Die ungleichen Schalen | Page 7

Jakob Wasserman

Rasumowsky
Sie wollen damit sagen, daß Ihre Helfershelfer mein Haus umstellt
halten?
Orlow

Leute, die mir blindlings ergeben sind, ja.
Rasumowsky
Und wozu ich mich freiwillig nicht mehr entschließen würde, das
glauben Sie mit Gewalt durchsetzen zu können. Mit eigener Faust oder
mit dem Beistand fremder Fäuste.
Orlow
Wenn Sie mich zu dieser Notwendigkeit drängen, -- ja. Ich kann nicht
zurück. Ich kann nur vorwärts.
Rasumowsky
Bis zum Abgrund. -- Sie vergessen nur eines, Graf Orlow. Sobald Ihre
Leute diese Schwelle übertreten, oder sobald Sie selbst, von dieser
Sekunde ab, eine Bewegung machen, die auf Gewalttat zielt, fallen die
Dokumente hier in das Feuer. Sie sehen, es brennt loh genug, um ein
paar Papiere rasch verzehren zu können. (Pause. Beide blicken einander
schweigend ins Gesicht.)
Orlow
(mit verschränkten Armen)
So also steht es.
Rasumowsky
Ja.
Orlow
(langsam und mit Nachdruck)
Eines noch, Alexei Grigorjewitsch: ich könnte Sie belohnen, wie nie
ein Sterblicher belohnt worden ist.

Rasumowsky
Lohn? Für mich? Welchen Lohn? Reichtum? Paläste? Titel und
Würden? Für mich?
Orlow
(wie oben)
Wenn auch nicht für Sie, Erlaucht, so doch für einen Knaben ...
Rasumowsky
Einen Knaben --?
Orlow
Für Iwan, den Sohn Rasumowskys und der Kaiserin Elisabeth.
Rasumowsky
(schwankt einen Augenblick, hält sich am Rand des Sessels, sinkt dann
darauf nieder).
Orlow
Der Pope Maximow hat mich zu ihm geführt.
Rasumowsky
Möge Gott ihm verzeihen. Es gibt keine Treue mehr.
Orlow
Fürchten Sie nichts mehr von der verräterischen Geschwätzigkeit
dieses Priesters, Erlaucht. Ich habe dafür gesorgt, daß seine Zunge
keinen Schaden mehr stiftet. Sie und ich, wir sind die beiden einzigen
Menschen auf Erden, die um Iwan wissen ...

Rasumowsky
(dumpf)
Einer zu viel, Graf Orlow.
Orlow
Ich habe den Knaben gesehn. Es war eine weite Fahrt auf das Gut
Domnina im Epifanskischen Kreis. Ein schöner, blonder Knabe.
Welche Einsamkeit für einen Vierzehnjährigen. Wie durstig er in die
Ferne blickte! Er wußte nichts von Vater und Mutter, die Leute, bei
denen er ist, halten ihn für den Sohn von Euer Erlaucht verstorbenem
Bruder. Er ahnt nicht, welche Versprechungen das Leben ihm schenken
könnte, und wer nur sein Gesicht sieht (deutet auf das Bild der Kaiserin
Elisabeth), braucht keinen andern Beweis seiner Abkunft. Grausam
schien es mir, die junge Blüte in der Steppenwüste verkommen zu
lassen. Ich habe ihn über seine Geburt aufgeklärt.
Rasumowsky
(springt auf)
Das haben Sie getan?
Orlow
Ich habe es getan.
Rasumowsky
(sinkt wieder auf den Sessel, umklammert krampfhaft die Dokumente
vor der Brust.)
Großer Himmel! Sie hatten kein Mitleid mit dem arglos spielenden
Geschöpf? Frevlerisch das Gift des Ehrgeizes und der ungenügenden
Begierde in die junge Brust versenkt! Fruchtlose Erwartungen geweckt,
die ein gläubiges Gemüt zerfleischen müssen! So war meine
Entbehrung vergeblich, vergeblich, daß ich mein Herz von ihm

entwöhnt habe, vergeblich das Opfer, vergeblich der Gram der Mutter,
alles vergeblich!
Orlow
(mit leisem Spott)
Ist es nicht besser, wenn der Wissende sich bescheidet, als wenn der
Getäuschte verkommt?
Rasumowsky
(die Worte tief aus seiner Brust ringend)
Zweiunddreißig Jahre, Graf Orlow, war ich mit Elisabeth Petrowna
verbunden. Sie war eine musterhafte Christin und eine zärtliche Mutter
Millionen Volks. Auch mich liebte sie, doch schien es mir so
überflüssig wie sündhaft, meinen Ehrgeiz über das Maß dessen zu
erheben, was sie mir als Weib gewähren konnte. Niemals in
zweiunddreißig Jahren ist die Versuchung über mich gekommen, den
geheiligten Glanz der Majestät für mich zu erborgen. Sie war
auserwählt zu herrschen. Von den Ahnen her war ihr die Gnade
verliehen. Woran soll das Volk glauben, diese Zahllosen, von denen
wir keine Namen wissen und die nur aufblicken in ihrer Verlassenheit,
um nach dem gottbestimmten Führer zu suchen, woran sollen sie denn
glauben, wenn nicht an das Mysterium, das um eine Krone webt? Das
ist ja ihr Märchen, die Botschaft, das Gesetz! Gesalbtes Haupt weiht
das Diadem, königliches Blut rauscht vom Vater zum Sohn, vom
Gatten zur Gattin, von Geschlecht zu Geschlecht. Raubt ihnen diesen
Glauben, und ihr stürzt sie in Gemeinheit und Verzweiflung, die Welt
steht da, ohne Ordnung, ohne Herrn. (Er erhebt sich, bewegt.) Wenn es
ein Verdienst in meinem Leben gibt, Graf Orlow, so ist es das eine, daß
ich die Kaiserin zu überzeugen vermochte, unsere Ehe, für die sie den
Segen der Kirche gewünscht hatte, müsse ein Geheimnis für das Volk
bleiben. Und so wurde Iwan fern vom Hof und fern von den Menschen
erzogen, denn es ziemt sich nicht für den Halbgebürtigen, von einem
Thron auch nur zu träumen.

Orlow
Phantome, Erlaucht, Phantome! Die Zeit hat sich verändert. Es handelt
sich nicht um die Gnade, es handelt sich um die Kraft.
Rasumowsky
Ich bin kein Starrkopf, Graf Orlow, nicht einer, der denkfaul an
Vergangenem hängt. Ich kenne die Zeit. Vieles tragen die Eimer des
Jahres herauf aus dem dunklen Schacht, und wer wirklich lebt, wandelt
sich mit jedem Becher, den er an die Lippen führt. Das Blut wird auch
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