Die ungleichen Schalen | Page 5

Jakob Wasserman
diese Frau entflammte, daß
ich bereit bin, meine Seligkeit für sie zu opfern, daß mir nichts
mühevoll, nichts unerreichbar mehr erscheint, seitdem sie mich erwählt
hat?
Rasumowsky
Wohl kann ich dies verstehen, Graf Orlow.
Orlow
(schwärmerisch)
O, ich wußte es, Erlaucht, ich wußte es. Dank, allen Dank meines
armen Herzens.
Rasumowsky
Ein Herz wie das Ihre ist nicht arm, Graf Orlow.
Orlow
Doch scheint mir's so in Ihrer Nähe. Aber hören Sie weiter, Erlaucht.
Vor wenigen Tagen wurde die Zarin, deren Geist in quälender
Unschlüssigkeit irgend einen Weg suchte, von einem ruchlosen
Ratgeber auf Ihre Ehe --
Rasumowsky
(unterbricht hastig)
Ich weiß, ich weiß ...

Orlow
Sie wissen, Erlaucht? Ich atme auf. Dies mindert die Schwierigkeit
meiner Sendung.
Rasumowsky
Ich bin erstaunt, daß Ihre Majestät ein solches Mittel nötig zu haben
glaubt. Jede Handlung ist gerechtfertigt, die sie gutheißt.
Orlow
Ganz meine Meinung, Erlaucht. Aber Katharina ist gewissenhaft und
dankbar, zwei Eigenschaften, die den Fürsten das Regieren erschweren.
Rasumowsky
Und Ihre Mission ist also --
Orlow
Der Plan war, den Großkanzler zu schicken --
Rasumowsky
(nickt)
Auch dies ist mir bekannt.
Orlow
Ich wollte es um jeden Preis verhindern, selbst auf die Gefahr,
ungehorsam gegen meine Wohltäterin zu sein. Der Kanzler Woronzow
ist ein vortrefflicher Diener, aber er ist nur ein Diener. Seine Rauheit,
sein mürrisches Wesen, seine Unfähigkeit, zarte Dinge zart zu packen,
hätte Sie unbedingt verletzt, Graf Alexei. Ich begriff das
Ungeheuerliche des Auftrags wie die Delikatesse, mit der er behandelt
werden mußte, vom ersten Augenblick an. Ich habe tief mit Ihnen
gefühlt, Erlaucht, ich fürchtete die Dazwischenkunft des Kanzlers, und

-- ich habe ihn gefangen setzen lassen.
Rasumowsky
Was Sie getan haben, ist höchst tadelnswert, Graf Orlow, doch kann ich
dem Edelmut, der Sie antrieb, meine Bewunderung und meinen Dank
nicht versagen.
Orlow
Und so bin ich gekommen -- (zaudert.)
Rasumowsky
Gekommen --?
Orlow
(leise, als schäme er sich)
Sie um die Dokumente Ihrer Ehe mit der Zarin Elisabeth Petrowna zu
bitten.
Rasumowsky
Mein Erstaunen wächst, Graf Orlow. Wie kann man mit einer Tatsache
rechnen, mit der die Öffentlichkeit niemals behelligt worden ist, die
niemals zugegeben worden ist und die daher niemals Gegenstand weder
einer politischen, noch einer privaten Aktion werden kann?
Orlow
Ich ehre diese Entrüstung, Erlaucht, und finde sie gerecht. Aber es gibt
Dinge, die so lange verschwiegen werden bis jedes Kind um sie weiß.
Rasumowsky
Wahrlich, was Sie da sagen, betrübt mich aufs äußerste, Graf Orlow.
Mir ist, als sei ich bestohlen worden. Mir ist, als hätte man meine Brust

durchwühlt, um ihr das Teuerste zu rauben, und als riefe man mir zu:
du bewahrst es umsonst, denn die Hunde beschnüffeln es schon wie ein
Aas.
Orlow
Schwer wird es mir, Ihnen zu widersprechen, Erlaucht.
Rasumowsky
Und wenn ich nun antworten würde: eine Ehe zwischen mir und der
hochseligen Herrin Elisabeth Petrowna hat niemals stattgefunden?
Orlow
(beißt sich auf die Lippen; dann gleißnerisch)
So würde ich Ihre Beweggründe zu erforschen suchen.
Rasumowsky
Wenn ich Ihnen versichern würde, daß ich keine Dokumente besitze --?
Wie, Graf Orlow?
Orlow
(düster)
Sie würden damit mein Leben zerstören, Erlaucht.
Rasumowsky
Und wenn ich den Besitz der Dokumente zugebe, warum soll ich sie
ausliefern? Was könnte mich veranlassen, ein Jahr um Jahr, Jahrzehnt
um Jahrzehnt gehaltenes Übereinkommen schmählich zu verletzen?
Nur weil ein Jüngling, den die Jugend begehrlich und begehrenswert
macht, in meinen Frieden tritt und die Hand ausstreckt nach meinem
Gut?

Orlow
Es ist nichts in Ihren Worten, Alexei Grigorjewitsch, was ich mir nicht
auch selbst schon ins Gewissen gerufen hätte. Doch erwägen Sie,
Erlaucht: mein Glück ist auch das Glück der Kaiserin.
Rasumowsky
Ich werfe mich in den Staub vor Ihrer Majestät, aber sie hat keine
Macht über die Geheimnisse meiner Seele.
Orlow
So flehe ich, Erlaucht, um Ihr Vertrauen ...
Rasumowsky
Mein Vertrauen zu den Menschen ist so gering, Graf Orlow, daß jeder
Appell daran verschwendet ist. Ich habe zu viele Worte gehört und zu
viele Taten gesehen. Ich bin meiner selbst kaum gewiß, um wie viel
weniger eines andern. Ein Ozean von Geschwätz ertränkt die edelste
Handlung, und die niedrigste versteckt sich nicht mehr, wenn ihr ein
Vorteil winkt.
Orlow
Bedenken Sie, Alexei Grigorjewitsch, ein Mann, für den so
Ungeheueres sich entscheiden soll, muß ein Verworfener werden, wenn
es mißlingt.
Rasumowsky
Also ist es nur der Erfolg, der tugendhaft macht?
Orlow
Ein Held jedoch, wenn er ans Ziel gelangt.
Rasumowsky

Ein Held? Könnt ich dies glauben, Graf Orlow, dann! ja dann! Aber ich
kann es nicht glauben. (Feierlich.) Zwei unschuldig Zertretene wehren
mir's.
Orlow
Viel Blut liegt auf dem Weg der Helden, Erlaucht.
Rasumowsky
Blut von Kindern?
Orlow
Macht löscht den Makel aus.
Rasumowsky
(betroffen)
Furchtbares Wort!
Orlow
(erkennt seinen Fehler, einlenkend)
Als ich heranritt, Erlaucht, ich war betrunken von Freude; ich hatte die
unheilvollste Meuterei erstickt, Rebellen hatte ich meiner Gebieterin in
Anhänger auf Tod und Leben verwandelt, die
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