!
Orlow

Und Sie geben mir trotzdem diese Papiere --?
Rasumowsky
(mit der Hoheit des Grames)
Ja, Graf Orlow! Ein Mann, der zu solchen Mitteln greift, den muß die
eigene Tat vernichten. Und wenn es die Krone selbst wäre, sie hätte
kein Gewicht mehr, wenn Sie sie halten. Nichts ... ein Schemen, ein
Scheinbild. Nichts. Zeigen Sie die Dokumente der Kaiserin.
Orlow
(brütend)
Darum also ... Es ist zu viel ... (als wöge er die Papiere) es scheint mir
zu viel Erniedrigung für das gewährte Almosen. Bin ich denn ein
Bettler? Soll es einen Menschen geben, der mich so einschätzen darf?
(Aufflammend.) Nein, nein, nein! Die Schmähung greift ans Herz.
Wenn ich diesem erbettelten, erschlichenen Wisch alles verdanken
müßte, was mir das Leben gewähren soll, es fräße mir das Mark der Tat
aus den Knochen. Ein Orlow, der alles Heil auf den Inhalt einiger
vergilbter Papiere gründet? Bin ich verloren ohne diese Fetzen, so wie
ich jetzt besudelt bin, wenn ich sie als billige Trophäe vor die Augen
Katharinas bringe? Nein, Alexei Grigorjewitsch, nein! Die Genugtuung,
daß es von Ihrer Gnade abhängig war, Rußland einen Zaren zu geben,
kann ich Ihnen nicht überlassen. Jede Gegenwart wäre mir vergällt, und
um Ihnen den Beweis zu liefern, daß ich diese Gnade verschmähe, daß
ich sie verachte, nur darum tu' ich, was ich tue! (Er eilt zum Kamin und
wirft die Dokumente ins Feuer.)
Rasumowsky
(mit seltsam entzückter, schreiender Stimme, die zugleich etwas wie
physischen Schmerz enthält)
Ein Gottesurteil! Ein Gottesurteil!

(Durch Rasumowskys Schrei alarmiert, kommen Lassunsky und
Chidrowo mit bestürzten Mienen.)
Lassunsky
(bleibt unter der aufgerissenen Türe stehen, hastig)
Was ist geschehen, Erlaucht?
Chidrowo
(tritt vor, zieht den Degen)
Wir werden Sie schützen, Erlaucht.
Rasumowsky
(ohne sie zu beachten)
So hat eine höhere Macht Ihren Arm gelenkt, Graf Orlow, und Sie
haben nur den Beweis geliefert, daß es keinen Weg gibt aus Ihrer
Menschentiefe zum Licht der Majestät. (Er bückt sich, als ob er bete.)
Lassunsky
(drängend)
Erlaucht ... die Blässe Ihres Gesichts ... Sie sind krank ...
Rasumowsky
(immer gebückt)
Ehrfurcht! Der Engel des Schicksals schwebt über uns!
Orlow
(reißt sich vom Anblick des Feuers los)

Verbrannt ... (Unheilvoll.) Und nun sei auch verbrannt alle Milde,
vergessen alles Zögern feiger Rücksicht und wer mich aufhält, meinen
Schritt oder den Schritt meines Pferdes, der möge zittern!
Rasumowsky
Verwirkt! Verwirkt! Wir wollen zittern, aber der Spruch ist gefallen.
Chidrowo
(fast jubelnd)
Gerettet, Mütterchen Rußland, gerettet!
Orlow
(im Abgehen)
Hütet euch!
Rasumowsky
(richtet sich wieder empor)
Ich bin in meiner Hut, denn ich fürchte die Menschen nicht mehr.
(Vorhang)

Gentz und Fanny Elßler
Personen:
Friedrich von Gentz, Hofrat Felix Graf Reitzenstein Fanny Elßler Jean )
Martin } Diener bei Gentz Franz ) Lieferanten, Geldleute usw.
Spielt in Wien, Herbst 1830
Ein Zimmer der Villa Gentz in Weinhaus bei Wien. Kostbare

Empiremöbel, Nippsachen, Kunstwerke, geblümte Tapeten. Auf einer
Kommode stehen zwei Glasglocken mit eingemachten Früchten zum
Naschen. Vom Kamin leuchtet eine goldene Stehuhr. Im Hintergrund
zwei Fenster, zwischen ihnen eine hohe Glastüre in den Garten. Links
Türe zum Vorzimmer, rechts in das Ankleidezimmer des Hofrats; diese
Tür ist offen.
Hinter der Türe links wird lebhaft gesprochen. Gleich darauf Jean,
livrierter Diener, von links durch das Zimmer nach rechts ab. Die Türe
links wird geöffnet, und ein dicker Jude will herein, Martin, ein zweiter
livrierter Diener, der im Zimmer damit beschäftigt ist, frisches Wasser
in blumengefüllte Vasen zu gießen, eilt hin und schlägt
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