Die ungleichen Schalen | Page 9

Jakob Wasserman
dem
Eindringling die Tür vor der Nase zu. Protestierende Rufe von draußen.
Martin steht Wache.
Gentzens Stimme
(von rechts)
Was erfrecht Er sich? Ich zahle nicht. Übermorgen. Die Schufte sollen
Geduld haben.
Jean
(eilig wieder von rechts nach links ab).
Gentzens Stimme
Die geblümte Weste! Die geblümte!
Lebhafte Stimmen
(hinter der Türe links).
Jean
(kommt abermals mit verzweifelter Miene nach rechts).
Martin

(hält die Türklinke).
Stimme Jeans
Der Weinlieferant und der Parfümeur wollen partout mit dem Herrn
Hofrat selber sprechen.
Gentzens Stimme
Ach was, Er Esel, Er hat ja gar keine Schneid. -- Die Ringe, Franz. Jetzt
lauf Er zum Gärtner wegen frischer Blumen.
Franz
(ein alter Diener, durch die Mitte ab in den Garten.)
(Gleich darauf)
Gentz
(Mann von fünfundsechzig Jahren. Hohe schlanke Gestalt. Er hat einen
müden, etwas gebückten Gang. Sein Gesicht ist höchst geistreich, die
ganze Physiognomie hat einen feinen, lebhaften und verführerischen
Ausdruck, und der Blick ist von intensiver Kraft. Kinn und Unterkiefer
sind etwas schwer, um den Feinschmeckermund liegt bisweilen ein
trauriger, bisweilen ein zynischer Zug. Er ist nach der letzten Mode
gekleidet: brauner, langer Rock, gestickte Weste, Vatermörder,
schwarze Binde)
War schon jemand vom Fürsten Metternich da?
Martin
Niemand, Herr Hofrat.
Gentz
(nach links ab, die Türe bleibt halb offen).

Stimmen der Lieferanten
Küß die Hand, Herr Hofrat! -- Wünsch guten Morgen, Herr Hofrat! --
Küß die Hand, Euer Gnaden.
Gentzens Stimme
Also, was soll's -- Was belästigt ihr mich?
Stimme des Parfümeurs
Halten zu Gnaden, Herr Hofrat, hab für siebenundachtzig Gulden
Kölnisch Wasser geliefert.
Stimme des Weinhändlers
Ich für dreihundertzwanzig Gulden Sekt.
Gentzens Stimme
Geduld, ihr Leute. Morgen schick ich zum Rothschild hin. Der
Rothschild zahlt alles, das wißt ihr doch. Jetzt schert euch friedlich
nach Hause. (Er tritt ins Zimmer zurück, der dicke Jude folgt ihm.)
Jude
Euer Exzellenz, der Wechsel ist schon emal prolongiert.
Gentz
Fort, fort, fort!
Der Schneider
(hat sich schüchtern nachgedrängt)
Ich freu mich, daß der Herr Hofrat so gut ausschaut.
Gentz

Keine Konfidenzen! Ich hab' gern, wenn Lieferanten was liefern.
Konfidenzen sind mir verhaßt. -- Hat der Gärtner schon was wegen der
Rosen gemeldet?
Martin
Nein, Herr Hofrat.
Gentz
Ich will mal selber mit ihm reden. Wenn er frische Rosen hat, ist es
besser, sie erst am Stock zu sehen. (Durch die Mitte ab.)
Der Schneider
Herr Hofrat! --
Jean
Na, was gibt's denn noch? Er hat doch gehört, daß wir heut nicht bei
Kassa sind.
Der Schneider
Morgen ist die Trauung von meiner Tochter, und wenn mir halt der
Herr Hofrat zwanzig Gulden geben tät ...
Jean
Laßt eure Töchter im ledigen Stand, wenn ihr kein Geld habt's.
Martin
(verächtlich)
Heiraten! Alle gemeinen Leute heiraten beständig.
Jean

Und jetzt allons! marsch! (Nimmt den Besen.) Hinaus! Es wird
gelüftet.
Der Jude
Was wird sein? Wer ich den Wechsel zu Protest bringen. (Ab,
desgleichen der Schneider, die Stimmen draußen verlieren sich.)
Martin
Was macht er denn heut für an Kramuri, der Hofrat?
Jean
Die Fanny war doch drei Tag am Land bei ihrer Schwester.
Martin
Ah so. Froher Empfang nach schmerzlicher Trennung.
Jean
Zu Mittag kommt s' mit der Extrapost, die Fanny.
Martin
Fahr'n jetzt die vom Theater auch schon mit der Extrapost?
Jean
Die Fanny is was man eine bessere Tänzerin heißt. Hast es schon
tanzen seh'n am Kärntnertor? Die Leut' soll'n sich die Haxen abtreten
hab'n.
Martin
(düster)
Der Hofrat g'fallt mir gar nicht mit seiner Verliebtheit. Das is ja schon

ganz außer der Normalität. Wenn's nur keine Mesallianz gibt.
Gentz
(vom Garten, zwei Burschen folgen ihm, die einen kupfernen, mit
Rosen gefüllten Kessel tragen.)
Dorthin, ins Eck, ... auf die Säule.
Franz
(von links)
Herr Graf Reitzenstein. (Ab, auch Jean und Martin, die
Gärtnerburschen durch die Mitte ab.)
Gentz
(zur Tür)
Guten Morgen, lieber Felix. Ein schöner Herbsttag heute, warm wie im
August.
Graf Reitzenstein
(fünfundzwanzig Jahre, elegante Erscheinung; er ist ein wenig Poet,
und in seinen Zügen drückt sich die Schwärmerei eines vornehmen
Müßiggängers aus, dessen Lieblingsautor Lord Byron ist)
Guten Morgen, Gentz. Wissen Sie, daß Fanny schon aus der Brühl
zurück ist.
Gentz
Wie, schon zurück?
Graf Reitzenstein
Ich habe sie vor einer halben Stunde mit Stuhlmüller beim

Theatereingang gesehen.
Gentz
Haben Sie mit ihr gesprochen?
Graf Reitzenstein
Nein, sie hat mich gar nicht bemerkt.
Gentz
Dann wird sie jeden Moment kommen. Stuhlmüller? Stuhlmüller? Wer
ist das doch? Richtig, der Tänzer.
Graf Reitzenstein
Ein exzellenter Tänzer. Er geht jetzt nach Berlin.
Gentz
Ah, nach Berlin. -- Ich erinnere mich: ein hübscher Bursche.
Graf Reitzenstein
Ja. Beine wie ein Narziß.
Gentz
Wie sah meine Fanny aus?
Graf Reitzenstein
Entzückend wie immer. Wenn man sie anblickt, hat man das Gefühl,
als sei man zu schlecht für die Welt, in der sie lebt.
Gentz
Sie waren ja am vorigen Sonntag mit ihr bei der Gräfin Fuchs? Ich

konnte nicht hingehen, da mich der Fürst zu einem Conseil berufen
hatte.
Graf Reitzenstein
Und am
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